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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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von dessen beiden entgegengesetzten Abhängen die Gewässer
ihm zulaufen. Von den Alpenthälern des Maraguaca an
läuft der Fluß zuerst gegen West oder West-Nord-West, als
sollte er sich in die Südsee ergießen; darauf, beim Einflusse
des Guaviare, fängt er an, nach Nord umzubiegen und läuft
in der Richtung eines Meridians bis zur Mündung des
Apure, wo ein zweiter "Wiederkehrungspunkt" liegt. Auf
diesem Stücke seines Laufes füllt der Orinoko eine Art
Rinne, die durch das sanfte Gefälle, das sich von der sehr
fernen Andenkette von Neugranada herunterzieht und durch
den ganz kurzen Gegenhang, der ostwärts zur steilen Gebirgs-
wand der Parime hinaufläuft, gebildet wird. Infolge dieser
Bodenbildung kommen die bedeutendsten Zuflüsse dem Orinoko
von Westen her zu. Da der Hauptbehälter ganz nahe an
den Gebirgen der Parime liegt, um die er sich von Süd nach
Nord herumbiegt (als sollte er Portocabello an der Nordküste
von Venezuela zu laufen), so ist sein Bett von Felsmassen
verstopft. Dies ist der Strich der großen Katarakte; der
Strom bricht sich brüllend Bahn durch die Ausläufer, die
gegen West fortstreichen, so daß auf der großen "Land-Meer-
enge" 1 (detroit terrestre) zwischen den Kordilleren von Neu-
granada und der Sierra Parime die Felsen am westlichen
Ufer des Stromes nach dieser Sierra angehören. Beim Ein-
flusse des Rio Apure sieht man nun den Orinoko zum zweiten-
mal, und fast plötzlich, aus seiner Richtung von Süd nach
Nord in die von West nach Ost umbiegen, wie weiter oben
der Einfluß des Guaviare den Punkt bezeichnet, wo der west-
liche Lauf rasch zum nördlichen wird. Bei diesen beiden Bie-
gungen wird die Richtung des Hauptbehälters nicht allein
durch den Stoß der Gewässer des Nebenflusses bestimmt, son-

1 Es ist dies eine 360 km breite Oeffnung, die einzige, durch
welche die vereinigten Becken des oberen Orinoko und
des Amazonenstromes mit dem Becken des unteren
Orinoko oder den Llanos von Venezuela
in Verbindung
stehen. Wir betrachten diese Oeffnung geologisch als ein detroit
terrestre,
als eine Land-Meerenge, weil sie macht, daß aus einem
dieser Becken in das andere Gewässer strömen, und weil ohne sie
die Bergkette der Parime, die, gleich den Ketten des Küstenlandes
von Caracas und denen von Mato-Grosso oder Chiquitos, von
Osten nach Westen streicht, unmittelbar mit den Anden von Neu-
granada zusammenhinge.

von deſſen beiden entgegengeſetzten Abhängen die Gewäſſer
ihm zulaufen. Von den Alpenthälern des Maraguaca an
läuft der Fluß zuerſt gegen Weſt oder Weſt-Nord-Weſt, als
ſollte er ſich in die Südſee ergießen; darauf, beim Einfluſſe
des Guaviare, fängt er an, nach Nord umzubiegen und läuft
in der Richtung eines Meridians bis zur Mündung des
Apure, wo ein zweiter „Wiederkehrungspunkt“ liegt. Auf
dieſem Stücke ſeines Laufes füllt der Orinoko eine Art
Rinne, die durch das ſanfte Gefälle, das ſich von der ſehr
fernen Andenkette von Neugranada herunterzieht und durch
den ganz kurzen Gegenhang, der oſtwärts zur ſteilen Gebirgs-
wand der Parime hinaufläuft, gebildet wird. Infolge dieſer
Bodenbildung kommen die bedeutendſten Zuflüſſe dem Orinoko
von Weſten her zu. Da der Hauptbehälter ganz nahe an
den Gebirgen der Parime liegt, um die er ſich von Süd nach
Nord herumbiegt (als ſollte er Portocabello an der Nordküſte
von Venezuela zu laufen), ſo iſt ſein Bett von Felsmaſſen
verſtopft. Dies iſt der Strich der großen Katarakte; der
Strom bricht ſich brüllend Bahn durch die Ausläufer, die
gegen Weſt fortſtreichen, ſo daß auf der großen „Land-Meer-
enge“ 1 (détroit terrestre) zwiſchen den Kordilleren von Neu-
granada und der Sierra Parime die Felſen am weſtlichen
Ufer des Stromes nach dieſer Sierra angehören. Beim Ein-
fluſſe des Rio Apure ſieht man nun den Orinoko zum zweiten-
mal, und faſt plötzlich, aus ſeiner Richtung von Süd nach
Nord in die von Weſt nach Oſt umbiegen, wie weiter oben
der Einfluß des Guaviare den Punkt bezeichnet, wo der weſt-
liche Lauf raſch zum nördlichen wird. Bei dieſen beiden Bie-
gungen wird die Richtung des Hauptbehälters nicht allein
durch den Stoß der Gewäſſer des Nebenfluſſes beſtimmt, ſon-

