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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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civilisierter werden. Man fand dort Amulette und kleine
Götzenbilder aus gegossenem Golde, künstlich geschnitzte Stühle
und dergleichen; aber von solchen Spuren einer aufkeimenden
Kultur zu den Städten und steinernen Häusern, wie Ralegh
und seine Nachfolger sie beschreiben, ist ein großer Sprung.
Wir haben ostwärts von den Kordilleren, in der Provinz
Jaen de Bracamoros, auf dem Wege von Loxa an den Ama-
zonenstrom herab, die Trümmer großer Gebäude gezeichnet;
bis hierher waren die Inka mit ihren Waffen, mit ihrer
Religion und mit ihren Künsten vorgedrungen. Die sich selbst
überlassenen Eingeborenen am Orinoko waren vor der Er-
oberung etwas civilisierter als jetzt die unabhängigen Horden.
Sie hatten dem Flusse entlang volkreiche Dörfer und standen
mit südlicher wohnenden Völkern in regelmäßigem Handels-
verkehr; aber nichts weist darauf hin, daß sie je ein steinernes
Gebäude errichtet hätten. Wir haben auf unserer ganzen
Flußfahrt nie die Spur eines solchen gesehen.

Obgleich nun aber Spanisch-Gayana seinen Ruf, ein
reiches Land zu sein, großenteils seiner geographischen Lage
und den Irrtümern der alten Karten zu danken hat, so ist
man deshalb doch nicht zu der Behauptung berechtigt, daß
auf diesem Flächenraume von 1660500 qkm zwischen dem
Orinoko und dem Amazonenstrome, ostwärts von den Anden
von Quito und Neugranada, gar keine goldhaltige Gebirgs-
art vorkomme. Soweit ich dieses Land zwischen dem 2. und
8. Grad der Breite und dem 66. und 71. Grad der Länge
kennen gelernt habe, besteht es durchgängig aus Granit und
aus einem Gneis, der in Glimmerschiefer und Talkschiefer
übergeht. Diese Gebirgsarten kommen in den hohen Ge-
birgen der Parime, wie in den Niederungen am Atabapo und
Cassiquiare zu Tage. Der Granit überwiegt über die anderen
Gebirgsarten, und wenn auch der Granit von alter Formation
überall fast durchgängig keine Golderze enthält, so ist daraus
doch nicht zu folgern, daß der Granit der Parime gar keinen
Gang, keine Schicht goldhaltigen Quarzes einschließe. Ost-
wärts vom Cassiquiare, den Quellen des Orinoko zu, sahen
wir dergleichen Schichten und Gänge häufiger auftreten. Nach
seinem Bau, nach der Beimischung von Hornblende und anderen
gleich bedeutsamen geologischen Merkmalen scheint mir der
Granit in diesem Landstrich von neuerer Formation zu sein,
vielleicht jünger als der Gneis und analog den zinnhaltigen
Graniten, den Hyalomikten und Pegmatiten. Die jüngeren

civiliſierter werden. Man fand dort Amulette und kleine
Götzenbilder aus gegoſſenem Golde, künſtlich geſchnitzte Stühle
und dergleichen; aber von ſolchen Spuren einer aufkeimenden
Kultur zu den Städten und ſteinernen Häuſern, wie Ralegh
und ſeine Nachfolger ſie beſchreiben, iſt ein großer Sprung.
Wir haben oſtwärts von den Kordilleren, in der Provinz
Jaen de Bracamoros, auf dem Wege von Loxa an den Ama-
zonenſtrom herab, die Trümmer großer Gebäude gezeichnet;
bis hierher waren die Inka mit ihren Waffen, mit ihrer
Religion und mit ihren Künſten vorgedrungen. Die ſich ſelbſt
überlaſſenen Eingeborenen am Orinoko waren vor der Er-
oberung etwas civiliſierter als jetzt die unabhängigen Horden.
Sie hatten dem Fluſſe entlang volkreiche Dörfer und ſtanden
mit ſüdlicher wohnenden Völkern in regelmäßigem Handels-
verkehr; aber nichts weiſt darauf hin, daß ſie je ein ſteinernes
Gebäude errichtet hätten. Wir haben auf unſerer ganzen
Flußfahrt nie die Spur eines ſolchen geſehen.

