Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Humboldt, Alexander von: Ueber einige neuere Galvanische Erscheinungen. In: Medicinisch-chirurgische Zeitung. Nr. 100 (1797) S. 375-382.

Bild:
erste Seite
Ueber einige neuere Galvanische Erscheinungen -- aus einem
Briefe des Oberbergraths v. Humboldt an den Prof.
Marcus Herz zu Berlin.

Sie melden mir, theuerster Freund, daß meine Schrift über
die gereitzte Muskel- und Nervenfaser Sie lange beschäftigt, daß
Sie mir fleißig nachexperimentirt, und daß Ihnen fast alle mei-
ne Versuche, bis auf den Fig. 62. gelungen sind. Von einem
Manne, der, wie Sie, mit philosophischem Geiste in die Geheim-
nisse der Natur eindringt, mußte ein solches Zeugniß mich nicht we-
nig erfreuen. Je schmeichelhafter aber die Aufmerksamkeit ist, wel-
che man von so vielen Seiten meinen physiologischen Arbeiten schenkt,
desto mehr finde ich mich berufen, meine geringen Kräfte aufzubie-
then, um das, was ich bisher gefunden zu haben glaube, einer
strengen Prüfung zu unterwerfen. Da ich im Begriffe stehe,
noch ein Mahl nach Italien zu reisen, ja da eine größere Unter-
nehmung mich sogar bald auf lange Zeit von allem literarischen
Verkehr abschneiden wird: so habe ich meine letzte Muße genutzt,
alle meine Versuche zu wiederhohlen. Ich eile Ihnen die Re-
sultate jener Untersuchung, das heißt die Puncte anzuzeigen,
über welche ich mich unrichtig oder wenigstens unbestimmt aus-
gedrückt zu haben glaube. Sie reduciren sich auf zwey Gegen-
stände, auf das Galvanisiren unter Wasser und auf die trans-
versale Durchschneidung des Nervens.

Neuere Experimente machen es mir (vergleichen Sie den
1ten Band S. 247 meines Werks) auf's Neue wahrscheinlich,
daß die Metalle selbst keine, beym Galvanismus bemerkbaren
Wirkungskreise um sich verbreiten. Ich habe nie Contractionen
entstehen gesehen, wenn die Metalle sich nicht unmittelbar berühr-
ten. Dagegen habe ich Unrecht gehabt, wenn ich sagte, daß
bey den mattesten Fröschen der Contact zwischen den erregbaren
Organen und dem Metall nicht nothwendig sey. Was ich da-
mahls für die mattesten Thiere hielt, waren es nicht. Die Er-
scheinungen unter Wasser sind in der That weit wichtiger, als

ich
Ueber einige neuere Galvaniſche Erſcheinungen — aus einem
Briefe des Oberbergraths v. Humboldt an den Prof.
Marcus Herz zu Berlin.

Sie melden mir, theuerſter Freund, daß meine Schrift uͤber
die gereitzte Muſkel- und Nervenfaſer Sie lange beſchaͤftigt, daß
Sie mir fleißig nachexperimentirt, und daß Ihnen faſt alle mei-
ne Verſuche, bis auf den Fig. 62. gelungen ſind. Von einem
Manne, der, wie Sie, mit philoſophiſchem Geiſte in die Geheim-
niſſe der Natur eindringt, mußte ein ſolches Zeugniß mich nicht we-
nig erfreuen. Je ſchmeichelhafter aber die Aufmerkſamkeit iſt, wel-
che man von ſo vielen Seiten meinen phyſiologiſchen Arbeiten ſchenkt,
deſto mehr finde ich mich berufen, meine geringen Kraͤfte aufzubie-
then, um das, was ich bisher gefunden zu haben glaube, einer
ſtrengen Pruͤfung zu unterwerfen. Da ich im Begriffe ſtehe,
noch ein Mahl nach Italien zu reiſen, ja da eine groͤßere Unter-
nehmung mich ſogar bald auf lange Zeit von allem literariſchen
Verkehr abſchneiden wird: ſo habe ich meine letzte Muße genutzt,
alle meine Verſuche zu wiederhohlen. Ich eile Ihnen die Re-
ſultate jener Unterſuchung, das heißt die Puncte anzuzeigen,
uͤber welche ich mich unrichtig oder wenigſtens unbeſtimmt aus-
gedruͤckt zu haben glaube. Sie reduciren ſich auf zwey Gegen-
ſtaͤnde, auf das Galvaniſiren unter Waſſer und auf die trans-
verſale Durchſchneidung des Nervens.

