Humboldt, Alexander von: Über die Hochebene von Bogota. In: Ders.: Kleinere Schriften. Erster Band. Geognostische und physikalische Erinnerungen. Stuttgart und Tübingen, 1853, S. 100-132.den ersten proselenischen Muyscas, wie den ersten Arcadiern, nicht geleuchtet hatte. Botschika, des Menschengeschlechts sich erbarmend, öffnete nun mit starker Hand bei Canoas eine Felswand, ließ den Funzha hinabstürzen und trocknete so die ganze Hochebene. Die Cataracte, das Naturwunder der Gegend, ist also sein großartiges Werk. Die That erinnert an den Kasyapa, der dem geschlossenen Alpenthal von Kaschmir seinen alten Namen (Kasyapapur oder Kaschapur) gab, und zur Entwässerung des Alpenthals die Gebirgsmauer Baramaulsch öffnete.1 Botschika sammelte die durch die Localfluth zerstreuten Menschen, lehrte sie Städte bauen, führte den Sonnendienst und eine eigene, von mir an einem andern Orte2 beschriebene Einschaltungs-Methode der Mondjahre ein; er gründete eine politische Verfassung, welche an den uralten Priesterstaat von Meroe und an das spät erst buddhistische Tübet erinnert: indem er die Obergewalt unter einen weltlichen Herrscher3, den Zaque, und 1 Siehe meine Asie centrale T. I. p. 102. 2 Vues des Cordilleres et Monumens des peuples indigenes de l'Amerique T. I. p. 88, T. II. pag. 226. 3 Der erste weltliche Fürst der Muyscas hieß Huncahua, der Weise; er gründete die jetzige Stadt Tunja, die nach ihm den Namen Hunca erhielt. Der Name Bogota ist nach Roulin verstümmelt aus dem Muysca-Worte bakata, d. h. Feldgrenze, Ende des Bebauten: weil unter der Herrschaft der Eingebornen die Bergkette hinter der jetzigen Hauptstadt bakata genannt wurde. Huncahua unterwarf sich das Land von den Gebirgen von Opon bis zu den Grassteppen von San Juan de los Llanos. Ich habe im Text die alte Verfassung des Muysca-Staates nicht mit der Verfassung von Japan verglichen, in der man lange fälschlich den Dairi ein geistliches, den Seogun ein weltliches Oberhaupt genannt hat. Diese Vertheilung der Gewalt hat in Japan nie existirt. Der Seogun ist der Feldherr, welcher sich seit dem zwölften Jahrhundert die Oberherrschaft angemaßt hat; der Dairi ist das Haupt des entthronten Stammes. Der Dairi, einst weltlicher Alleinherrscher, ist aber göttlichen Ursprungs; und seine Person ist so heilig, daß man ihm die Nägel nur im Schlafe abschneidet, was im japanischen Hofdialecte "dem Kaiser die Nägel stehlen" heißt. (Siehe Nipon o dai isti Ran 1834 pag. 436.)
