in Liebe über, aus welcher Begierde des Aehnlichwerdens, der Vereinigung entspringt. Dies findet sich auch bei denjenigen Völkern, welche noch auf den niedrigsten Stufen der Bildung stehen. Denn daraus entspringt es, wenn selbst bei den rohesten Völkern die Ersten der Nation sich von den Göttern abzustammen, zu ihnen zurückzukehren wähnen. Nur ver- schieden ist die Vorstellung der Gottheit nach der Verschie- denheit der Vorstellung von Vollkommenheit, die in jedem Zeit- alter und unter jeder Nation herrscht. Die Götter der ältesten Griechen und Römer, und die Götter unserer entferntesten Vorfahren waren Ideale körperlicher Macht und Stärke. Als die Idee des sinnlich Schönen entstand und verfeinert ward, erhob man die personificirte sinnliche Schönheit auf den Thron der Gottheit, und so entstand die Religion, welche man Reli- gion der Kunst nennen könnte. Als man sich von dem Sinn- lichen zum rein Geistigen, von dem Schönen zum Guten und Wahren erhob, wurde der Inbegriff aller intellektuellen und moralischen Vollkommenheit Gegenstand der Anbetung, und die Religion ein Eigenthum der Philosophie. Vielleicht könnte nach diesem Maassstabe der Werth der verschiedenen Reli- gionen gegen einander abgewogen werden, wenn Religionen nach Nationen oder Partheien, nicht nach einzelnen Individuen verschieden wären. Allein so ist Religion ganz subjektiv, beruht allein auf der Eigenthümlichkeit der Vorstellungsart jedes Menschen.
Wenn die Idee einer Gottheit die Frucht wahrer geistiger Bildung ist; so wirkt sie schön und wohlthätig auf die innere Vollkommenheit zurück. Alle Dinge erscheinen uns in verän- derter Gestalt, wenn sie Geschöpfe planvoller Absicht, als wenn sie ein Werk eines vernunftlosen Zufalls sind. Die Ideen von Weisheit, Ordnung, Absicht, die uns zu unserm Handeln, und selbst zur Erhöhung unsrer intellektuellen Kräfte so noth- wendig sind, fassen festere Wurzel in unserer Seele, wenn wir
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in Liebe über, aus welcher Begierde des Aehnlichwerdens, der Vereinigung entspringt. Dies findet sich auch bei denjenigen Völkern, welche noch auf den niedrigsten Stufen der Bildung stehen. Denn daraus entspringt es, wenn selbst bei den rohesten Völkern die Ersten der Nation sich von den Göttern abzustammen, zu ihnen zurückzukehren wähnen. Nur ver- schieden ist die Vorstellung der Gottheit nach der Verschie- denheit der Vorstellung von Vollkommenheit, die in jedem Zeit- alter und unter jeder Nation herrscht. Die Götter der ältesten Griechen und Römer, und die Götter unserer entferntesten Vorfahren waren Ideale körperlicher Macht und Stärke. Als die Idee des sinnlich Schönen entstand und verfeinert ward, erhob man die personificirte sinnliche Schönheit auf den Thron der Gottheit, und so entstand die Religion, welche man Reli- gion der Kunst nennen könnte. Als man sich von dem Sinn- lichen zum rein Geistigen, von dem Schönen zum Guten und Wahren erhob, wurde der Inbegriff aller intellektuellen und moralischen Vollkommenheit Gegenstand der Anbetung, und die Religion ein Eigenthum der Philosophie. Vielleicht könnte nach diesem Maassstabe der Werth der verschiedenen Reli- gionen gegen einander abgewogen werden, wenn Religionen nach Nationen oder Partheien, nicht nach einzelnen Individuen verschieden wären. Allein so ist Religion ganz subjektiv, beruht allein auf der Eigenthümlichkeit der Vorstellungsart jedes Menschen.
Wenn die Idee einer Gottheit die Frucht wahrer geistiger Bildung ist; so wirkt sie schön und wohlthätig auf die innere Vollkommenheit zurück. Alle Dinge erscheinen uns in verän- derter Gestalt, wenn sie Geschöpfe planvoller Absicht, als wenn sie ein Werk eines vernunftlosen Zufalls sind. Die Ideen von Weisheit, Ordnung, Absicht, die uns zu unserm Handeln, und selbst zur Erhöhung unsrer intellektuellen Kräfte so noth- wendig sind, fassen festere Wurzel in unserer Seele, wenn wir
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in Liebe über, aus welcher Begierde des Aehnlichwerdens, der
Vereinigung entspringt. Dies findet sich auch bei denjenigen
Völkern, welche noch auf den niedrigsten Stufen der Bildung
stehen. Denn daraus entspringt es, wenn selbst bei den
rohesten Völkern die Ersten der Nation sich von den Göttern
abzustammen, zu ihnen zurückzukehren wähnen. Nur ver-
schieden ist die Vorstellung der Gottheit nach der Verschie-
denheit der Vorstellung von Vollkommenheit, die in jedem Zeit-
alter und unter jeder Nation herrscht. Die Götter der ältesten
Griechen und Römer, und die Götter unserer entferntesten
Vorfahren waren Ideale körperlicher Macht und Stärke. Als
die Idee des sinnlich Schönen entstand und verfeinert ward,
erhob man die personificirte sinnliche Schönheit auf den Thron
der Gottheit, und so entstand die Religion, welche man Reli-
gion der Kunst nennen könnte. Als man sich von dem Sinn-
lichen zum rein Geistigen, von dem Schönen zum Guten und
Wahren erhob, wurde der Inbegriff aller intellektuellen und
moralischen Vollkommenheit Gegenstand der Anbetung, und
die Religion ein Eigenthum der Philosophie. Vielleicht könnte
nach diesem Maassstabe der Werth der verschiedenen Reli-
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nach Nationen oder Partheien, nicht nach einzelnen Individuen
verschieden wären. Allein so ist Religion ganz subjektiv,
beruht allein auf der Eigenthümlichkeit der Vorstellungsart
jedes Menschen.
Wenn die Idee einer Gottheit die Frucht wahrer geistiger
Bildung ist; so wirkt sie schön und wohlthätig auf die innere
Vollkommenheit zurück. Alle Dinge erscheinen uns in verän-
derter Gestalt, wenn sie Geschöpfe planvoller Absicht, als
wenn sie ein Werk eines vernunftlosen Zufalls sind. Die Ideen
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Wilhelm von Humboldt schrieb seine 'Ideen zu eine… [mehr]
Wilhelm von Humboldt schrieb seine 'Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen' zwischen März und Mai des Jahres 1792 nieder. Einzelne Abschnitte wurden im selben Jahr in Friedrich Schillers Thalia bzw. in der Berlinischen Monatsschrift gedruckt. Der gesamte Text wurde jedoch erst postum, 1851, aus dem Nachlass publiziert (Wilhelm von Humboldt † 8. April 1835). Gemäß den Richtlinien des DTA wurde diese Ausgabe digitalisiert.
Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851/101>, abgerufen am 16.02.2025.
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