dalenenstrome, sobald einmal ernstliches kaufmännisches Interesse neue Ansiedler herzieht. Gewohnte Uebel werden leichter er- tragen, und wer in Amerika geboren ist, hat keine so großen Schmerzen zu leiden wie der frisch angekommene Europäer. Auch wird wohl die allmähliche Ausrodung der Wälder in der Nähe der bewohnten Orte die schreckliche Plage der Mücken etwas vermindern. In San Fernando de Atabapo, Javita, San Carlos, Esmeralda werden wohl (wegen ihrer Lage an der Mündung des Guaviare, am Trageplatz zwischen Tuamini und Rio Negro, am Ausfluß des Cassiquiare und am Gabe- lungspunkt des oberen Orinoko) Bevölkerung und Wohlstand bedeutend zunehmen. Mit diesen fruchtbaren, aber brach lie- genden Ländern, durch welche der Huallaga, der Amazonen- strom und der Orinoko ziehen, wird es gehen wie mit der Landenge von Panama, dem Nikaraguasee und dem Rio Huasacualco, durch welche zwei Meere miteinander in Ver- bindung stehen. Mangelhafte Staatsformen konnten seit Jahrhunderten Orte, in denen der Welthandel seine Mittel- punkte haben sollte, in Wüsten verwandeln; aber die Zeit ist nicht mehr fern, wo die Fesseln fallen werden; eine wider- sinnige Verwaltung kann sich nicht ewig dem Gesamtinteresse der Menschheit entgegenstemmen, und unwiderstehlich muß die Kultur in Ländern einziehen, welche die Natur selbst durch die physische Gestaltung des Bodens, durch die erstaunliche Verzweigung der Flüsse und durch die Nähe zweier Meere, welche die Küsten Europas und Indiens bespülen, zu großen Geschicken ausersehen hat.
Esmeralda ist berühmt als der Ort, wo am besten am Orinoko das starke Gift bereitet wird, das im Krieg, zur Jagd, und, was seltsam klingt, als Mittel gegen gastrische Beschwerden dient. Das Gift der Ticuna am Amazonenstrome, das Upas-Tieute auf Java und das Curare in Guyana sind die tödlichsten Substanzen, die man kennt. Bereits am Ende des 16. Jahrhunderts hatte Ralegh das Wort Urari gehört, wie man einen Pflanzenstoff nannte, mit dem man die Pfeile vergiftete. Indessen war nichts Zuverlässiges über dieses Gift in Europa bekannt geworden. Die Missio- näre Gumilla und Gili hatten nicht bis in die Länder kom- men können, wo das Curare bereitet wird. Gumilla behaup- tete, "diese Bereitung werde sehr geheim gehalten; der Haupt- bestandteil komme von einem unterirdischen Gewächs, von einer knolligen Wurzel, die niemals Blätter treibe und raiz
dalenenſtrome, ſobald einmal ernſtliches kaufmänniſches Intereſſe neue Anſiedler herzieht. Gewohnte Uebel werden leichter er- tragen, und wer in Amerika geboren iſt, hat keine ſo großen Schmerzen zu leiden wie der friſch angekommene Europäer. Auch wird wohl die allmähliche Ausrodung der Wälder in der Nähe der bewohnten Orte die ſchreckliche Plage der Mücken etwas vermindern. In San Fernando de Atabapo, Javita, San Carlos, Esmeralda werden wohl (wegen ihrer Lage an der Mündung des Guaviare, am Trageplatz zwiſchen Tuamini und Rio Negro, am Ausfluß des Caſſiquiare und am Gabe- lungspunkt des oberen Orinoko) Bevölkerung und Wohlſtand bedeutend zunehmen. Mit dieſen fruchtbaren, aber brach lie- genden Ländern, durch welche der Huallaga, der Amazonen- ſtrom und der Orinoko ziehen, wird es gehen wie mit der Landenge von Panama, dem Nikaraguaſee und dem Rio Huaſacualco, durch welche zwei Meere miteinander in Ver- bindung ſtehen. Mangelhafte Staatsformen konnten ſeit Jahrhunderten Orte, in denen der Welthandel ſeine Mittel- punkte haben ſollte, in Wüſten verwandeln; aber die Zeit iſt nicht mehr fern, wo die Feſſeln fallen werden; eine wider- ſinnige Verwaltung kann ſich nicht ewig dem Geſamtintereſſe der Menſchheit entgegenſtemmen, und unwiderſtehlich muß die Kultur in Ländern einziehen, welche die Natur ſelbſt durch die phyſiſche Geſtaltung des Bodens, durch die erſtaunliche Verzweigung der Flüſſe und durch die Nähe zweier Meere, welche die Küſten Europas und Indiens beſpülen, zu großen Geſchicken auserſehen hat.
Esmeralda iſt berühmt als der Ort, wo am beſten am Orinoko das ſtarke Gift bereitet wird, das im Krieg, zur Jagd, und, was ſeltſam klingt, als Mittel gegen gaſtriſche Beſchwerden dient. Das Gift der Ticuna am Amazonenſtrome, das Upas-Tieute auf Java und das Curare in Guyana ſind die tödlichſten Subſtanzen, die man kennt. Bereits am Ende des 16. Jahrhunderts hatte Ralegh das Wort Urari gehört, wie man einen Pflanzenſtoff nannte, mit dem man die Pfeile vergiftete. Indeſſen war nichts Zuverläſſiges über dieſes Gift in Europa bekannt geworden. Die Miſſio- näre Gumilla und Gili hatten nicht bis in die Länder kom- men können, wo das Curare bereitet wird. Gumilla behaup- tete, „dieſe Bereitung werde ſehr geheim gehalten; der Haupt- beſtandteil komme von einem unterirdiſchen Gewächs, von einer knolligen Wurzel, die niemals Blätter treibe und raiz
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dalenenſtrome, ſobald einmal ernſtliches kaufmänniſches Intereſſe
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Schmerzen zu leiden wie der friſch angekommene Europäer.
Auch wird wohl die allmähliche Ausrodung der Wälder in
der Nähe der bewohnten Orte die ſchreckliche Plage der Mücken
etwas vermindern. In San Fernando de Atabapo, Javita,
San Carlos, Esmeralda werden wohl (wegen ihrer Lage an
der Mündung des Guaviare, am Trageplatz zwiſchen Tuamini
und Rio Negro, am Ausfluß des Caſſiquiare und am Gabe-
lungspunkt des oberen Orinoko) Bevölkerung und Wohlſtand
bedeutend zunehmen. Mit dieſen fruchtbaren, aber brach lie-
genden Ländern, durch welche der Huallaga, der Amazonen-
ſtrom und der Orinoko ziehen, wird es gehen wie mit der
Landenge von Panama, dem Nikaraguaſee und dem Rio
Huaſacualco, durch welche zwei Meere miteinander in Ver-
bindung ſtehen. Mangelhafte Staatsformen konnten ſeit
Jahrhunderten Orte, in denen der Welthandel ſeine Mittel-
punkte haben ſollte, in Wüſten verwandeln; aber die Zeit iſt
nicht mehr fern, wo die Feſſeln fallen werden; eine wider-
ſinnige Verwaltung kann ſich nicht ewig dem Geſamtintereſſe
der Menſchheit entgegenſtemmen, und unwiderſtehlich muß die
Kultur in Ländern einziehen, welche die Natur ſelbſt durch
die phyſiſche Geſtaltung des Bodens, durch die erſtaunliche
Verzweigung der Flüſſe und durch die Nähe zweier Meere,
welche die Küſten Europas und Indiens beſpülen, zu großen
Geſchicken auserſehen hat.
Esmeralda iſt berühmt als der Ort, wo am beſten am
Orinoko das ſtarke Gift bereitet wird, das im Krieg, zur
Jagd, und, was ſeltſam klingt, als Mittel gegen gaſtriſche
Beſchwerden dient. Das Gift der Ticuna am Amazonenſtrome,
das Upas-Tieute auf Java und das Curare in Guyana
ſind die tödlichſten Subſtanzen, die man kennt. Bereits
am Ende des 16. Jahrhunderts hatte Ralegh das Wort
Urari gehört, wie man einen Pflanzenſtoff nannte, mit dem
man die Pfeile vergiftete. Indeſſen war nichts Zuverläſſiges
über dieſes Gift in Europa bekannt geworden. Die Miſſio-
näre Gumilla und Gili hatten nicht bis in die Länder kom-
men können, wo das Curare bereitet wird. Gumilla behaup-
tete, „dieſe Bereitung werde ſehr geheim gehalten; der Haupt-
beſtandteil komme von einem unterirdiſchen Gewächs, von
einer knolligen Wurzel, die niemals Blätter treibe und raiz
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/68>, abgerufen am 16.02.2025.
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