Neuere Experimente machen es mir (vergleichen Sie den
1ten Band S. 247 meines Werks) auf's Neue wahrſcheinlich,
daß die Metalle ſelbſt keine, beym Galvaniſmus bemerkbaren
Wirkungskreiſe um ſich verbreiten. Ich habe nie Contractionen
entſtehen geſehen, wenn die Metalle ſich nicht unmittelbar beruͤhr-
ten. Dagegen habe ich Unrecht gehabt, wenn ich ſagte, daß
bey den matteſten Froͤſchen der Contact zwiſchen den erregbaren
Organen und dem Metall nicht nothwendig ſey. Was ich da-
mahls fuͤr die matteſten Thiere hielt, waren es nicht. Die Er-
ſcheinungen unter Waſſer ſind in der That weit wichtiger, als

ich
<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0001" n="375"/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#g">Ueber einige neuere Galvani&#x017F;che Er&#x017F;cheinungen &#x2014; aus einem<lb/>
Briefe des Oberbergraths v. Humboldt an den Prof.<lb/>
Marcus Herz zu Berlin.</hi> </head><lb/>
        <p><hi rendition="#in">S</hi>ie melden mir, theuer&#x017F;ter Freund, daß meine Schrift u&#x0364;ber<lb/>
die gereitzte Mu&#x017F;kel- und Nervenfa&#x017F;er Sie lange be&#x017F;cha&#x0364;ftigt, daß<lb/>
Sie mir fleißig nachexperimentirt, und daß Ihnen fa&#x017F;t alle mei-<lb/>
ne Ver&#x017F;uche, bis auf den Fig. 62. gelungen &#x017F;ind. Von einem<lb/>
Manne, der, wie Sie, mit philo&#x017F;ophi&#x017F;chem Gei&#x017F;te in die Geheim-<lb/>
ni&#x017F;&#x017F;e der Natur eindringt, mußte ein &#x017F;olches Zeugniß mich nicht we-<lb/>
nig erfreuen. Je &#x017F;chmeichelhafter aber die Aufmerk&#x017F;amkeit i&#x017F;t, wel-<lb/>
che man von &#x017F;o vielen Seiten meinen phy&#x017F;iologi&#x017F;chen Arbeiten &#x017F;chenkt,<lb/>
de&#x017F;to mehr finde ich mich berufen, meine geringen Kra&#x0364;fte aufzubie-<lb/>
then, um das, was ich bisher gefunden zu haben glaube, einer<lb/>
&#x017F;trengen Pru&#x0364;fung zu unterwerfen. Da ich im Begriffe &#x017F;tehe,<lb/>
noch ein Mahl nach Italien zu rei&#x017F;en, ja da eine gro&#x0364;ßere Unter-<lb/>
nehmung mich &#x017F;ogar bald auf lange Zeit von allem literari&#x017F;chen<lb/>
Verkehr ab&#x017F;chneiden wird: &#x017F;o habe ich meine letzte Muße genutzt,<lb/>
alle meine Ver&#x017F;uche zu wiederhohlen. Ich eile Ihnen die Re-<lb/>
&#x017F;ultate jener Unter&#x017F;uchung, das heißt die Puncte anzuzeigen,<lb/>
u&#x0364;ber welche ich mich unrichtig oder wenig&#x017F;tens unbe&#x017F;timmt aus-<lb/>
gedru&#x0364;ckt zu haben glaube. Sie reduciren &#x017F;ich auf zwey Gegen-<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;nde, auf das Galvani&#x017F;iren unter Wa&#x017F;&#x017F;er und auf die trans-<lb/>
ver&#x017F;ale Durch&#x017F;chneidung des Nervens.</p><lb/>
        <p>Neuere Experimente machen es mir (vergleichen Sie den<lb/>
1ten Band S. 247 meines Werks) auf's <hi rendition="#g">Neue</hi> wahr&#x017F;cheinlich,<lb/>
daß die Metalle &#x017F;elb&#x017F;t keine, beym Galvani&#x017F;mus bemerkbaren<lb/>
Wirkungskrei&#x017F;e um &#x017F;ich verbreiten. Ich habe nie Contractionen<lb/>
ent&#x017F;tehen ge&#x017F;ehen, wenn die Metalle &#x017F;ich nicht unmittelbar beru&#x0364;hr-<lb/>