Obgleich nun aber Spaniſch-Gayana ſeinen Ruf, ein
reiches Land zu ſein, großenteils ſeiner geographiſchen Lage
und den Irrtümern der alten Karten zu danken hat, ſo iſt
man deshalb doch nicht zu der Behauptung berechtigt, daß
auf dieſem Flächenraume von 1660500 qkm zwiſchen dem
Orinoko und dem Amazonenſtrome, oſtwärts von den Anden
von Quito und Neugranada, gar keine goldhaltige Gebirgs-
art vorkomme. Soweit ich dieſes Land zwiſchen dem 2. und
8. Grad der Breite und dem 66. und 71. Grad der Länge
kennen gelernt habe, beſteht es durchgängig aus Granit und
aus einem Gneis, der in Glimmerſchiefer und Talkſchiefer
übergeht. Dieſe Gebirgsarten kommen in den hohen Ge-
birgen der Parime, wie in den Niederungen am Atabapo und
Caſſiquiare zu Tage. Der Granit überwiegt über die anderen
Gebirgsarten, und wenn auch der Granit von alter Formation
überall faſt durchgängig keine Golderze enthält, ſo iſt daraus
doch nicht zu folgern, daß der Granit der Parime gar keinen
Gang, keine Schicht goldhaltigen Quarzes einſchließe. Oſt-
wärts vom Caſſiquiare, den Quellen des Orinoko zu, ſahen
wir dergleichen Schichten und Gänge häufiger auftreten. Nach
ſeinem Bau, nach der Beimiſchung von Hornblende und anderen
gleich bedeutſamen geologiſchen Merkmalen ſcheint mir der
Granit in dieſem Landſtrich von neuerer Formation zu ſein,
vielleicht jünger als der Gneis und analog den zinnhaltigen
Graniten, den Hyalomikten und Pegmatiten. Die jüngeren

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[222/0230] civiliſierter werden. Man fand dort Amulette und kleine Götzenbilder aus gegoſſenem Golde, künſtlich geſchnitzte Stühle und dergleichen; aber von ſolchen Spuren einer aufkeimenden Kultur zu den Städten und ſteinernen Häuſern, wie Ralegh und ſeine Nachfolger ſie beſchreiben, iſt ein großer Sprung. Wir haben oſtwärts von den Kordilleren, in der Provinz Jaen de Bracamoros, auf dem Wege von Loxa an den Ama- zonenſtrom herab, die Trümmer großer Gebäude gezeichnet; bis hierher waren die Inka mit ihren Waffen, mit ihrer Religion und mit ihren Künſten vorgedrungen. Die ſich ſelbſt überlaſſenen Eingeborenen am Orinoko waren vor der Er- oberung etwas civiliſierter als jetzt die unabhängigen Horden. Sie hatten dem Fluſſe entlang volkreiche Dörfer und ſtanden mit ſüdlicher wohnenden Völkern in regelmäßigem Handels- verkehr; aber nichts weiſt darauf hin, daß ſie je ein ſteinernes Gebäude errichtet hätten. Wir haben auf unſerer ganzen Flußfahrt nie die Spur eines ſolchen geſehen. Obgleich nun aber Spaniſch-Gayana ſeinen Ruf, ein reiches Land zu ſein, großenteils ſeiner geographiſchen Lage und den Irrtümern der alten Karten zu danken hat, ſo iſt man deshalb doch nicht zu der Behauptung berechtigt, daß auf dieſem Flächenraume von 1660500 qkm zwiſchen dem Orinoko und dem Amazonenſtrome, oſtwärts von den Anden von Quito und Neugranada, gar keine goldhaltige Gebirgs- art vorkomme. Soweit ich dieſes Land zwiſchen dem 2. und 8. Grad der Breite und dem 66. und 71. Grad der Länge kennen gelernt habe, beſteht es durchgängig aus Granit und aus einem Gneis, der in Glimmerſchiefer und Talkſchiefer übergeht. Dieſe Gebirgsarten kommen in den hohen Ge- birgen der Parime, wie in den Niederungen am Atabapo und Caſſiquiare zu Tage. Der Granit überwiegt über die anderen Gebirgsarten, und wenn auch der Granit von alter Formation überall faſt durchgängig keine Golderze enthält, ſo iſt daraus doch nicht zu folgern, daß der Granit der Parime gar keinen Gang, keine Schicht goldhaltigen Quarzes einſchließe. Oſt- wärts vom Caſſiquiare, den Quellen des Orinoko zu, ſahen wir dergleichen Schichten und Gänge häufiger auftreten. Nach ſeinem Bau, nach der Beimiſchung von Hornblende und anderen gleich bedeutſamen geologiſchen Merkmalen ſcheint mir der Granit in dieſem Landſtrich von neuerer Formation zu ſein, vielleicht jünger als der Gneis und analog den zinnhaltigen Graniten, den Hyalomikten und Pegmatiten. Die jüngeren

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/230>, abgerufen am 24.11.2024.