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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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gegengesetzten Halbkugeln aus der heißen in die gemäßigte
Zone.1

Solange man den Rio Paragua bei Esmeralda mit
dem Rio Guaviare verwechselte und die Quellen des Orinoko
südwestwärts am Ostabhange der Anden suchte, schrieb man
das Steigen des Stromes dem periodischen Schmelzen des
Schnees zu. Dieser Schluß war so unrichtig, als wenn man
früher den Nil durch das Schneewasser aus Abessinien aus-
treten ließ. Die Kordilleren von Neugranada, in deren
Nähe die westlichen Nebenflüsse des Orinoko, der Gua-
viare, der Meta und der Apure entspringen, reichen, mit
einziger Ausnahme der Paramos von Chita und Mucuchies,
so wenig zu der Grenze des ewigens Schnees hinauf als die
abessinischen Alpen. Schneeberge sind im heißen Erdstriche
weit seltener, als man gewöhnlich glaubt; und die Schnee-
schmelze, die in keiner Jahreszeit bedeutend ist, wird zur Zeit
der Hochwasser des Orinoko keineswegs stärker. Die Quellen
dieses Stromes liegen (ostwärts von Esmeralda) in den Ge-
birgen der Parime
, deren höchste Gipfel nicht über 2340
bis 2530 m hoch sind, und von Grita bis Neiva (von 7 1/2
bis 3° der Breite) hat der östliche Zweig der Kordillere
viele Paramos von 3500 bis 3700 m Höhe, aber nur eine
Gruppe von Nevados, das heißt Bergen, höher als 4680 m
und zwar die fünf Pichacos de Chita. In den schnee-
losen Paramos von Cundinamarca entspringen die drei großen
Nebenflüsse des Orinoko von Westen her. Nur kleinere Neben-
flüsse, die in den Meta und Apure fallen, nehmen einige
Aguas de nieve auf, wie der Rio Casanare, der vom Ne-
vado de Chita, und der Rio de Santo Domingo, der von
der Sierra Nevada de Merida herunterkommt und durch die
Provinz Varinas läuft.


1 In Asien laufen der Ganges, der Brahmaputra und die
majestätischen indisch-chinesischen Flüsse dem Aequator zu. Die
ersteren kommen aus der gemäßigten Zone in die heiße. Der Um-
stand, daß die Flüsse entgegengesetzte Richtungen haben (dem Aequator
oder den gemäßigten Erdstrichen zu), äußert Einfluß auf den Ein-
tritt und die Größe der Ueberschwemmungen, auf die Art und die
Mannigfaltigkeit der Produkte längs der Ufer, auf die größere oder
geringere Lebhaftigkeit des Handels, und, darf ich nach dem, was
wir über die Völker Aegyptens, Meroes und Indiens wissen, wohl
sagen, auf den Gang der Kultur die Stromthäler entlang.

gegengeſetzten Halbkugeln aus der heißen in die gemäßigte
Zone.1

Solange man den Rio Paragua bei Esmeralda mit
dem Rio Guaviare verwechſelte und die Quellen des Orinoko
ſüdweſtwärts am Oſtabhange der Anden ſuchte, ſchrieb man
das Steigen des Stromes dem periodiſchen Schmelzen des
Schnees zu. Dieſer Schluß war ſo unrichtig, als wenn man
früher den Nil durch das Schneewaſſer aus Abeſſinien aus-
treten ließ. Die Kordilleren von Neugranada, in deren
Nähe die weſtlichen Nebenflüſſe des Orinoko, der Gua-
viare, der Meta und der Apure entſpringen, reichen, mit
einziger Ausnahme der Paramos von Chita und Mucuchies,
ſo wenig zu der Grenze des ewigens Schnees hinauf als die
abeſſiniſchen Alpen. Schneeberge ſind im heißen Erdſtriche
weit ſeltener, als man gewöhnlich glaubt; und die Schnee-
ſchmelze, die in keiner Jahreszeit bedeutend iſt, wird zur Zeit
der Hochwaſſer des Orinoko keineswegs ſtärker. Die Quellen
dieſes Stromes liegen (oſtwärts von Esmeralda) in den Ge-
birgen der Parime
, deren höchſte Gipfel nicht über 2340
bis 2530 m hoch ſind, und von Grita bis Neiva (von 7 ½
bis 3° der Breite) hat der öſtliche Zweig der Kordillere
viele Paramos von 3500 bis 3700 m Höhe, aber nur eine
Gruppe von Nevados, das heißt Bergen, höher als 4680 m
und zwar die fünf Pichacos de Chita. In den ſchnee-
loſen Paramos von Cundinamarca entſpringen die drei großen
Nebenflüſſe des Orinoko von Weſten her. Nur kleinere Neben-
flüſſe, die in den Meta und Apure fallen, nehmen einige
Aguas de nieve auf, wie der Rio Caſanare, der vom Ne-
vado de Chita, und der Rio de Santo Domingo, der von
der Sierra Nevada de Merida herunterkommt und durch die
Provinz Varinas läuft.


