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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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Orinoko beizubringen. Wir haben dargethan, daß der Mythus
vom Dorado, gleich den berühmtesten Mythen der Völker
der Alten Welt, nacheinander auf verschiedene Oertlichkeiten
bezogen worden ist. Wir haben denselben von Südwest nach
Nordost, vom Ostabhange der Anden gegen die Ebenen am
Rio Branco und Essequibo vorrücken sehen, ganz in der Rich-
tung, in der die Kariben seit Jahrhunderten ihre Kriegs-
und Handelszüge machten. Man sieht leicht, wie das Gold
von den Kordilleren von Hand zu Hand durch eine Menge
Völkerschaften bis an das Küstenland von Guyana gelangen
konnte; waren doch, lange bevor der Pelzhandel englische,
russische und amerikanische Schiffe an die Nordwestküsten von
Amerika zog, eiserne Werkzeuge von Neumexiko und Kanada
bis über die Rocky Mountains gewandert. Infolge eines
Irrtums in der Länge, dessen Spuren man auf sämtlichen
Karten des 16. Jahrhunderts begegnet, nahm man die gold-
führenden Gebirge von Peru und Neugranada weit näher bei
den Mündungen des Orinoko und des Amazonenstromes an,
als sie in Wirklichkeit sind. Es ist einmal Sitte bei den
Geographen, neu entdeckte Länder übermäßig zu vergrößern
und ins Breite zu ziehen. Auf der Karte von Peru, welche
Paulo di Forlani in Verona herausgab, liegt die Stadt Quito
1800 km von der Küste der Südsee unter dem Meridian von
Cumana; die Kordillere der Anden füllt fast die ganze
Oberfläche des spanischen, französischen und holländischen
Guyana aus. Diese falsche Ansicht von der Breite der Anden
ist ohne Zweifel im Spiel, wenn man den granitischen Ebenen
am Ostabhange derselben so große Wichtigkeit zugeschrieben
hat. Da man die Nebenflüsse des Amazonenstromes und des
Orinoko oder (wie Raleghs Unterbefehlshaber aus Schmeichelei
für ihren Oberen sagten) des Rio Raleana beständig ver-
wechselte, so bezog man auf diesen alle Sagen, die einem über
den Dorado von Quixos, über die Omagua und Manoas
zu Ohren gekommen. Nach des Geographen Hondius An-
nahme lagen die durch ihre Chinawälder berühmten Anden
von Loxa nur 90 km vom See Parime und dem Ufer des
Rio Branco. Bei dieser Nähe erschien die Kunde, daß sich
der Inka in die Wälder von Guyana geflüchtet und daß
die Schätze aus Cuzco in die östlichsten Striche von Guyana
geschafft worden, glaubwürdig. Fuhr man den Meta oder
den Amazonenstrom hinauf, so sah man allerdings zwischen
dem Purus, dem Jupura und dem Iquiari die Eingeborenen

Orinoko beizubringen. Wir haben dargethan, daß der Mythus
vom Dorado, gleich den berühmteſten Mythen der Völker
der Alten Welt, nacheinander auf verſchiedene Oertlichkeiten
bezogen worden iſt. Wir haben denſelben von Südweſt nach
Nordoſt, vom Oſtabhange der Anden gegen die Ebenen am
Rio Branco und Eſſequibo vorrücken ſehen, ganz in der Rich-
tung, in der die Kariben ſeit Jahrhunderten ihre Kriegs-
und Handelszüge machten. Man ſieht leicht, wie das Gold
von den Kordilleren von Hand zu Hand durch eine Menge
Völkerſchaften bis an das Küſtenland von Guyana gelangen
konnte; waren doch, lange bevor der Pelzhandel engliſche,
ruſſiſche und amerikaniſche Schiffe an die Nordweſtküſten von
Amerika zog, eiſerne Werkzeuge von Neumexiko und Kanada
bis über die Rocky Mountains gewandert. Infolge eines
Irrtums in der Länge, deſſen Spuren man auf ſämtlichen
Karten des 16. Jahrhunderts begegnet, nahm man die gold-
führenden Gebirge von Peru und Neugranada weit näher bei
den Mündungen des Orinoko und des Amazonenſtromes an,
als ſie in Wirklichkeit ſind. Es iſt einmal Sitte bei den
Geographen, neu entdeckte Länder übermäßig zu vergrößern
und ins Breite zu ziehen. Auf der Karte von Peru, welche
Paulo di Forlani in Verona herausgab, liegt die Stadt Quito
1800 km von der Küſte der Südſee unter dem Meridian von
Cumana; die Kordillere der Anden füllt faſt die ganze
Oberfläche des ſpaniſchen, franzöſiſchen und holländiſchen
Guyana aus. Dieſe falſche Anſicht von der Breite der Anden
iſt ohne Zweifel im Spiel, wenn man den granitiſchen Ebenen
am Oſtabhange derſelben ſo große Wichtigkeit zugeſchrieben
hat. Da man die Nebenflüſſe des Amazonenſtromes und des
Orinoko oder (wie Raleghs Unterbefehlshaber aus Schmeichelei
für ihren Oberen ſagten) des Rio Raleana beſtändig ver-
wechſelte, ſo bezog man auf dieſen alle Sagen, die einem über
den Dorado von Quixos, über die Omagua und Manoas
zu Ohren gekommen. Nach des Geographen Hondius An-
nahme lagen die durch ihre Chinawälder berühmten Anden
von Loxa nur 90 km vom See Parime und dem Ufer des
Rio Branco. Bei dieſer Nähe erſchien die Kunde, daß ſich
der Inka in die Wälder von Guyana geflüchtet und daß
die Schätze aus Cuzco in die öſtlichſten Striche von Guyana
geſchafft worden, glaubwürdig. Fuhr man den Meta oder
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dem Purus, dem Jupura und dem Iquiari die Eingeborenen

