Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.Wenn das große, nützliche Werk der amerikanischen Mis- Die Niederlassungen der Mönche haben in den Aequinok- Wenn das große, nützliche Werk der amerikaniſchen Miſ- Die Niederlaſſungen der Mönche haben in den Aequinok- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0099" n="91"/> <p>Wenn das große, nützliche Werk der amerikaniſchen Miſ-<lb/> ſionen allmählich die Verbeſſerungen erhielte, auf die mehrere<lb/> Biſchöfe angetragen haben, wenn man, ſtatt die Miſſionäre<lb/> faſt aufs Geratewohl aus den ſpaniſchen Klöſtern zu ergänzen,<lb/> junge Geiſtliche in Amerika ſelbſt in Seminarien oder Miſ-<lb/> ſionskollegien erzöge, ſo würden militäriſche Expeditionen, wie<lb/> ich ſie eben vorgeſchlagen, überflüſſig. Das Ordenskleid des<lb/> heiligen Franziskus, ob es nun braun iſt wie bei den Kapu-<lb/> zinern am Carony, oder blau wie bei den Obſervanten am<lb/> Orinoko, übt immer noch einen gewiſſen Zauber über die<lb/> Indianer dieſer Länder. Sie knüpfen daran gewiſſe Vor-<lb/> ſtellungen von Wohlſtand und Behagen, die Ausſicht, in den<lb/> Beſitz von Aexten, Meſſern und Fiſchereigeräten zu gelangen.<lb/> Selbſt ſolche, die an Unabhängigkeit und Vereinzelung zähe<lb/> feſthalten und es verſchmähen, ſich „vom Glockenklang regieren<lb/> zu laſſen“, ſind erfreut, wenn ein benachbarter Miſſionär ſie<lb/> beſucht. Ohne die Bedrückungen der Soldaten und die feind-<lb/> lichen Einfälle der Mönche, ohne die <hi rendition="#aq">Entradas</hi> und <hi rendition="#aq">Conquistas<lb/> apostolicas,</hi> hätten ſich die Eingeborenen nicht von den Ufern<lb/> des Stromes weggezogen. Gäbe man das unvernünftige<lb/> Syſtem auf, die Kloſterzucht in den Wäldern und Savannen<lb/> Amerikas einführen zu wollen, ließe man die Indianer der<lb/> Früchte ihrer Arbeit froh werden, regierte man ſie nicht ſo<lb/> viel, das heißt, legte man nicht ihrer natürlichen Freiheit bei<lb/> jedem Schritte Feſſeln an, ſo würden die Miſſionäre raſch<lb/> den Kreis ihrer Thätigkeit ſich erweitern ſehen, deren Ziel ja<lb/> kein anderes iſt, als menſchliche Geſittung.</p><lb/> <p>Die Niederlaſſungen der Mönche haben in den Aequinok-<lb/> tialländern der Neuen Welt wie im nördlichen Europa die<lb/> erſten Keime des geſellſchaftlichen Lebens ausgeſtreut. Noch<lb/> jetzt bilden ſie einen weiten Gürtel um die europäiſchen Be-<lb/> ſitzungen, und wie viele und große Mißbräuche ſich auch in<lb/> ein Regiment eingeſchlichen haben mögen, wobei alle Gewalten<lb/> in einer einzigen verſchmolzen ſind, ſo würde es doch ſchwer<lb/> halten, dasſelbe durch ein anderes zu erſetzen, das nicht noch<lb/> weit größere Uebelſtände mit ſich führte, und dabei ebenſo wohl-<lb/> feil und dem ſchweigſamen Phlegma der Eingeborenen ebenſo<lb/> angemeſſen wäre. Ich komme ſpäter auf dieſe chriſtlichen An-<lb/> ſtalten zurück, deren politiſche Wichtigkeit in Europa nicht<lb/> genug gewürdigt wird. Hier ſei nur bemerkt, daß die von<lb/> der Küſte entlegenſten gegenwärtig am meiſten verwahrloſt<lb/> ſind. Die Ordensleute leben dort im tiefſten Elende. Allein<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [91/0099]
Wenn das große, nützliche Werk der amerikaniſchen Miſ-
ſionen allmählich die Verbeſſerungen erhielte, auf die mehrere
Biſchöfe angetragen haben, wenn man, ſtatt die Miſſionäre
faſt aufs Geratewohl aus den ſpaniſchen Klöſtern zu ergänzen,
junge Geiſtliche in Amerika ſelbſt in Seminarien oder Miſ-
ſionskollegien erzöge, ſo würden militäriſche Expeditionen, wie
ich ſie eben vorgeſchlagen, überflüſſig. Das Ordenskleid des
heiligen Franziskus, ob es nun braun iſt wie bei den Kapu-
zinern am Carony, oder blau wie bei den Obſervanten am
Orinoko, übt immer noch einen gewiſſen Zauber über die
Indianer dieſer Länder. Sie knüpfen daran gewiſſe Vor-
ſtellungen von Wohlſtand und Behagen, die Ausſicht, in den
Beſitz von Aexten, Meſſern und Fiſchereigeräten zu gelangen.
Selbſt ſolche, die an Unabhängigkeit und Vereinzelung zähe
feſthalten und es verſchmähen, ſich „vom Glockenklang regieren
zu laſſen“, ſind erfreut, wenn ein benachbarter Miſſionär ſie
beſucht. Ohne die Bedrückungen der Soldaten und die feind-
lichen Einfälle der Mönche, ohne die Entradas und Conquistas
apostolicas, hätten ſich die Eingeborenen nicht von den Ufern
des Stromes weggezogen. Gäbe man das unvernünftige
Syſtem auf, die Kloſterzucht in den Wäldern und Savannen
Amerikas einführen zu wollen, ließe man die Indianer der
Früchte ihrer Arbeit froh werden, regierte man ſie nicht ſo
viel, das heißt, legte man nicht ihrer natürlichen Freiheit bei
jedem Schritte Feſſeln an, ſo würden die Miſſionäre raſch
den Kreis ihrer Thätigkeit ſich erweitern ſehen, deren Ziel ja
kein anderes iſt, als menſchliche Geſittung.
Die Niederlaſſungen der Mönche haben in den Aequinok-
tialländern der Neuen Welt wie im nördlichen Europa die
erſten Keime des geſellſchaftlichen Lebens ausgeſtreut. Noch
jetzt bilden ſie einen weiten Gürtel um die europäiſchen Be-
ſitzungen, und wie viele und große Mißbräuche ſich auch in
ein Regiment eingeſchlichen haben mögen, wobei alle Gewalten
in einer einzigen verſchmolzen ſind, ſo würde es doch ſchwer
halten, dasſelbe durch ein anderes zu erſetzen, das nicht noch
weit größere Uebelſtände mit ſich führte, und dabei ebenſo wohl-
feil und dem ſchweigſamen Phlegma der Eingeborenen ebenſo
angemeſſen wäre. Ich komme ſpäter auf dieſe chriſtlichen An-
ſtalten zurück, deren politiſche Wichtigkeit in Europa nicht
genug gewürdigt wird. Hier ſei nur bemerkt, daß die von
der Küſte entlegenſten gegenwärtig am meiſten verwahrloſt
ſind. Die Ordensleute leben dort im tiefſten Elende. Allein
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