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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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des Kolonialsystems möglich war, republikanische Staatsformen
in großem Maßstab und in so großer Zahl wieder ins Leben
rufen mußte. Nach der Anschauung berühmter Schriftsteller
sind die Umwandlungen auf dem Boden der Gesellschaft,
welche ein bedeutender Teil von Europa in unseren Tagen
erlitten hat, eine Nachwirkung der religiösen Reform zu An-
fang des 16. Jahrhunderts. Es ist nicht zu vergessen, daß
in diese denkwürdige Zeit, in der ungezügelte Leidenschaften
und der Hang zu starren Dogmen die Klippen der euro-
päischen Staatskunst waren, auch die Eroberung von Mexiko,
Peru und Cundinamarca fällt, eine Eroberung, durch die, wie
sich der Verfasser des Esprit des lois so schön ausdrückt, das
Mutterland eine unermeßliche Schuld auf sich genommen, die
es der Menschheit abzutragen hat. Ungeheure Provinzen
wurden durch kastilianische Tapferkeit den Ansiedlern aufge-
than und durch die Bande gemeinsamer Sprache, Sitte und
Gottesverehrung verknüpft. Und so hat denn durch das merk-
würdigste Zusammentreffen von Ereignissen die Regierung
des mächtigsten und unumschränktesten Monarchen Europas,
Karls V., die Keime ausgestreut zum Kampfe des 19. Jahr-
hunderts und den Grund gelegt zu den staatlichen Vereinen,
die, eben erst ins Leben getreten, uns durch ihren Umfang
und die Gleichförmigkeit der dabei herrschenden Grundsätze in
Erstaunen setzen. Befestigt sich die Emanzipation des spani-
schen Amerika, wie man bis jetzt mit allem Grund hoffen
darf, so sieht ein Meeresarm, der Atlantische Ozean, auf seinen,
beiden Ufern Regierungsformen, die, so grundverschieden sie
sind, einander nicht notwendig feindselig gegenübertreten.
Nicht allen Völkern beider Welten mag dieselbe Verfassung
zum Heile gereichen; der wachsende Wohlstand einer Republik
ist kein Schimpf für monarchische Staaten, solange sie mit
Weisheit und Achtung vor den Gesetzen und öffentlichen Frei-
heiten regiert werden.

Seit die Entwickelung der Schiffahrtskunst und die sich
steigernde Thätigkeit der Handelsvölker die Küsten der beiden
Festländer einander näher gerückt haben, seit die Havana,
Rio Janeiro und der Senegal uns kaum entlegener vor-
kommen als Cadiz, Smyrna und die Häfen des Baltischen
Meeres, nimmt man Anstand, die Leser mit einer Ueberfahrt
von der Küste von Caracas nach der Insel Cuba zu behelligen.
Das Meer der Antillen ist so bekannt wie das Becken des
Mittelmeeres, und wenn ich hier aus meinem Seetagebuch

des Kolonialſyſtems möglich war, republikaniſche Staatsformen
in großem Maßſtab und in ſo großer Zahl wieder ins Leben
rufen mußte. Nach der Anſchauung berühmter Schriftſteller
ſind die Umwandlungen auf dem Boden der Geſellſchaft,
welche ein bedeutender Teil von Europa in unſeren Tagen
erlitten hat, eine Nachwirkung der religiöſen Reform zu An-
fang des 16. Jahrhunderts. Es iſt nicht zu vergeſſen, daß
in dieſe denkwürdige Zeit, in der ungezügelte Leidenſchaften
und der Hang zu ſtarren Dogmen die Klippen der euro-
päiſchen Staatskunſt waren, auch die Eroberung von Mexiko,
Peru und Cundinamarca fällt, eine Eroberung, durch die, wie
ſich der Verfaſſer des Esprit des lois ſo ſchön ausdrückt, das
Mutterland eine unermeßliche Schuld auf ſich genommen, die
es der Menſchheit abzutragen hat. Ungeheure Provinzen
wurden durch kaſtilianiſche Tapferkeit den Anſiedlern aufge-
than und durch die Bande gemeinſamer Sprache, Sitte und
Gottesverehrung verknüpft. Und ſo hat denn durch das merk-
würdigſte Zuſammentreffen von Ereigniſſen die Regierung
des mächtigſten und unumſchränkteſten Monarchen Europas,
Karls V., die Keime ausgeſtreut zum Kampfe des 19. Jahr-
hunderts und den Grund gelegt zu den ſtaatlichen Vereinen,
die, eben erſt ins Leben getreten, uns durch ihren Umfang
und die Gleichförmigkeit der dabei herrſchenden Grundſätze in
Erſtaunen ſetzen. Befeſtigt ſich die Emanzipation des ſpani-
ſchen Amerika, wie man bis jetzt mit allem Grund hoffen
darf, ſo ſieht ein Meeresarm, der Atlantiſche Ozean, auf ſeinen,
beiden Ufern Regierungsformen, die, ſo grundverſchieden ſie
ſind, einander nicht notwendig feindſelig gegenübertreten.
Nicht allen Völkern beider Welten mag dieſelbe Verfaſſung
zum Heile gereichen; der wachſende Wohlſtand einer Republik
iſt kein Schimpf für monarchiſche Staaten, ſolange ſie mit
Weisheit und Achtung vor den Geſetzen und öffentlichen Frei-
heiten regiert werden.

