tiken Bronzestatuen. Bei den Männern ist das Haar sehr charak- teristisch geschnitten, nämlich wie bei den Mönchen oder den Chorknaben. Die Stirne ist zum Teil glatt geschoren, wo- durch sie sehr hoch erscheint. Ein starker, kreisrund geschnittener Haarbüschel fängt erst ganz nahe am Scheitel an. Diese Aehnlichkeit der Kariben mit den Mönchen ist nicht etwa eine Folge des Lebens in den Missionen; sie rührt nicht, wie man fälschlich behauptet hat, daher, daß es die Eingeborenen ihren Herren und Meistern, den Patres Franizskanern, gleich thun wollen. Die Stämme, die zwischen den Quellen des Carony und des Rio Branco in wilder Unabhängigkeit verharren, zeichnen sich durch eben diesen Cerquillo de frailes aus, den schon bei der Entdeckung von Amerika die frühesten spanischen Geschichtschreiber den Völkern von karibischem Stamme zuschrieben. Alle Glieder dieses Stammes, die wir bei unserer Fahrt auf dem unteren Orinoko und in den Mis- sionen von Piritu gesehen, unterscheiden sich von den übrigen Indianern nicht allein durch ihren hohen Wuchs, sondern auch durch ihre regelmäßigen Züge. Ihre Nase ist nicht so breit und platt, ihre Backenknochen springen nicht so stark vor, der ganze Gesichtsausdruck ist weniger mongolisch. Aus ihren Augen, die schwärzer sind als bei den anderen Horden in Guyana, spricht Verstand, fast möchte man sagen Nachdenk- lichkeit. Die Kariben haben etwas Ernstes in ihrem Benehmen und etwas Schwermütiges im Blick, wie die Mehrzahl der Ureinwohner der Neuen Welt. Der ernste Ausdruck ihrer Züge wird noch bedeutend dadurch gesteigert, daß sie die Aug- brauen mit dem Saft des Caruto färben, sie stärker machen und zusammenlaufen lassen; häufig machen sie sich im ganzen Gesicht schwarze Flecke, um grimmiger auszusehen. Die Ge- meindebeamten, der Governador und die Alkalden, die allein das Recht haben, lange Stöcke zu tragen, machten uns ihre Aufwartung. Es waren junge Indianer von achtzehn, zwanzig Jahren darunter; denn ihre Wahl hängt einzig vom Gut- dünken des Missionärs ab. Wir wunderten uns nicht wenig, als uns an diesen mit Onoto bemalten Kariben das wichtig thuende Wesen, die gemessene Haltung, das kalte, herabsehende Benehmen entgegentraten, wie man sie hin und wieder bei Beamten in der Alten Welt findet. Die karibischen Weiber sind nicht so kräftig und häßlicher als die Männer. Die Last der häuslichen Geschäfte und der Feldarbeit liegt fast ganz auf ihnen. Sie baten uns dringend um Stecknadeln, die sie
tiken Bronzeſtatuen. Bei den Männern iſt das Haar ſehr charak- teriſtiſch geſchnitten, nämlich wie bei den Mönchen oder den Chorknaben. Die Stirne iſt zum Teil glatt geſchoren, wo- durch ſie ſehr hoch erſcheint. Ein ſtarker, kreisrund geſchnittener Haarbüſchel fängt erſt ganz nahe am Scheitel an. Dieſe Aehnlichkeit der Kariben mit den Mönchen iſt nicht etwa eine Folge des Lebens in den Miſſionen; ſie rührt nicht, wie man fälſchlich behauptet hat, daher, daß es die Eingeborenen ihren Herren und Meiſtern, den Patres Franizskanern, gleich thun wollen. Die Stämme, die zwiſchen den Quellen des Carony und des Rio Branco in wilder Unabhängigkeit verharren, zeichnen ſich durch eben dieſen Cerquillo de frailes aus, den ſchon bei der Entdeckung von Amerika die früheſten ſpaniſchen Geſchichtſchreiber den Völkern von karibiſchem Stamme zuſchrieben. Alle Glieder dieſes Stammes, die wir bei unſerer Fahrt auf dem unteren Orinoko und in den Miſ- ſionen von Piritu geſehen, unterſcheiden ſich von den übrigen Indianern nicht allein durch ihren hohen Wuchs, ſondern auch durch ihre regelmäßigen Züge. Ihre Naſe iſt nicht ſo breit und platt, ihre Backenknochen ſpringen nicht ſo ſtark vor, der ganze Geſichtsausdruck iſt weniger mongoliſch. Aus ihren Augen, die ſchwärzer ſind als bei den anderen Horden in Guyana, ſpricht