1 In Aſien laufen der Ganges, der Brahmaputra und die
majeſtätiſchen indiſch-chineſiſchen Flüſſe dem Aequator zu. Die
erſteren kommen aus der gemäßigten Zone in die heiße. Der Um-
ſtand, daß die Flüſſe entgegengeſetzte Richtungen haben (dem Aequator
oder den gemäßigten Erdſtrichen zu), äußert Einfluß auf den Ein-
tritt und die Größe der Ueberſchwemmungen, auf die Art und die
Mannigfaltigkeit der Produkte längs der Ufer, auf die größere oder
geringere Lebhaftigkeit des Handels, und, darf ich nach dem, was
wir über die Völker Aegyptens, Meroes und Indiens wiſſen, wohl
ſagen, auf den Gang der Kultur die Stromthäler entlang.
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[172/0180] gegengeſetzten Halbkugeln aus der heißen in die gemäßigte Zone. 1 Solange man den Rio Paragua bei Esmeralda mit dem Rio Guaviare verwechſelte und die Quellen des Orinoko ſüdweſtwärts am Oſtabhange der Anden ſuchte, ſchrieb man das Steigen des Stromes dem periodiſchen Schmelzen des Schnees zu. Dieſer Schluß war ſo unrichtig, als wenn man früher den Nil durch das Schneewaſſer aus Abeſſinien aus- treten ließ. Die Kordilleren von Neugranada, in deren Nähe die weſtlichen Nebenflüſſe des Orinoko, der Gua- viare, der Meta und der Apure entſpringen, reichen, mit einziger Ausnahme der Paramos von Chita und Mucuchies, ſo wenig zu der Grenze des ewigens Schnees hinauf als die abeſſiniſchen Alpen. Schneeberge ſind im heißen Erdſtriche weit ſeltener, als man gewöhnlich glaubt; und die Schnee- ſchmelze, die in keiner Jahreszeit bedeutend iſt, wird zur Zeit der Hochwaſſer des Orinoko keineswegs ſtärker. Die Quellen dieſes Stromes liegen (oſtwärts von Esmeralda) in den Ge- birgen der Parime, deren höchſte Gipfel nicht über 2340 bis 2530 m hoch ſind, und von Grita bis Neiva (von 7 ½ bis 3° der Breite) hat der öſtliche Zweig der Kordillere viele Paramos von 3500 bis 3700 m Höhe, aber nur eine Gruppe von Nevados, das heißt Bergen, höher als 4680 m und zwar die fünf Pichacos de Chita. In den ſchnee- loſen Paramos von Cundinamarca entſpringen die drei großen Nebenflüſſe des Orinoko von Weſten her. Nur kleinere Neben- flüſſe, die in den Meta und Apure fallen, nehmen einige Aguas de nieve auf, wie der Rio Caſanare, der vom Ne- vado de Chita, und der Rio de Santo Domingo, der von der Sierra Nevada de Merida herunterkommt und durch die Provinz Varinas läuft. 1 In Aſien laufen der Ganges, der Brahmaputra und die majeſtätiſchen indiſch-chineſiſchen Flüſſe dem Aequator zu. Die erſteren kommen aus der gemäßigten Zone in die heiße. Der Um- ſtand, daß die Flüſſe entgegengeſetzte Richtungen haben (dem Aequator oder den gemäßigten Erdſtrichen zu), äußert Einfluß auf den Ein- tritt und die Größe der Ueberſchwemmungen, auf die Art und die Mannigfaltigkeit der Produkte längs der Ufer, auf die größere oder geringere Lebhaftigkeit des Handels, und, darf ich nach dem, was wir über die Völker Aegyptens, Meroes und Indiens wiſſen, wohl ſagen, auf den Gang der Kultur die Stromthäler entlang.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/180>, abgerufen am 21.11.2024.