Humboldt, Alexander von: Über die Chinawälder in Südamerika. In: Magazin für die neusten Entdeckungen in der gesammten Naturkunde, 1. Jg. (1807), S. 57-68, 104-120.Über die Chinawälder Gräfin geheilt haben soll, das Mittel von den Indianern empfing. In Loxaselbst herrscht nicht bloss gar keine Tradition dieser Art, sondern es ist auch nicht wahrscheinlich, dass die Erfindung der Heilkraft der Cinchona den amerikanischen Urvölkern zugehöre, wenn man bedenkt, dass diese (gleich den Einwohnern von Hindostan) mit unabänderlicher Beharrlich- keit an ihren Gebräuchen, an ihren Speisen und Heilmitteln hängen, und dass ihnen dennoch in Loxa, Guancabamba und weit umher der Ge- brauch der Fieberrinde ganz unbekannt ist. In den tiefen und heissen Gebirgsthälern von Catamayo, Rio Calvas und Macara sind Wechsel- fieber überaus gemein. Aber die dasigen Einwohner sowohl als die von Loxa, zu welcher Kaste sie auch gehören mögen, sterben lieber, als dass sie den Entschluss fassen sollten, Chinarinde, welche sie mit den Opiaten in die Klasse branderregender Gifte setzen, einzunehmen. Die Indianer heilen sich durch Limonaden, durch die ölige aromatische Schale der kleinen grünen wildwachsenden Citrone, durch Aufgüsse der Scoparia dulcis und durch starken Kaffee*). Bloss in Malacates, wo so viele Cascarilleros, Chinarinden-Schäler, wohnen, fängt man an Vertrauen zu der Cinchona zu gewinnen. In Loxa ist kein Document vorhanden, welches die Geschichte der Erfindung der Cinchona aufklären könnte. Doch geht daselbst die alte Sage, die Jesuiten hätten beim Holzfällen nach Landessitte durch Kauen der Rinde die verschiedenen Baumarten unterschieden, und seien bei dieser Gelegenheit auf die grosse Bitterkeit der Cinchona aufmerksam geworden. Da unter den Missionairen stets Arzneykundige waren, so hätten, sagt man, diese den Aufguss bei der gewöhnlichen Krankheit der Gegend, dem Tertianfieber, versucht. Diese Sage ist minder unwahrscheinlich, als die Behauptung europäischer Schrift- steller, welche, wie noch neuerlichst Ruiz und Pavon, die Erfindung den Indianern zuschreiben. Auch im Königreich Neu-Grenada war den Ein- gebornen die Heilkraft der Cinchona gänzlich unbekannt. Hundert Jahre verflossen, ehe man irgend eine botanische Beschrei- *) Unter den Indianern am Orinoco, besonders in Atures und Maypure, haben wir ein vortref- liches fieberheilendes Mittel gefunden, die frutta de Burro, die Frucht einer neuen Art Uvaria, welche wir unter dem Namen Uvaria febrifuga beschreiben werden. **) Voyage a l' Equateur, p. 31. 75. 186 und 203.
Über die Chinawälder Gräfin geheilt haben soll, das Mittel von den Indianern empfing. In Loxaselbst herrscht nicht bloſs gar keine Tradition dieser Art, sondern es ist auch nicht wahrscheinlich, daſs die Erfindung der Heilkraft der Cinchona den amerikanischen Urvölkern zugehöre, wenn man bedenkt, daſs diese (gleich den Einwohnern von Hindostan) mit unabänderlicher Beharrlich- keit an ihren Gebräuchen, an ihren Speisen und Heilmitteln hängen, und daſs ihnen dennoch in Loxa, Guancabamba und weit umher der Ge- brauch der Fieberrinde ganz unbekannt ist. In den tiefen und heiſsen Gebirgsthälern von Catamayo, Rio Calvas und Macara sind Wechsel- fieber überaus gemein. Aber die dasigen Einwohner sowohl als die von Loxa, zu welcher Kaste sie auch gehören mögen, sterben lieber, als daſs sie den Entschluſs fassen sollten, Chinarinde, welche sie mit den Opiaten in die Klasse branderregender Gifte setzen, einzunehmen. Die Indianer heilen sich durch Limonaden, durch die ölige aromatische Schale der kleinen grünen wildwachsenden Citrone, durch Aufgüsse der Scoparia dulcis und durch starken Kaffee*). Bloſs in Malacates, wo so viele Cascarilleros, Chinarinden-Schäler, wohnen, fängt man an Vertrauen zu der Cinchona zu gewinnen. In Loxa ist kein Document vorhanden, welches die Geschichte der Erfindung der Cinchona aufklären könnte. Doch geht daselbst die alte Sage, die Jesuiten hätten beim Holzfällen nach Landessitte durch Kauen der Rinde die verschiedenen Baumarten unterschieden, und seien bei dieser Gelegenheit auf die groſse Bitterkeit der Cinchona aufmerksam geworden. Da unter den Missionairen stets Arzneykundige waren, so hätten, sagt man, diese den Aufguſs bei der gewöhnlichen Krankheit der Gegend, dem Tertianfieber, versucht. Diese Sage ist minder unwahrscheinlich, als die Behauptung europäischer Schrift- steller, welche, wie noch neuerlichst Ruiz und Pavon, die Erfindung den Indianern zuschreiben. Auch im Königreich Neu-Grenada war den Ein- gebornen die Heilkraft der Cinchona gänzlich unbekannt. Hundert Jahre verflossen, ehe man irgend eine botanische Beschrei- *) Unter den Indianern am Orinoco, besonders in Atures und Maypure, haben wir ein vortref- liches fieberheilendes Mittel gefunden, die frutta de Burro, die Frucht einer neuen Art Uvaria, welche wir unter dem Namen Uvaria febrifuga beschreiben werden. **) Voyage á l' Equateur, p. 31. 75. 186 und 203.