Verſtand, faſt möchte man ſagen Nachdenk- lichkeit. Die Kariben haben etwas Ernſtes in ihrem Benehmen und etwas Schwermütiges im Blick, wie die Mehrzahl der Ureinwohner der Neuen Welt. Der ernſte Ausdruck ihrer Züge wird noch bedeutend dadurch geſteigert, daß ſie die Aug- brauen mit dem Saft des Caruto färben, ſie ſtärker machen und zuſammenlaufen laſſen; häufig machen ſie ſich im ganzen Geſicht ſchwarze Flecke, um grimmiger auszuſehen. Die Ge- meindebeamten, der Governador und die Alkalden, die allein das Recht haben, lange Stöcke zu tragen, machten uns ihre Aufwartung. Es waren junge Indianer von achtzehn, zwanzig Jahren darunter; denn ihre Wahl hängt einzig vom Gut- dünken des Miſſionärs ab. Wir wunderten uns nicht wenig, als uns an dieſen mit Onoto bemalten Kariben das wichtig thuende Weſen, die gemeſſene Haltung, das kalte, herabſehende Benehmen entgegentraten, wie man ſie hin und wieder bei Beamten in der Alten Welt findet. Die karibiſchen Weiber ſind nicht ſo kräftig und häßlicher als die Männer. Die Laſt der häuslichen Geſchäfte und der Feldarbeit liegt faſt ganz auf ihnen. Sie baten uns dringend um Stecknadeln, die ſie
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tiken Bronzeſtatuen. Bei den Männern iſt das Haar ſehr charak-
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Chorknaben. Die Stirne iſt zum Teil glatt geſchoren, wo-
durch ſie ſehr hoch erſcheint. Ein ſtarker, kreisrund geſchnittener
Haarbüſchel fängt erſt ganz nahe am Scheitel an. Dieſe
Aehnlichkeit der Kariben mit den Mönchen iſt nicht etwa eine
Folge des Lebens in den Miſſionen; ſie rührt nicht, wie man
fälſchlich behauptet hat, daher, daß es die Eingeborenen ihren
Herren und Meiſtern, den Patres Franizskanern, gleich thun
wollen. Die Stämme, die zwiſchen den Quellen des Carony
und des Rio Branco in wilder Unabhängigkeit verharren,
zeichnen ſich durch eben dieſen Cerquillo de frailes
aus, den ſchon bei der Entdeckung von Amerika die früheſten
ſpaniſchen Geſchichtſchreiber den Völkern von karibiſchem
Stamme zuſchrieben. Alle Glieder dieſes Stammes, die wir
bei unſerer Fahrt auf dem unteren Orinoko und in den Miſ-
ſionen von Piritu geſehen, unterſcheiden ſich von den übrigen
Indianern nicht allein durch ihren hohen Wuchs, ſondern auch
durch ihre regelmäßigen Züge. Ihre Naſe iſt nicht ſo breit
und platt, ihre Backenknochen ſpringen nicht ſo ſtark vor, der
ganze Geſichtsausdruck iſt weniger mongoliſch. Aus ihren
Augen, die ſchwärzer ſind als bei den anderen Horden in
Guyana, ſpricht Verſtand, faſt möchte man ſagen Nachdenk-
lichkeit. Die Kariben haben etwas Ernſtes in ihrem Benehmen
und etwas Schwermütiges im Blick, wie die Mehrzahl der
Ureinwohner der Neuen Welt. Der ernſte Ausdruck ihrer
Züge wird noch bedeutend dadurch geſteigert, daß ſie die Aug-
brauen mit dem Saft des Caruto färben, ſie ſtärker machen
und zuſammenlaufen laſſen; häufig machen ſie ſich im ganzen
Geſicht ſchwarze Flecke, um grimmiger auszuſehen. Die Ge-
meindebeamten, der Governador und die Alkalden, die allein
das Recht haben, lange Stöcke zu tragen, machten uns ihre
Aufwartung. Es waren junge Indianer von achtzehn, zwanzig
Jahren darunter; denn ihre Wahl hängt einzig vom Gut-
dünken des Miſſionärs ab. Wir wunderten uns nicht wenig,
als uns an dieſen mit Onoto bemalten Kariben das wichtig
thuende Weſen, die gemeſſene Haltung, das kalte, herabſehende
Benehmen entgegentraten, wie man ſie hin und wieder bei
Beamten in der Alten Welt findet. Die karibiſchen Weiber
ſind nicht ſo kräftig und häßlicher als die Männer. Die Laſt
der häuslichen Geſchäfte und der Feldarbeit liegt faſt ganz
auf ihnen. Sie baten uns dringend um Stecknadeln, die ſie
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/240>, abgerufen am 24.05.2024.
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