einige Bewegung machen zu können. Beim letzten Nachtlager am Cassiquiare wurde unsere Freude getrübt. Ich nehme keinen Anstand, hier einen Vorfall zu erzählen, der für den Leser von keinem großen Belang ist, der aber in einem Tagebuche, das die Begebnisse auf der Fahrt durch ein so wildes Land schil- dert, immerhin eine Stelle finden mag. Wir lagerten am Waldsaume. Mitten in der Nacht meldeten uns die Indianer, man höre den Jaguar ganz in der Nähe brüllen, und zwar von den nahestehenden Bäumen herab. Die Wälder sind hier so dicht, daß fast keine anderen Tiere darin vorkommen, als solche, die auf die Bäume klettern, Vierhänder, Cercolepten, Viverren und verschiedene Katzenarten. Da unsere Feuer hell brannten, und da man durch lange Gewöhnung Gefahren, die durchaus nicht eingebildet sind, ich möchte sagen systema- tisch nicht achten lernt, so machten wir uns aus dem Brüllen des Jaguars nicht viel. Der Geruch und die Stimme unseres Hundes hatten sie hergelockt. Der Hund (eine große Dogge) bellte anfangs; als aber der Tiger näher kam, fing er an zu heulen und kroch unter unsere Hängematten, als wollte er beim Menschen Schutz suchen. Seit unseren Nachtlagern am Rio Apure waren wir daran gewöhnt, bei dem Tiere, das jung, sanftmütig und einschmeichelnd war, in dieser Weise Mut und Schüchternheit wechseln zu sehen. Wie groß war unser Verdruß, als uns am Morgen, da wir eben das Fahr- zeug besteigen wollten, die Indianer meldeten, der Hund sei verschwunden! Es war kein Zweifel, die Jaguare hatten ihn fortgeschleppt. Vielleicht war er, da er sie nicht mehr brüllen hörte, von den Feuern weg dem Ufer zu gegangen; vielleicht aber auch hatten wir den Hund nicht winseln hören, da wir im tiefsten Schlafe lagen. Am Orinoko und am Magdalenenstrome versicherte man uns oft, die ältesten Jaguare (also solche, die viele Jahre bei Nacht gejagt haben) seien so verschlagen, daß sie mitten aus einem Nachtlager Tiere herausholen, indem sie ihnen den Hals zudrücken, damit sie nicht schreien können. Wir warteten am Morgen lange, in der Hoffnung, der Hund möchte sich nur verlaufen haben. Drei Tage später kamen wir an denselben Platz zurück. Auch jetzt hörten wir die Jaguare wieder brüllen, denn diese Tiere haben eine Vorliebe für gewisse Orte, aber all unser Suchen war vergeblich. Die Dogge, die seit Caracas unser Begleiter gewesen und so oft schwimmend den Krokodilen entgangen war, war im Walde zerrissen worden. Ich erwähne dieses
einige Bewegung machen zu können. Beim letzten Nachtlager am Caſſiquiare wurde unſere Freude getrübt. Ich nehme keinen Anſtand, hier einen Vorfall zu erzählen, der für den Leſer von keinem großen Belang iſt, der aber in einem Tagebuche, das die Begebniſſe auf der Fahrt durch ein ſo wildes Land ſchil- dert, immerhin eine Stelle finden mag. Wir lagerten am Waldſaume. Mitten in der Nacht meldeten uns die Indianer, man höre den Jaguar ganz in der Nähe brüllen, und zwar von den naheſtehenden Bäumen herab. Die Wälder ſind hier ſo dicht, daß faſt keine anderen Tiere darin vorkommen, als ſolche, die auf die Bäume klettern, Vierhänder, Cercolepten, Viverren und verſchiedene Katzenarten. Da unſere Feuer hell brannten, und da man durch lange Gewöhnung Gefahren, die durchaus nicht eingebildet ſind, ich möchte ſagen ſyſtema- tiſch nicht achten lernt, ſo machten wir uns aus dem Brüllen des Jaguars nicht viel. Der Geruch und die Stimme unſeres Hundes hatten ſie hergelockt. Der Hund (eine große Dogge) bellte anfangs; als aber der Tiger näher kam, fing er an zu heulen und kroch unter unſere Hängematten, als wollte er beim Menſchen Schutz ſuchen. Seit unſeren Nachtlagern am Rio Apure waren wir daran gewöhnt, bei dem Tiere, das jung, ſanftmütig und einſchmeichelnd war, in dieſer Weiſe Mut und Schüchternheit wechſeln zu