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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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bedecktes Eiland vorgestellt hatte, zeigte sich jetzt in schönem
Grün; die Gneishügel waren mit Gräsern bewachsen. Im
geologischen Bau scheint Orchila im kleinen mit der Insel
Margarita übereinzukommen; sie besteht aus zwei, durch eine
Landzunge verbundenen Felsgruppen; jene ist ein mit Sand
bedeckter Isthmus, der aussieht, als wäre er beim allmählichen
Sinken des Meeresspiegels aus dem Wasser gestiegen. Die
Felsen erschienen hier, wie überall, wo sie sich einzeln steil
aus der See erheben, weit höher als sie wirklich sind; sie
sind kaum 155 bis 175 m hoch. Gegen Nordwest streicht
die Punta rasa hinaus und verliert sich als Untiefe im
Wasser. Sie kann den Schiffen gefährlich werden, wie auch
der Mogote, der, 4 km vom westlichen Kap, von Klippen
umgeben ist. Wir betrachteten die Felsen ganz in der Nähe
und sahen die Gneisschichten nach Nordwest fallen und von
dicken Quarzlagern durchzogen. Von der Verwitterung dieser
Lager rührte ohne Zweifel der Sand des umgebenden Strandes
her. Ein paar Baumgruppen beschatten die Gründe; oben
auf den Hügeln stehen Palmen mit fächerförmigem Laub.
Es ist wahrscheinlich die Palma de Sombrero der Llanos
(Corypha tectorum). Es regnet wenig in diesen Strichen,
indessen fände man auf der Insel Orchila wahrscheinlich doch
einige Quellen, wenn man sie so eifrig suchte, wie im Glim-
merschiefergestein auf Punta Araya. Wenn man bedenkt, wie
viele dürre Felseneilande zwischen dem 16. und 26. Grad der
Breite im Archipel der Kleinen Antillen und der Bahamainseln
bewohnt und gut angebaut sind, so wundert man sich, diese
den Küsten von Cumana, Barcelona und Caracas so nahe
gelegenen Eilande wüste liegen zu sehen. Es wäre längst
anders, wenn sie unter einer andern Regierung als unter der
von Terra Firma ständen. Nichts kann Menschen veranlassen,
ihre Thätigkeit auf den engen Bezirk einer Insel zu beschrän-
ken, wenn das nahe Festland ihnen größere Vorteile bietet.

Bei Sonnenuntergang kamen uns die zwei Spitzen der
Roca de afuera zu Gesicht, die sich wie Türme aus der
See erheben. Nach der Aufnahme mit dem Kompaß liegt
der östlichste dieser Felsen 0° 19' westwärts vom westlichen
Kap von Orchila. Die Wolken blieben lange um diese Insel
geballt, so daß man ihre Lage weit in See erkannte. Der
Einfluß, den eine kleine Landmasse auf die Verdichtung der
1560 m hoch schwebenden Wasserdünste äußert, ist eine sehr
auffallende Erscheinung, aber allen Seefahrern wohl bekannt.

bedecktes Eiland vorgeſtellt hatte, zeigte ſich jetzt in ſchönem
Grün; die Gneishügel waren mit Gräſern bewachſen. Im
geologiſchen Bau ſcheint Orchila im kleinen mit der Inſel
Margarita übereinzukommen; ſie beſteht aus zwei, durch eine
Landzunge verbundenen Felsgruppen; jene iſt ein mit Sand
bedeckter Iſthmus, der ausſieht, als wäre er beim allmählichen
Sinken des Meeresſpiegels aus dem Waſſer geſtiegen. Die
Felſen erſchienen hier, wie überall, wo ſie ſich einzeln ſteil
aus der See erheben, weit höher als ſie wirklich ſind; ſie
ſind kaum 155 bis 175 m hoch. Gegen Nordweſt ſtreicht
die Punta rasa hinaus und verliert ſich als Untiefe im
Waſſer. Sie kann den Schiffen gefährlich werden, wie auch
der Mogote, der, 4 km vom weſtlichen Kap, von Klippen
umgeben iſt. Wir betrachteten die Felſen ganz in der Nähe
und ſahen die Gneisſchichten nach Nordweſt fallen und von
dicken Quarzlagern durchzogen. Von der Verwitterung dieſer
Lager rührte ohne Zweifel der Sand des umgebenden Strandes
her. Ein paar Baumgruppen beſchatten die Gründe; oben
auf den Hügeln ſtehen Palmen mit fächerförmigem Laub.
Es iſt wahrſcheinlich die Palma de Sombrero der Llanos
(Corypha tectorum). Es regnet wenig in dieſen Strichen,
indeſſen fände man auf der Inſel Orchila wahrſcheinlich doch
einige Quellen, wenn man ſie ſo eifrig ſuchte, wie im Glim-
merſchiefergeſtein auf Punta Araya. Wenn man bedenkt, wie
viele dürre Felſeneilande zwiſchen dem 16. und 26. Grad der
Breite im Archipel der Kleinen Antillen und der Bahamainſeln
bewohnt und gut angebaut ſind, ſo wundert man ſich, dieſe
den Küſten von Cumana, Barcelona und Caracas ſo nahe
gelegenen Eilande wüſte liegen zu ſehen. Es wäre längſt
anders, wenn ſie unter einer andern Regierung als unter der
von Terra Firma ſtänden. Nichts kann Menſchen veranlaſſen,
ihre Thätigkeit auf den engen Bezirk einer Inſel zu beſchrän-
ken, wenn das nahe Feſtland ihnen größere Vorteile bietet.

