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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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gedient haben, seltsam entstellt. Ich werde, wenn von den
Quellen des Orinoko die Rede ist, Gelegenheit finden, von
den Voraussetzungen zu sprechen, die zu diesen Irrtümern
Anlaß gegeben haben. Hätte Pater Caulin die Karte sehen
können, die man seinem Werke beigegeben, so hätte er sich
nicht wenig gewundert, daß man darin die Fiktionen wieder
aufgenommen, die er mit zuverlässigen, an Ort und Stelle
eingezogenen Nachrichten widerlegt hat. Dieser Missionär sagt
lediglich, der Idapa entspringe in einem bergigen Lande,
bei dem die Amuisanasindianer hausen. Aus diesen In-
dianern wurden Amoizanas oder Amazonas gemacht, und
den Rio Idapa ließ man aus einer Quelle entspringen, die
am Flecke selbst, wo sie aus der Erde sprudelt, sich in
zwei Zweige teilt, die nach gerade entgegengesetzten Seiten
laufen. Eine solche Gabelung einer Quelle ist ein reines
Phantasiebild.

Wir übernachteten unter freiem Himmel beim Raudal
des Cunuri. Das Getöse des kleinen Kataraktes wurde in der
Nacht auffallend stärker. Unsere Indianer behaupteten, dies
sei ein sicheres Vorzeichen des Regens. Ich erinnerte mich,
daß auch die Bewohner der Alpen auf dieses Wetterzeichen 1
sehr viel halten. Wirklich regnete es lange vor Sonnenauf-
gang. Uebrigens hatte uns das lange anhaltende Geheul
der Araguaten, lange bevor der Wasserfall lauter wurde, ver-
kündet, daß ein Regenguß im Anzug sei.


1 "Es gibt Regen, weil man die Gießbäche näher rauschen
hört," heißt es in den Alpen wie in den Anden. Deluc hat die
Erscheinung dadurch zu erklären versucht, daß infolge eines Wechsels
im barometrischen Druck mehr Luftblasen an der Wasserfläche platzen.
Diese Erklärung ist so gezwungen als unbefriedigend. Ich will ihr
keine andere Hypothese entgegenstellen, ich mache nur darauf auf-
merksam, daß die Erscheinung auf einer Modifikation der Luft be-
ruht, welche auf die Schallwellen und auf die Lichtwellen
zumal Einfluß äußert. Wenn die Verstärkung des Schalles als
Wetterzeichen gilt, so hängt dies ganz genau damit zusammen, daß
man der geringeren Schwächung des Lichtes dieselbe Bedeutung bei-
legt. Die Aelpler behaupten mit Zuversicht, das Wetter ändere sich,
wenn bei ruhiger Luft die mit ewigem Schnee bedeckten Alpen dem
Beobachter auf einmal nahe gerückt scheinen und sich ihre Umrisse
ungewöhnlich scharf vom Himmelsblau abheben. Was ist die Ur-
sache, daß in den vertikalen Luftschichten der Mangel an Homogeneität
so rasch aufgehoben wird?

gedient haben, ſeltſam entſtellt. Ich werde, wenn von den
Quellen des Orinoko die Rede iſt, Gelegenheit finden, von
den Vorausſetzungen zu ſprechen, die zu dieſen Irrtümern
Anlaß gegeben haben. Hätte Pater Caulin die Karte ſehen
können, die man ſeinem Werke beigegeben, ſo hätte er ſich
nicht wenig gewundert, daß man darin die Fiktionen wieder
aufgenommen, die er mit zuverläſſigen, an Ort und Stelle
eingezogenen Nachrichten widerlegt hat. Dieſer Miſſionär ſagt
lediglich, der Idapa entſpringe in einem bergigen Lande,
bei dem die Amuiſanasindianer hauſen. Aus dieſen In-
dianern wurden Amoizanas oder Amazonas gemacht, und
den Rio Idapa ließ man aus einer Quelle entſpringen, die
am Flecke ſelbſt, wo ſie aus der Erde ſprudelt, ſich in
zwei Zweige teilt, die nach gerade entgegengeſetzten Seiten
laufen. Eine ſolche Gabelung einer Quelle iſt ein reines
Phantaſiebild.

Wir übernachteten unter freiem Himmel beim Raudal
des Cunuri. Das Getöſe des kleinen Kataraktes wurde in der
Nacht auffallend ſtärker. Unſere Indianer behaupteten, dies
ſei ein ſicheres Vorzeichen des Regens. Ich erinnerte mich,
daß auch die Bewohner der Alpen auf dieſes Wetterzeichen 1
ſehr viel halten. Wirklich regnete es lange vor Sonnenauf-
gang. Uebrigens hatte uns das lange anhaltende Geheul
der Araguaten, lange bevor der Waſſerfall lauter wurde, ver-
kündet, daß ein Regenguß im Anzug ſei.


1 „Es gibt Regen, weil man die Gießbäche näher rauſchen
hört,“ heißt es in den Alpen wie in den Anden. Deluc hat die
Erſcheinung dadurch zu erklären verſucht, daß infolge eines Wechſels
im barometriſchen Druck mehr Luftblaſen an der Waſſerfläche platzen.
Dieſe Erklärung iſt ſo gezwungen als unbefriedigend. Ich will ihr
keine andere Hypotheſe entgegenſtellen, ich mache nur darauf auf-
merkſam, daß die Erſcheinung auf einer Modifikation der Luft be-
ruht, welche auf die Schallwellen und auf die Lichtwellen
zumal Einfluß äußert. Wenn die Verſtärkung des Schalles als
Wetterzeichen gilt, ſo hängt dies ganz genau damit zuſammen, daß
man der geringeren Schwächung des Lichtes dieſelbe Bedeutung bei-
legt. Die Aelpler behaupten mit Zuverſicht, das Wetter ändere ſich,
wenn bei ruhiger Luft die mit ewigem Schnee bedeckten Alpen dem
Beobachter auf einmal nahe gerückt ſcheinen und ſich ihre Umriſſe
ungewöhnlich ſcharf vom Himmelsblau abheben. Was iſt die Ur-
ſache, daß in den vertikalen Luftſchichten der Mangel an Homogeneität
ſo raſch aufgehoben wird?
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[22/0030] gedient haben, ſeltſam entſtellt. Ich werde, wenn von den Quellen des Orinoko die Rede iſt, Gelegenheit finden, von den Vorausſetzungen zu ſprechen, die zu dieſen Irrtümern Anlaß gegeben haben. Hätte Pater Caulin die Karte ſehen können, die man ſeinem Werke beigegeben, ſo hätte er ſich nicht wenig gewundert, daß man darin die Fiktionen wieder aufgenommen, die er mit zuverläſſigen, an Ort und Stelle eingezogenen Nachrichten widerlegt hat. Dieſer Miſſionär ſagt lediglich, der Idapa entſpringe in einem bergigen Lande, bei dem die Amuiſanasindianer hauſen. Aus dieſen In- dianern wurden Amoizanas oder Amazonas gemacht, und den Rio Idapa ließ man aus einer Quelle entſpringen, die am Flecke ſelbſt, wo ſie aus der Erde ſprudelt, ſich in zwei Zweige teilt, die nach gerade entgegengeſetzten Seiten laufen. Eine ſolche Gabelung einer Quelle iſt ein reines Phantaſiebild. Wir übernachteten unter freiem Himmel beim Raudal des Cunuri. Das Getöſe des kleinen Kataraktes wurde in der Nacht auffallend ſtärker. Unſere Indianer behaupteten, dies ſei ein ſicheres Vorzeichen des Regens. Ich erinnerte mich, daß auch die Bewohner der Alpen auf dieſes Wetterzeichen 1 ſehr viel halten. Wirklich regnete es lange vor Sonnenauf- gang. Uebrigens hatte uns das lange anhaltende Geheul der Araguaten, lange bevor der Waſſerfall lauter wurde, ver- kündet, daß ein Regenguß im Anzug ſei. 1 „Es gibt Regen, weil man die Gießbäche näher rauſchen hört,“ heißt es in den Alpen wie in den Anden. Deluc hat die Erſcheinung dadurch zu erklären verſucht, daß infolge eines Wechſels im barometriſchen Druck mehr Luftblaſen an der Waſſerfläche platzen. Dieſe Erklärung iſt ſo gezwungen als unbefriedigend. Ich will ihr keine andere Hypotheſe entgegenſtellen, ich mache nur darauf auf- merkſam, daß die Erſcheinung auf einer Modifikation der Luft be- ruht, welche auf die Schallwellen und auf die Lichtwellen zumal Einfluß äußert. Wenn die Verſtärkung des Schalles als Wetterzeichen gilt, ſo hängt dies ganz genau damit zuſammen, daß man der geringeren Schwächung des Lichtes dieſelbe Bedeutung bei- legt. Die Aelpler behaupten mit Zuverſicht, das Wetter ändere ſich, wenn bei ruhiger Luft die mit ewigem Schnee bedeckten Alpen dem Beobachter auf einmal nahe gerückt ſcheinen und ſich ihre Umriſſe ungewöhnlich ſcharf vom Himmelsblau abheben. Was iſt die Ur- ſache, daß in den vertikalen Luftſchichten der Mangel an Homogeneität ſo raſch aufgehoben wird?

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/30>, abgerufen am 09.11.2024.