hülle. Die Kapuzineraffen (Simia chiropotes) lieben ungemein die "brasilianischen Kastanien", und schon das Rasseln der Samen, wenn man die Frucht, wie sie vom Baum fällt, schüttelt, macht die Eßlust dieser Tiere in hohem Grade rege. Meist habe ich nur 15 bis 22 Nüsse in einer Frucht gefunden. Der zweite Ueberzug der Mandeln ist häutig und braungelb. Der Geschmack derselben ist sehr angenehm, solange sie frisch sind; aber das sehr reichliche Oel, durch das sie ökonomisch so nützlich werden, wird leicht ranzig. Wir haben am oberen Orinoko häufig, weil sonst nichts zu haben war, diese Mandel in bedeutender Menge gegessen und nie einen Nachteil davon empfunden. Die kugelige Fruchthülle der Bertholletia ist oben durchbohrt, springt aber nicht auf; das obere bauchige Ende des Säulchens bildet allerdings (nach Kunth) eine Art inneren Deckel, wie bei der Frucht der Lecythis, aber er öffnet sich nicht wohl von selbst. Viele Samen verlieren durch die Zer- setzung des Oels in den Samenlappen die Keimkraft, bevor in der Regenzeit die Holzkapsel der Fruchthülle infolge der Fäulnis aufgeht. Nach einem am unteren Orinoko weit ver- breiteten Märchen setzen sich die Kapuziner- und Cacajaoaffen (Simia chiropotes und Simia melanocephala) im Kreis um- her, klopfen mit einem Stein auf die Frucht und zerschlagen sie wirklich, so daß sie zu den dreieckigen Mandeln kommen können. Dies wäre wegen der ausnehmenden Härte und Dicke der Fruchthülle geradezu unmöglich. Man mag gesehen haben, wie Affen die Früchte der Bertholletia am Boden rollten, und dieselben haben zwar ein kleines Loch, an welches das obere Ende des Säulchens befestigt ist, aber die Natur hat es den Affen nicht so leicht gemacht, die holzige Fruchthülle der Ju- via zu öffnen, wie bei der Lecythis, wo sie den Deckel ab- nehmen, der in den Missionen la tapa (Deckel) del coca de monos heißt. Nach der Aussage mehrerer sehr glaubwürdiger Indianer gelingt es nur den kleinen Nagern, namentlich den Aguti (Cavia Aguti, Cavia Paca), vermöge des Baues ihrer Zähne und der unglaublichen Ausdauer, mit der sie ihrem Zerstörungswerk obliegen, die Frucht der Bertholletia zu durchbohren. Sobald die dreieckigen Nüsse auf den Boden ausgestreut sind, kommen alle Tiere des Waldes herbeigeeilt; Affen, Manaviri, Eichhörner, Aguti, Papageien und Ara streiten sich um die Beute. Sie sind alle stark genug, um den holzigen Ueberzug des Samens zu zerbrechen; sie nehmen die Mandel heraus und klettern damit auf die Bäume. "So haben sie
hülle. Die Kapuzineraffen (Simia chiropotes) lieben ungemein die „braſilianiſchen Kaſtanien“, und ſchon das Raſſeln der Samen, wenn man die Frucht, wie ſie vom Baum fällt, ſchüttelt, macht die Eßluſt dieſer Tiere in hohem Grade rege. Meiſt habe ich nur 15 bis 22 Nüſſe in einer Frucht gefunden. Der zweite Ueberzug der Mandeln iſt häutig und braungelb. Der Geſchmack derſelben iſt ſehr angenehm, ſolange ſie friſch ſind; aber das ſehr reichliche Oel, durch das ſie ökonomiſch ſo nützlich werden, wird leicht ranzig. Wir haben am oberen Orinoko häufig, weil ſonſt nichts zu haben war, dieſe Mandel in bedeutender Menge gegeſſen und nie einen Nachteil davon empfunden. Die kugelige Fruchthülle der Bertholletia iſt oben durchbohrt, ſpringt aber nicht auf; das obere bauchige Ende des Säulchens bildet allerdings (nach Kunth) eine Art inneren Deckel, wie bei der Frucht der Lecythis, aber er öffnet ſich nicht wohl von ſelbſt. Viele Samen verlieren durch die Zer- ſetzung des Oels in den Samenlappen die Keimkraft, bevor in der Regenzeit die Holzkapſel der Fruchthülle infolge der Fäulnis aufgeht. Nach einem am unteren Orinoko weit ver- breiteten Märchen ſetzen ſich die Kapuziner- und Cacajaoaffen (Simia chiropotes und Simia melanocephala) im Kreis um- her, klopfen mit einem Stein auf die Frucht und zerſchlagen ſie wirklich, ſo daß ſie zu den dreieckigen Mandeln kommen können. Dies wäre wegen der ausnehmenden Härte und Dicke der Fruchthülle geradezu unmöglich. Man mag geſehen haben, wie Affen die Früchte der Bertholletia am Boden rollten, und dieſelben haben zwar ein kleines Loch, an welches das obere Ende des Säulchens befeſtigt iſt, aber die Natur hat es den Affen nicht ſo leicht gemacht, die holzige Fruchthülle der Ju- via zu öffnen, wie bei der Lecythis, wo ſie den Deckel ab- nehmen, der in den Miſſionen la tapa (Deckel) del coca de monos heißt. Nach der Ausſage mehrerer ſehr glaubwürdiger Indianer gelingt es nur den kleinen Nagern, namentlich den Aguti (Cavia Aguti, Cavia Paca), vermöge des Baues ihrer Zähne und der unglaublichen Ausdauer, mit der ſie ihrem Zerſtörungswerk obliegen, die Frucht der Bertholletia zu durchbohren. Sobald die dreieckigen Nüſſe auf den Boden ausgeſtreut ſind, kommen alle Tiere des Waldes herbeigeeilt; Affen, Manaviri, Eichhörner, Aguti, Papageien und Ara ſtreiten ſich um die Beute. Sie ſind alle ſtark genug, um den holzigen Ueberzug des Samens zu zerbrechen; ſie nehmen die Mandel heraus und klettern damit auf die Bäume. „So haben ſie
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hülle. Die Kapuzineraffen (Simia chiropotes) lieben ungemein
die „braſilianiſchen Kaſtanien“, und ſchon das Raſſeln der
Samen, wenn man die Frucht, wie ſie vom Baum fällt,
ſchüttelt, macht die Eßluſt dieſer Tiere in hohem Grade rege.
Meiſt habe ich nur 15 bis 22 Nüſſe in einer Frucht gefunden.
Der zweite Ueberzug der Mandeln iſt häutig und braungelb.
Der Geſchmack derſelben iſt ſehr angenehm, ſolange ſie friſch
ſind; aber das ſehr reichliche Oel, durch das ſie ökonomiſch
ſo nützlich werden, wird leicht ranzig. Wir haben am oberen
Orinoko häufig, weil ſonſt nichts zu haben war, dieſe Mandel
in bedeutender Menge gegeſſen und nie einen Nachteil davon
empfunden. Die kugelige Fruchthülle der Bertholletia iſt oben
durchbohrt, ſpringt aber nicht auf; das obere bauchige Ende
des Säulchens bildet allerdings (nach Kunth) eine Art inneren
Deckel, wie bei der Frucht der Lecythis, aber er öffnet ſich
nicht wohl von ſelbſt. Viele Samen verlieren durch die Zer-
ſetzung des Oels in den Samenlappen die Keimkraft, bevor
in der Regenzeit die Holzkapſel der Fruchthülle infolge der
Fäulnis aufgeht. Nach einem am unteren Orinoko weit ver-
breiteten Märchen ſetzen ſich die Kapuziner- und Cacajaoaffen
(Simia chiropotes und Simia melanocephala) im Kreis um-
her, klopfen mit einem Stein auf die Frucht und zerſchlagen
ſie wirklich, ſo daß ſie zu den dreieckigen Mandeln kommen
können. Dies wäre wegen der ausnehmenden Härte und
Dicke der Fruchthülle geradezu unmöglich. Man mag geſehen
haben, wie Affen die Früchte der Bertholletia am Boden rollten,
und dieſelben haben zwar ein kleines Loch, an welches das obere
Ende des Säulchens befeſtigt iſt, aber die Natur hat es den
Affen nicht ſo leicht gemacht, die holzige Fruchthülle der Ju-
via zu öffnen, wie bei der Lecythis, wo ſie den Deckel ab-
nehmen, der in den Miſſionen la tapa (Deckel) del coca de
monos heißt. Nach der Ausſage mehrerer ſehr glaubwürdiger
Indianer gelingt es nur den kleinen Nagern, namentlich den
Aguti (Cavia Aguti, Cavia Paca), vermöge des Baues
ihrer Zähne und der unglaublichen Ausdauer, mit der ſie
ihrem Zerſtörungswerk obliegen, die Frucht der Bertholletia
zu durchbohren. Sobald die dreieckigen Nüſſe auf den Boden
ausgeſtreut ſind, kommen alle Tiere des Waldes herbeigeeilt;
Affen, Manaviri, Eichhörner, Aguti, Papageien und Ara
ſtreiten ſich um die Beute. Sie ſind alle ſtark genug, um den
holzigen Ueberzug des Samens zu zerbrechen; ſie nehmen die
Mandel heraus und klettern damit auf die Bäume. „So haben ſie
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/82>, abgerufen am 16.02.2025.
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