Bei Sonnenuntergang kamen uns die zwei Spitzen der
Roca de afuera zu Geſicht, die ſich wie Türme aus der
See erheben. Nach der Aufnahme mit dem Kompaß liegt
der öſtlichſte dieſer Felſen 0° 19′ weſtwärts vom weſtlichen
Kap von Orchila. Die Wolken blieben lange um dieſe Inſel
geballt, ſo daß man ihre Lage weit in See erkannte. Der
Einfluß, den eine kleine Landmaſſe auf die Verdichtung der
1560 m hoch ſchwebenden Waſſerdünſte äußert, iſt eine ſehr
auffallende Erſcheinung, aber allen Seefahrern wohl bekannt.

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[295/0303] bedecktes Eiland vorgeſtellt hatte, zeigte ſich jetzt in ſchönem Grün; die Gneishügel waren mit Gräſern bewachſen. Im geologiſchen Bau ſcheint Orchila im kleinen mit der Inſel Margarita übereinzukommen; ſie beſteht aus zwei, durch eine Landzunge verbundenen Felsgruppen; jene iſt ein mit Sand bedeckter Iſthmus, der ausſieht, als wäre er beim allmählichen Sinken des Meeresſpiegels aus dem Waſſer geſtiegen. Die Felſen erſchienen hier, wie überall, wo ſie ſich einzeln ſteil aus der See erheben, weit höher als ſie wirklich ſind; ſie ſind kaum 155 bis 175 m hoch. Gegen Nordweſt ſtreicht die Punta rasa hinaus und verliert ſich als Untiefe im Waſſer. Sie kann den Schiffen gefährlich werden, wie auch der Mogote, der, 4 km vom weſtlichen Kap, von Klippen umgeben iſt. Wir betrachteten die Felſen ganz in der Nähe und ſahen die Gneisſchichten nach Nordweſt fallen und von dicken Quarzlagern durchzogen. Von der Verwitterung dieſer Lager rührte ohne Zweifel der Sand des umgebenden Strandes her. Ein paar Baumgruppen beſchatten die Gründe; oben auf den Hügeln ſtehen Palmen mit fächerförmigem Laub. Es iſt wahrſcheinlich die Palma de Sombrero der Llanos (Corypha tectorum). Es regnet wenig in dieſen Strichen, indeſſen fände man auf der Inſel Orchila wahrſcheinlich doch einige Quellen, wenn man ſie ſo eifrig ſuchte, wie im Glim- merſchiefergeſtein auf Punta Araya. Wenn man bedenkt, wie viele dürre Felſeneilande zwiſchen dem 16. und 26. Grad der Breite im Archipel der Kleinen Antillen und der Bahamainſeln bewohnt und gut angebaut ſind, ſo wundert man ſich, dieſe den Küſten von Cumana, Barcelona und Caracas ſo nahe gelegenen Eilande wüſte liegen zu ſehen. Es wäre längſt anders, wenn ſie unter einer andern Regierung als unter der von Terra Firma ſtänden. Nichts kann Menſchen veranlaſſen, ihre Thätigkeit auf den engen Bezirk einer Inſel zu beſchrän- ken, wenn das nahe Feſtland ihnen größere Vorteile bietet. Bei Sonnenuntergang kamen uns die zwei Spitzen der Roca de afuera zu Geſicht, die ſich wie Türme aus der See erheben. Nach der Aufnahme mit dem Kompaß liegt der öſtlichſte dieſer Felſen 0° 19′ weſtwärts vom weſtlichen Kap von Orchila. Die Wolken blieben lange um dieſe Inſel geballt, ſo daß man ihre Lage weit in See erkannte. Der Einfluß, den eine kleine Landmaſſe auf die Verdichtung der 1560 m hoch ſchwebenden Waſſerdünſte äußert, iſt eine ſehr auffallende Erſcheinung, aber allen Seefahrern wohl bekannt.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 295. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/303>, abgerufen am 09.11.2024.