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[221/0229] Orinoko beizubringen. Wir haben dargethan, daß der Mythus vom Dorado, gleich den berühmteſten Mythen der Völker der Alten Welt, nacheinander auf verſchiedene Oertlichkeiten bezogen worden iſt. Wir haben denſelben von Südweſt nach Nordoſt, vom Oſtabhange der Anden gegen die Ebenen am Rio Branco und Eſſequibo vorrücken ſehen, ganz in der Rich- tung, in der die Kariben ſeit Jahrhunderten ihre Kriegs- und Handelszüge machten. Man ſieht leicht, wie das Gold von den Kordilleren von Hand zu Hand durch eine Menge Völkerſchaften bis an das Küſtenland von Guyana gelangen konnte; waren doch, lange bevor der Pelzhandel engliſche, ruſſiſche und amerikaniſche Schiffe an die Nordweſtküſten von Amerika zog, eiſerne Werkzeuge von Neumexiko und Kanada bis über die Rocky Mountains gewandert. Infolge eines Irrtums in der Länge, deſſen Spuren man auf ſämtlichen Karten des 16. Jahrhunderts begegnet, nahm man die gold- führenden Gebirge von Peru und Neugranada weit näher bei den Mündungen des Orinoko und des Amazonenſtromes an, als ſie in Wirklichkeit ſind. Es iſt einmal Sitte bei den Geographen, neu entdeckte Länder übermäßig zu vergrößern und ins Breite zu ziehen. Auf der Karte von Peru, welche Paulo di Forlani in Verona herausgab, liegt die Stadt Quito 1800 km von der Küſte der Südſee unter dem Meridian von Cumana; die Kordillere der Anden füllt faſt die ganze Oberfläche des ſpaniſchen, franzöſiſchen und holländiſchen Guyana aus. Dieſe falſche Anſicht von der Breite der Anden iſt ohne Zweifel im Spiel, wenn man den granitiſchen Ebenen am Oſtabhange derſelben ſo große Wichtigkeit zugeſchrieben hat. Da man die Nebenflüſſe des Amazonenſtromes und des Orinoko oder (wie Raleghs Unterbefehlshaber aus Schmeichelei für ihren Oberen ſagten) des Rio Raleana beſtändig ver- wechſelte, ſo bezog man auf dieſen alle Sagen, die einem über den Dorado von Quixos, über die Omagua und Manoas zu Ohren gekommen. Nach des Geographen Hondius An- nahme lagen die durch ihre Chinawälder berühmten Anden von Loxa nur 90 km vom See Parime und dem Ufer des Rio Branco. Bei dieſer Nähe erſchien die Kunde, daß ſich der Inka in die Wälder von Guyana geflüchtet und daß die Schätze aus Cuzco in die öſtlichſten Striche von Guyana geſchafft worden, glaubwürdig. Fuhr man den Meta oder den Amazonenſtrom hinauf, ſo ſah man allerdings zwiſchen dem Purus, dem Jupura und dem Iquiari die Eingeborenen

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/229>, abgerufen am 24.11.2024.