den ersten proselenischen Muyscas, wie den ersten Arcadiern, nicht geleuchtet hatte. Botschika, des Menschengeschlechts sich erbarmend, öffnete nun mit starker Hand bei Canoas eine Felswand, ließ den Funzha hinabstürzen und trocknete so die ganze Hochebene. Die Cataracte, das Naturwunder der Gegend, ist also sein großartiges Werk. Die That erinnert an den Kasyapa, der dem geschlossenen Alpenthal von Kaschmir seinen alten Namen (Kasyapapur oder Kaschapur) gab, und zur Entwässerung des Alpenthals die Gebirgsmauer Baramaulsch öffnete.1 Botschika sammelte die durch die Localfluth zerstreuten Menschen, lehrte sie Städte bauen, führte den Sonnendienst und eine eigene, von mir an einem andern Orte2 beschriebene Einschaltungs-Methode der Mondjahre ein; er gründete eine politische Verfassung, welche an den uralten Priesterstaat von Meroe und an das spät erst buddhistische Tübet erinnert: indem er die Obergewalt unter einen weltlichen Herrscher3, den Zaque, und 1 Siehe meine Asie centrale T. I. p. 102. 2 Vues des Cordillères et Monumens des peuples indigènes de l'Amérique T. I. p. 88, T. II. pag. 226. 3 Der erste weltliche Fürst der Muyscas hieß Huncahua, der Weise; er gründete die jetzige Stadt Tunja, die nach ihm den Namen Hunca erhielt. Der Name Bogota ist nach Roulin verstümmelt aus dem Muysca-Worte bakata, d. h. Feldgrenze, Ende des Bebauten: weil unter der Herrschaft der Eingebornen die Bergkette hinter der jetzigen Hauptstadt bakata genannt wurde. Huncahua unterwarf sich das Land von den Gebirgen von Opon bis zu den Grassteppen von San Juan de los Llanos. Ich habe im Text die alte Verfassung des Muysca-Staates nicht mit der Verfassung von Japan verglichen, in der man lange fälschlich den Dairi ein geistliches, den Seogun ein weltliches Oberhaupt genannt hat. Diese Vertheilung der Gewalt hat in Japan nie existirt. Der Seogun ist der Feldherr, welcher sich seit dem zwölften Jahrhundert die Oberherrschaft angemaßt hat; der Dairi ist das Haupt des entthronten Stammes. Der Dairi, einst weltlicher Alleinherrscher, ist aber göttlichen Ursprungs; und seine Person ist so heilig, daß man ihm die Nägel nur im Schlafe abschneidet, was im japanischen Hofdialecte „dem Kaiser die Nägel stehlen“ heißt. (Siehe Nipon o daï isti Ran 1834 pag. 436.)
<TEI> <text> <body> <div> <p><pb facs="#f0018" n="116"/> den ersten proselenischen Muyscas, wie den ersten Arcadiern, nicht geleuchtet hatte. Botschika, des Menschengeschlechts sich erbarmend, öffnete nun mit starker Hand bei <placeName>Canoas</placeName> eine Felswand, ließ den <placeName>Funzha</placeName> hinabstürzen und trocknete so die ganze Hochebene. Die Cataracte, das Naturwunder der Gegend, ist also sein großartiges Werk. Die That erinnert an den Kasyapa, der dem geschlossenen Alpenthal von <placeName>Kaschmir</placeName> seinen alten Namen (Kasyapapur oder Kaschapur) gab, und zur Entwässerung des Alpenthals die Gebirgsmauer Baramaulsch öffnete.<note place="foot" n="1"><choice><abbr>S.</abbr><expan>Siehe</expan></choice> meine Asie centrale T. I. p. 102.</note> Botschika sammelte die durch die Localfluth zerstreuten Menschen, lehrte sie Städte bauen, führte den Sonnendienst und eine eigene, von mir an einem andern Orte<note place="foot" n="2">Vues des Cordillères et Monumens des peuples indigènes de l'Amérique T. I. p. 88, T. II. pag. 226.