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Über die Chinawälder
Gräfin geheilt haben soll, das Mittel von den Indianern empfing. In Loxa
selbst herrscht nicht bloſs gar keine Tradition dieser Art, sondern es ist
auch nicht wahrscheinlich, daſs die Erfindung der Heilkraft der Cinchona
den amerikanischen Urvölkern zugehöre, wenn man bedenkt, daſs diese
(gleich den Einwohnern von Hindostan) mit unabänderlicher Beharrlich-
keit an ihren Gebräuchen, an ihren Speisen und Heilmitteln hängen, und
daſs ihnen dennoch in Loxa, Guancabamba und weit umher der Ge-
brauch der Fieberrinde ganz unbekannt ist. In den tiefen und heiſsen
Gebirgsthälern von Catamayo, Rio Calvas und Macara sind Wechsel-
fieber überaus gemein. Aber die dasigen Einwohner sowohl als die von
Loxa, zu welcher Kaste sie auch gehören mögen, sterben lieber, als daſs
sie den Entschluſs fassen sollten, Chinarinde, welche sie mit den Opiaten
in die Klasse branderregender Gifte setzen, einzunehmen. Die Indianer
heilen sich durch Limonaden, durch die ölige aromatische Schale der
kleinen grünen wildwachsenden Citrone, durch Aufgüsse der Scoparia
dulcis und durch starken Kaffee *). Bloſs in Malacates, wo so viele
Cascarilleros, Chinarinden-Schäler, wohnen, fängt man an Vertrauen zu
der Cinchona zu gewinnen. In Loxa ist kein Document vorhanden,
welches die Geschichte der Erfindung der Cinchona aufklären könnte.
Doch geht daselbst die alte Sage, die Jesuiten hätten beim Holzfällen
nach Landessitte durch Kauen der Rinde die verschiedenen Baumarten
unterschieden, und seien bei dieser Gelegenheit auf die groſse Bitterkeit
der Cinchona aufmerksam geworden. Da unter den Missionairen stets
Arzneykundige waren, so hätten, sagt man, diese den Aufguſs bei der
gewöhnlichen Krankheit der Gegend, dem Tertianfieber, versucht. Diese
Sage ist minder unwahrscheinlich, als die Behauptung europäischer Schrift-
steller, welche, wie noch neuerlichst Ruiz und Pavon, die Erfindung den
Indianern zuschreiben. Auch im Königreich Neu-Grenada war den Ein-
gebornen die Heilkraft der Cinchona gänzlich unbekannt.
Hundert Jahre verflossen, ehe man irgend eine botanische Beschrei-
bung des Baumes erhielt, dessen gepülverte Rinde das Jesuiterpulver gab.
Der Astronom La Condamine, der mit unbeschreiblicher Lebhaftigkeit
alle Theile des menschlichen Wissens umfaſste, und von dem Jussieu in
Paris mehrere sehr saubere botanische Zeichnungen besitzt, La Conda-
mine war der erste Gelehrte, welcher den Fieberrindenbaum untersuchte
und beschrieb. Er reiste **) durch Loxa nach Lima im Jahr 1737, und
seine Beschreibung der Cinchona erschien in den Mém. de l'Academie
*) Unter den Indianern am Orinoco, besonders in Atures und Maypure, haben wir ein vortref-
liches fieberheilendes Mittel gefunden, die frutta de Burro, die Frucht einer neuen Art Uvaria,
welche wir unter dem Namen Uvaria febrifuga beschreiben werden.
**) Voyage á l' Equateur, p. 31. 75. 186 und 203.
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