Seit die Entwickelung der Schiffahrtskunſt und die ſich
ſteigernde Thätigkeit der Handelsvölker die Küſten der beiden
Feſtländer einander näher gerückt haben, ſeit die Havana,
Rio Janeiro und der Senegal uns kaum entlegener vor-
kommen als Cadiz, Smyrna und die Häfen des Baltiſchen
Meeres, nimmt man Anſtand, die Leſer mit einer Ueberfahrt
von der Küſte von Caracas nach der Inſel Cuba zu behelligen.
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Mittelmeeres, und wenn ich hier aus meinem Seetagebuch

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[292/0300] des Kolonialſyſtems möglich war, republikaniſche Staatsformen in großem Maßſtab und in ſo großer Zahl wieder ins Leben rufen mußte. Nach der Anſchauung berühmter Schriftſteller ſind die Umwandlungen auf dem Boden der Geſellſchaft, welche ein bedeutender Teil von Europa in unſeren Tagen erlitten hat, eine Nachwirkung der religiöſen Reform zu An- fang des 16. Jahrhunderts. Es iſt nicht zu vergeſſen, daß in dieſe denkwürdige Zeit, in der ungezügelte Leidenſchaften und der Hang zu ſtarren Dogmen die Klippen der euro- päiſchen Staatskunſt waren, auch die Eroberung von Mexiko, Peru und Cundinamarca fällt, eine Eroberung, durch die, wie ſich der Verfaſſer des Esprit des lois ſo ſchön ausdrückt, das Mutterland eine unermeßliche Schuld auf ſich genommen, die es der Menſchheit abzutragen hat. Ungeheure Provinzen wurden durch kaſtilianiſche Tapferkeit den Anſiedlern aufge- than und durch die Bande gemeinſamer Sprache, Sitte und Gottesverehrung verknüpft. Und ſo hat denn durch das merk- würdigſte Zuſammentreffen von Ereigniſſen die Regierung des mächtigſten und unumſchränkteſten Monarchen Europas, Karls V., die Keime ausgeſtreut zum Kampfe des 19. Jahr- hunderts und den Grund gelegt zu den ſtaatlichen Vereinen, die, eben erſt ins Leben getreten, uns durch ihren Umfang und die Gleichförmigkeit der dabei herrſchenden Grundſätze in Erſtaunen ſetzen. Befeſtigt ſich die Emanzipation des ſpani- ſchen Amerika, wie man bis jetzt mit allem Grund hoffen darf, ſo ſieht ein Meeresarm, der Atlantiſche Ozean, auf ſeinen, beiden Ufern Regierungsformen, die, ſo grundverſchieden ſie ſind, einander nicht notwendig feindſelig gegenübertreten. Nicht allen Völkern beider Welten mag dieſelbe Verfaſſung zum Heile gereichen; der wachſende Wohlſtand einer Republik iſt kein Schimpf für monarchiſche Staaten, ſolange ſie mit Weisheit und Achtung vor den Geſetzen und öffentlichen Frei- heiten regiert werden. Seit die Entwickelung der Schiffahrtskunſt und die ſich ſteigernde Thätigkeit der Handelsvölker die Küſten der beiden Feſtländer einander näher gerückt haben, ſeit die Havana, Rio Janeiro und der Senegal uns kaum entlegener vor- kommen als Cadiz, Smyrna und die Häfen des Baltiſchen Meeres, nimmt man Anſtand, die Leſer mit einer Ueberfahrt von der Küſte von Caracas nach der Inſel Cuba zu behelligen. Das Meer der Antillen iſt ſo bekannt wie das Becken des Mittelmeeres, und wenn ich hier aus meinem Seetagebuch

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 292. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/300>, abgerufen am 22.11.2024.