1 Es iſt dies eine 360 km breite Oeffnung, die einzige, durch
welche die vereinigten Becken des oberen Orinoko und
des Amazonenſtromes mit dem Becken des unteren
Orinoko oder den Llanos von Venezuela
in Verbindung
ſtehen. Wir betrachten dieſe Oeffnung geologiſch als ein détroit
terrestre,
als eine Land-Meerenge, weil ſie macht, daß aus einem
dieſer Becken in das andere Gewäſſer ſtrömen, und weil ohne ſie
die Bergkette der Parime, die, gleich den Ketten des Küſtenlandes
von Caracas und denen von Mato-Groſſo oder Chiquitos, von
Oſten nach Weſten ſtreicht, unmittelbar mit den Anden von Neu-
granada zuſammenhinge.
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[31/0039] von deſſen beiden entgegengeſetzten Abhängen die Gewäſſer ihm zulaufen. Von den Alpenthälern des Maraguaca an läuft der Fluß zuerſt gegen Weſt oder Weſt-Nord-Weſt, als ſollte er ſich in die Südſee ergießen; darauf, beim Einfluſſe des Guaviare, fängt er an, nach Nord umzubiegen und läuft in der Richtung eines Meridians bis zur Mündung des Apure, wo ein zweiter „Wiederkehrungspunkt“ liegt. Auf dieſem Stücke ſeines Laufes füllt der Orinoko eine Art Rinne, die durch das ſanfte Gefälle, das ſich von der ſehr fernen Andenkette von Neugranada herunterzieht und durch den ganz kurzen Gegenhang, der oſtwärts zur ſteilen Gebirgs- wand der Parime hinaufläuft, gebildet wird. Infolge dieſer Bodenbildung kommen die bedeutendſten Zuflüſſe dem Orinoko von Weſten her zu. Da der Hauptbehälter ganz nahe an den Gebirgen der Parime liegt, um die er ſich von Süd nach Nord herumbiegt (als ſollte er Portocabello an der Nordküſte von Venezuela zu laufen), ſo iſt ſein Bett von Felsmaſſen verſtopft. Dies iſt der Strich der großen Katarakte; der Strom bricht ſich brüllend Bahn durch die Ausläufer, die gegen Weſt fortſtreichen, ſo daß auf der großen „Land-Meer- enge“ 1 (détroit terrestre) zwiſchen den Kordilleren von Neu- granada und der Sierra Parime die Felſen am weſtlichen Ufer des Stromes nach dieſer Sierra angehören. Beim Ein- fluſſe des Rio Apure ſieht man nun den Orinoko zum zweiten- mal, und faſt plötzlich, aus ſeiner Richtung von Süd nach Nord in die von Weſt nach Oſt umbiegen, wie weiter oben der Einfluß des Guaviare den Punkt bezeichnet, wo der weſt- liche Lauf raſch zum nördlichen wird. Bei dieſen beiden Bie- gungen wird die Richtung des Hauptbehälters nicht allein durch den Stoß der Gewäſſer des Nebenfluſſes beſtimmt, ſon- 1 Es iſt dies eine 360 km breite Oeffnung, die einzige, durch welche die vereinigten Becken des oberen Orinoko und des Amazonenſtromes mit dem Becken des unteren Orinoko oder den Llanos von Venezuela in Verbindung ſtehen. Wir betrachten dieſe Oeffnung geologiſch als ein détroit terrestre, als eine Land-Meerenge, weil ſie macht, daß aus einem dieſer Becken in das andere Gewäſſer ſtrömen, und weil ohne ſie die Bergkette der Parime, die, gleich den Ketten des Küſtenlandes von Caracas und denen von Mato-Groſſo oder Chiquitos, von Oſten nach Weſten ſtreicht, unmittelbar mit den Anden von Neu- granada zuſammenhinge.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/39>, abgerufen am 21.11.2024.