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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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lassungen am Rio Branco. Dieser ganze Landstrich ist offen,
voll schöner Savannen, ganz anders als das Land, über das
wir am oberen Orinoko gekommen sind. Undurchdringlich
werden die Wälder erst dem Süden zu, gegen Nord sind
Wiesengründe, von bewaldeten Hügeln durchschnitten. Die ma-
lerischten Landschaften sind bei den Fällen des Carony und
in der 487 m hohen Bergkette zwischen den Nebenflüssen des
Orinoko und denen des Cuyuni. Hier liegen Villa de Upata,
der Hauptort der Missionen, Santa Maria und Cupapui.
Auf kleinen Hochebenen herrscht ein gesundes, gemäßigtes
Klima; Kakao, Reis, Baumwolle, Indigo und Zucker wachsen
überall in Fülle, wo der unberührte, mit dicker Grasnarbe
bedeckte Boden beackert wird. Die ersten christlichen Nieder-
lassungen reichen, glaube ich, nicht über das Jahr 1721 hinauf.
Die Elemente der gegenwärtigen Bevölkerung sind drei in-
dianische Völkerschaften, die Guayanos, die Kariben und die
Guaica. Letztere sind ein Gebirgsvolk und lange nicht von
so kleinem Wuchse wie die Guaica, die wir in Esmeralda
getroffen. Sie sind schwer an die Scholle zu fesseln und die
drei jüngsten Missionen, in denen sie beisammen lebten, Cura,
Curucuy und Arechica, sind bereits wieder eingegangen. Von
den Guyanos erhielt im 16. Jahrhundert die ganze weite
Provinz ihren Namen; sie sind nicht so intelligent, aber sanft-
mütiger, und leichter, wenn nicht zu civilisieren, doch zu bän-
digen, als die Kariben. Ihre Sprache scheint zum großen
Stamme der karibischen und tamanakischen Sprachen zu ge-
hören. Sie ist mit denselben in den Wurzeln und gram-
matischen Formen verwandt, wie unter sich Sanskrit, Persisch,
Griechisch und Deutsch. Bei etwas, das seinem Wesen nach
unbestimmt ist, lassen sich nicht leicht feste Formen aufstellen,
und man verständigt sich sehr schwer über die Unterschiede
zwischen Dialekt, abgeleiteter Sprache und Stammsprache.
Durch die Jesuiten in Paraguay kennen wir in der südlichen
Halbkugel eine andere Horde Guayanos, die in den dichten
Wäldern am Parana leben. Obgleich sich nicht in Abrede
ziehen läßt, daß die Völker, die nördlich und südlich vom
Amazonenstrom hausen, durch weite Wanderzüge in gegen-
seitige Verbindung getreten sind, so möchte ich doch nicht ent-
scheiden, ob jene Guayanos am Parana und Uruguay mit
denen am Carony mehr gemein haben als einen gleichlauten-
den Namen, was auf einem Zufall beruhen kann.

Die bedeutendsten christlichen Niederlassungen liegen jetzt

laſſungen am Rio Branco. Dieſer ganze Landſtrich iſt offen,
voll ſchöner Savannen, ganz anders als das Land, über das
wir am oberen Orinoko gekommen ſind. Undurchdringlich
werden die Wälder erſt dem Süden zu, gegen Nord ſind
Wieſengründe, von bewaldeten Hügeln durchſchnitten. Die ma-
leriſchten Landſchaften ſind bei den Fällen des Carony und
in der 487 m hohen Bergkette zwiſchen den Nebenflüſſen des
Orinoko und denen des Cuyuni. Hier liegen Villa de Upata,
der Hauptort der Miſſionen, Santa Maria und Cupapui.
Auf kleinen Hochebenen herrſcht ein geſundes, gemäßigtes
Klima; Kakao, Reis, Baumwolle, Indigo und Zucker wachſen
überall in Fülle, wo der unberührte, mit dicker Grasnarbe
bedeckte Boden beackert wird. Die erſten chriſtlichen Nieder-
laſſungen reichen, glaube ich, nicht über das Jahr 1721 hinauf.
Die Elemente der gegenwärtigen Bevölkerung ſind drei in-
dianiſche Völkerſchaften, die Guayanos, die Kariben und die
Guaica. Letztere ſind ein Gebirgsvolk und lange nicht von
ſo kleinem Wuchſe wie die Guaica, die wir in Esmeralda
getroffen. Sie ſind ſchwer an die Scholle zu feſſeln und die
drei jüngſten Miſſionen, in denen ſie beiſammen lebten, Cura,
Curucuy und Arechica, ſind bereits wieder eingegangen. Von
den Guyanos erhielt im 16. Jahrhundert die ganze weite
Provinz ihren Namen; ſie ſind nicht ſo intelligent, aber ſanft-
mütiger, und leichter, wenn nicht zu civiliſieren, doch zu bän-
digen, als die Kariben. Ihre Sprache ſcheint zum großen
Stamme der karibiſchen und tamanakiſchen Sprachen zu ge-
hören. Sie iſt mit denſelben in den Wurzeln und gram-
matiſchen Formen verwandt, wie unter ſich Sanskrit, Perſiſch,
Griechiſch und Deutſch. Bei etwas, das ſeinem Weſen nach
unbeſtimmt iſt, laſſen ſich nicht leicht feſte Formen aufſtellen,
und man verſtändigt ſich ſehr ſchwer über die Unterſchiede
zwiſchen Dialekt, abgeleiteter Sprache und Stammſprache.
Durch die Jeſuiten in Paraguay kennen wir in der ſüdlichen
Halbkugel eine andere Horde Guayanos, die in den dichten
Wäldern am Parana leben. Obgleich ſich nicht in Abrede
ziehen läßt, daß die Völker, die nördlich und ſüdlich vom
Amazonenſtrom hauſen, durch weite Wanderzüge in gegen-
ſeitige Verbindung getreten ſind, ſo möchte ich doch nicht ent-
ſcheiden, ob jene Guayanos am Parana und Uruguay mit
denen am Carony mehr gemein haben als einen gleichlauten-
den Namen, was auf einem Zufall beruhen kann.

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[181/0189] laſſungen am Rio Branco. Dieſer ganze Landſtrich iſt offen, voll ſchöner Savannen, ganz anders als das Land, über das wir am oberen Orinoko gekommen ſind. Undurchdringlich werden die Wälder erſt dem Süden zu, gegen Nord ſind Wieſengründe, von bewaldeten Hügeln durchſchnitten. Die ma- leriſchten Landſchaften ſind bei den Fällen des Carony und in der 487 m hohen Bergkette zwiſchen den Nebenflüſſen des Orinoko und denen des Cuyuni. Hier liegen Villa de Upata, der Hauptort der Miſſionen, Santa Maria und Cupapui. Auf kleinen Hochebenen herrſcht ein geſundes, gemäßigtes Klima; Kakao, Reis, Baumwolle, Indigo und Zucker wachſen überall in Fülle, wo der unberührte, mit dicker Grasnarbe bedeckte Boden beackert wird. Die erſten chriſtlichen Nieder- laſſungen reichen, glaube ich, nicht über das Jahr 1721 hinauf. Die Elemente der gegenwärtigen Bevölkerung ſind drei in- dianiſche Völkerſchaften, die Guayanos, die Kariben und die Guaica. Letztere ſind ein Gebirgsvolk und lange nicht von ſo kleinem Wuchſe wie die Guaica, die wir in Esmeralda getroffen. Sie ſind ſchwer an die Scholle zu feſſeln und die drei jüngſten Miſſionen, in denen ſie beiſammen lebten, Cura, Curucuy und Arechica, ſind bereits wieder eingegangen. Von den Guyanos erhielt im 16. Jahrhundert die ganze weite Provinz ihren Namen; ſie ſind nicht ſo intelligent, aber ſanft- mütiger, und leichter, wenn nicht zu civiliſieren, doch zu bän- digen, als die Kariben. Ihre Sprache ſcheint zum großen Stamme der karibiſchen und tamanakiſchen Sprachen zu ge- hören. Sie iſt mit denſelben in den Wurzeln und gram- matiſchen Formen verwandt, wie unter ſich Sanskrit, Perſiſch, Griechiſch und Deutſch. Bei etwas, das ſeinem Weſen nach unbeſtimmt iſt, laſſen ſich nicht leicht feſte Formen aufſtellen, und man verſtändigt ſich ſehr ſchwer über die Unterſchiede zwiſchen Dialekt, abgeleiteter Sprache und Stammſprache. Durch die Jeſuiten in Paraguay kennen wir in der ſüdlichen Halbkugel eine andere Horde Guayanos, die in den dichten Wäldern am Parana leben. Obgleich ſich nicht in Abrede ziehen läßt, daß die Völker, die nördlich und ſüdlich vom Amazonenſtrom hauſen, durch weite Wanderzüge in gegen- ſeitige Verbindung getreten ſind, ſo möchte ich doch nicht ent- ſcheiden, ob jene Guayanos am Parana und Uruguay mit denen am Carony mehr gemein haben als einen gleichlauten- den Namen, was auf einem Zufall beruhen kann. Die bedeutendſten chriſtlichen Niederlaſſungen liegen jetzt

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/189>, abgerufen am 21.11.2024.