ſehen. Wie groß war unſer Verdruß, als uns am Morgen, da wir eben das Fahr- zeug beſteigen wollten, die Indianer meldeten, der Hund ſei verſchwunden! Es war kein Zweifel, die Jaguare hatten ihn fortgeſchleppt. Vielleicht war er, da er ſie nicht mehr brüllen hörte, von den Feuern weg dem Ufer zu gegangen; vielleicht aber auch hatten wir den Hund nicht winſeln hören, da wir im tiefſten Schlafe lagen. Am Orinoko und am Magdalenenſtrome verſicherte man uns oft, die älteſten Jaguare (alſo ſolche, die viele Jahre bei Nacht gejagt haben) ſeien ſo verſchlagen, daß ſie mitten aus einem Nachtlager Tiere herausholen, indem ſie ihnen den Hals zudrücken, damit ſie nicht ſchreien können. Wir warteten am Morgen lange, in der Hoffnung, der Hund möchte ſich nur verlaufen haben. Drei Tage ſpäter kamen wir an denſelben Platz zurück. Auch jetzt hörten wir die Jaguare wieder brüllen, denn dieſe Tiere haben eine Vorliebe für gewiſſe Orte, aber all unſer Suchen war vergeblich. Die Dogge, die ſeit Caracas unſer Begleiter geweſen und ſo oft ſchwimmend den Krokodilen entgangen war, war im Walde zerriſſen worden. Ich erwähne dieſes
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[28/0036]
einige Bewegung machen zu können. Beim letzten Nachtlager am
Caſſiquiare wurde unſere Freude getrübt. Ich nehme keinen
Anſtand, hier einen Vorfall zu erzählen, der für den Leſer von
keinem großen Belang iſt, der aber in einem Tagebuche, das
die Begebniſſe auf der Fahrt durch ein ſo wildes Land ſchil-
dert, immerhin eine Stelle finden mag. Wir lagerten am
Waldſaume. Mitten in der Nacht meldeten uns die Indianer,
man höre den Jaguar ganz in der Nähe brüllen, und zwar
von den naheſtehenden Bäumen herab. Die Wälder ſind hier
ſo dicht, daß faſt keine anderen Tiere darin vorkommen, als
ſolche, die auf die Bäume klettern, Vierhänder, Cercolepten,
Viverren und verſchiedene Katzenarten. Da unſere Feuer hell
brannten, und da man durch lange Gewöhnung Gefahren,
die durchaus nicht eingebildet ſind, ich möchte ſagen ſyſtema-
tiſch nicht achten lernt, ſo machten wir uns aus dem Brüllen
des Jaguars nicht viel. Der Geruch und die Stimme unſeres
Hundes hatten ſie hergelockt. Der Hund (eine große Dogge)
bellte anfangs; als aber der Tiger näher kam, fing er an zu
heulen und kroch unter unſere Hängematten, als wollte er
beim Menſchen Schutz ſuchen. Seit unſeren Nachtlagern am
Rio Apure waren wir daran gewöhnt, bei dem Tiere, das
jung, ſanftmütig und einſchmeichelnd war, in dieſer Weiſe
Mut und Schüchternheit wechſeln zu ſehen. Wie groß war
unſer Verdruß, als uns am Morgen, da wir eben das Fahr-
zeug beſteigen wollten, die Indianer meldeten, der Hund
ſei verſchwunden! Es war kein Zweifel, die Jaguare hatten
ihn fortgeſchleppt. Vielleicht war er, da er ſie nicht mehr
brüllen hörte, von den Feuern weg dem Ufer zu gegangen;
vielleicht aber auch hatten wir den Hund nicht winſeln hören,
da wir im tiefſten Schlafe lagen. Am Orinoko und am
Magdalenenſtrome verſicherte man uns oft, die älteſten Jaguare
(alſo ſolche, die viele Jahre bei Nacht gejagt haben) ſeien
ſo verſchlagen, daß ſie mitten aus einem Nachtlager Tiere
herausholen, indem ſie ihnen den Hals zudrücken, damit ſie
nicht ſchreien können. Wir warteten am Morgen lange, in der
Hoffnung, der Hund möchte ſich nur verlaufen haben. Drei
Tage ſpäter kamen wir an denſelben Platz zurück. Auch jetzt
hörten wir die Jaguare wieder brüllen, denn dieſe Tiere
haben eine Vorliebe für gewiſſe Orte, aber all unſer Suchen
war vergeblich. Die Dogge, die ſeit Caracas unſer Begleiter
geweſen und ſo oft ſchwimmend den Krokodilen entgangen
war, war im Walde zerriſſen worden. Ich erwähne dieſes
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/36>, abgerufen am 24.11.2024.
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