ten. Dagegen habe ich Unrecht gehabt, wenn ich &#x017F;agte, daß<lb/>
bey den matte&#x017F;ten Fro&#x0364;&#x017F;chen der Contact zwi&#x017F;chen den erregbaren<lb/>
Organen und dem Metall nicht nothwendig &#x017F;ey. Was ich da-<lb/>
mahls fu&#x0364;r die matte&#x017F;ten Thiere hielt, waren es nicht. Die Er-<lb/>
&#x017F;cheinungen unter Wa&#x017F;&#x017F;er &#x017F;ind in der That weit wichtiger, als<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ich</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[375/0001] Ueber einige neuere Galvaniſche Erſcheinungen — aus einem Briefe des Oberbergraths v. Humboldt an den Prof. Marcus Herz zu Berlin. Sie melden mir, theuerſter Freund, daß meine Schrift uͤber die gereitzte Muſkel- und Nervenfaſer Sie lange beſchaͤftigt, daß Sie mir fleißig nachexperimentirt, und daß Ihnen faſt alle mei- ne Verſuche, bis auf den Fig. 62. gelungen ſind. Von einem Manne, der, wie Sie, mit philoſophiſchem Geiſte in die Geheim- niſſe der Natur eindringt, mußte ein ſolches Zeugniß mich nicht we- nig erfreuen. Je ſchmeichelhafter aber die Aufmerkſamkeit iſt, wel- che man von ſo vielen Seiten meinen phyſiologiſchen Arbeiten ſchenkt, deſto mehr finde ich mich berufen, meine geringen Kraͤfte aufzubie- then, um das, was ich bisher gefunden zu haben glaube, einer ſtrengen Pruͤfung zu unterwerfen. Da ich im Begriffe ſtehe, noch ein Mahl nach Italien zu reiſen, ja da eine groͤßere Unter- nehmung mich ſogar bald auf lange Zeit von allem literariſchen Verkehr abſchneiden wird: ſo habe ich meine letzte Muße genutzt, alle meine Verſuche zu wiederhohlen. Ich eile Ihnen die Re- ſultate jener Unterſuchung, das heißt die Puncte anzuzeigen, uͤber welche ich mich unrichtig oder wenigſtens unbeſtimmt aus- gedruͤckt zu haben glaube. Sie reduciren ſich auf zwey Gegen- ſtaͤnde, auf das Galvaniſiren unter Waſſer und auf die trans- verſale Durchſchneidung des Nervens. Neuere Experimente machen es mir (vergleichen Sie den 1ten Band S. 247 meines Werks) auf's Neue wahrſcheinlich, daß die Metalle ſelbſt keine, beym Galvaniſmus bemerkbaren Wirkungskreiſe um ſich verbreiten. Ich habe nie Contractionen entſtehen geſehen, wenn die Metalle ſich nicht unmittelbar beruͤhr- ten. Dagegen habe ich Unrecht gehabt, wenn ich ſagte, daß bey den matteſten Froͤſchen der Contact zwiſchen den erregbaren Organen und dem Metall nicht nothwendig ſey. Was ich da- mahls fuͤr die matteſten Thiere hielt, waren es nicht. Die Er- ſcheinungen unter Waſſer ſind in der That weit wichtiger, als ich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Weitere Informationen:

Eine weitere Fassung dieses Textes finden Sie in der Ausgabe Sämtliche Schriften digital (2021 ff.) der Universität Bern.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_galvanische_1797
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_galvanische_1797/1
Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Ueber einige neuere Galvanische Erscheinungen. In: Medicinisch-chirurgische Zeitung. Nr. 100 (1797) S. 375-382, S. 375. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_galvanische_1797/1>, abgerufen am 10.12.2024.