</note> beschriebene Einschaltungs-Methode der Mondjahre ein; er gründete eine politische Verfassung, welche an den uralten Priesterstaat von Meroe und an das spät erst buddhistische <placeName>Tübet</placeName> erinnert: indem er die Obergewalt unter einen weltlichen Herrscher<note place="foot" n="3">Der erste weltliche Fürst der Muyscas hieß Huncahua, der Weise; er gründete die jetzige Stadt Tunja, die nach ihm den Namen <hi rendition="#g">Hunca</hi> erhielt. Der Name Bogota ist nach Roulin verstümmelt aus dem Muysca-Worte <hi rendition="#g">bakata</hi>, d. h. Feldgrenze, Ende des Bebauten: weil unter der Herrschaft der Eingebornen die Bergkette hinter der jetzigen Hauptstadt <hi rendition="#g">bakata</hi> genannt wurde. Huncahua unterwarf sich das Land von den Gebirgen von Opon bis zu den Grassteppen von San Juan de los Llanos. Ich habe im Text die alte Verfassung des Muysca-Staates nicht mit der Verfassung von Japan verglichen, in der man lange fälschlich den Dairi ein geistliches, den Seogun ein weltliches Oberhaupt genannt hat. Diese Vertheilung der Gewalt hat in Japan nie existirt. Der Seogun ist der Feldherr, welcher sich seit dem zwölften Jahrhundert die Oberherrschaft angemaßt hat; der Dairi ist das Haupt des entthronten Stammes. Der Dairi, einst weltlicher Alleinherrscher, ist aber göttlichen Ursprungs; und seine Person ist so heilig, daß man ihm die Nägel nur im Schlafe abschneidet, was im japanischen Hofdialecte „dem Kaiser die Nägel <hi rendition="#g">stehlen</hi>“ heißt. (<choice><abbr>S.</abbr><expan>Siehe</expan></choice> <hi rendition="#aq">Nipon o daï isti Ran 1834 pag. 436.)</hi></note>, den Zaque, und<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [116/0018]
den ersten proselenischen Muyscas, wie den ersten Arcadiern, nicht geleuchtet hatte. Botschika, des Menschengeschlechts sich erbarmend, öffnete nun mit starker Hand bei Canoas eine Felswand, ließ den Funzha hinabstürzen und trocknete so die ganze Hochebene. Die Cataracte, das Naturwunder der Gegend, ist also sein großartiges Werk. Die That erinnert an den Kasyapa, der dem geschlossenen Alpenthal von Kaschmir seinen alten Namen (Kasyapapur oder Kaschapur) gab, und zur Entwässerung des Alpenthals die Gebirgsmauer Baramaulsch öffnete. 1 Botschika sammelte die durch die Localfluth zerstreuten Menschen, lehrte sie Städte bauen, führte den Sonnendienst und eine eigene, von mir an einem andern Orte 2 beschriebene Einschaltungs-Methode der Mondjahre ein; er gründete eine politische Verfassung, welche an den uralten Priesterstaat von Meroe und an das spät erst buddhistische Tübet erinnert: indem er die Obergewalt unter einen weltlichen Herrscher 3, den Zaque, und
1 S. meine Asie centrale T. I. p. 102.
2 Vues des Cordillères et Monumens des peuples indigènes de l'Amérique T. I. p. 88, T. II. pag. 226.
3 Der erste weltliche Fürst der Muyscas hieß Huncahua, der Weise; er gründete die jetzige Stadt Tunja, die nach ihm den Namen Hunca erhielt. Der Name Bogota ist nach Roulin verstümmelt aus dem Muysca-Worte bakata, d. h. Feldgrenze, Ende des Bebauten: weil unter der Herrschaft der Eingebornen die Bergkette hinter der jetzigen Hauptstadt bakata genannt wurde. Huncahua unterwarf sich das Land von den Gebirgen von Opon bis zu den Grassteppen von San Juan de los Llanos. Ich habe im Text die alte Verfassung des Muysca-Staates nicht mit der Verfassung von Japan verglichen, in der man lange fälschlich den Dairi ein geistliches, den Seogun ein weltliches Oberhaupt genannt hat. Diese Vertheilung der Gewalt hat in Japan nie existirt. Der Seogun ist der Feldherr, welcher sich seit dem zwölften Jahrhundert die Oberherrschaft angemaßt hat; der Dairi ist das Haupt des entthronten Stammes. Der Dairi, einst weltlicher Alleinherrscher, ist aber göttlichen Ursprungs; und seine Person ist so heilig, daß man ihm die Nägel nur im Schlafe abschneidet, was im japanischen Hofdialecte „dem Kaiser die Nägel stehlen“ heißt. (S. Nipon o daï isti Ran 1834 pag. 436.)
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |