menschlichen Kräfte noch etwas anderes, obgleich mit der Frei- heit eng verbundenes, -- Mannigfaltigkeit der Situationen. Auch der freieste und unabhängigste Mensch, in einförmige Lagen versetzt, bildet sich minder aus. Zwar ist nun eines- theils diese Mannigfaltigkeit allemal Folge der Freiheit, und anderntheils giebt es auch eine Art der Unterdrückung, die, statt den Menschen einzuschränken, den Dingen um ihn her eine beliebige Gestalt giebt, so dass beide gewissermassen Eins und dasselbe sind. Indess ist es der Klarheit der Ideen den- noch angemessener, beide noch von einander zu trennen. Jeder Mensch vermag auf Einmal nur mit Einer Kraft zu wirken, oder vielmehr sein ganzes Wesen wird auf Einmal nur zu Einer Thätigkeit gestimmt. Daher scheint der Mensch zur Einsei- tigkeit bestimmt, indem er seine Energie schwächt, sobald er sich auf mehrere Gegenstände verbreitet. Allein dieser Ein- seitigkeit entgeht er, wenn er die einzelnen, oft einzeln geübten Kräfte zu vereinen, den beinah schon verloschnen wie den erst künftig hell aufflammenden Funken in jeder Periode seines Lebens zugleich mitwirken zu lassen, und statt der Gegen- stände, auf die er wirkt, die Kräfte, womit er wirkt, durch Verbindung zu vervielfältigen strebt. Was hier gleichsam die Verknüpfung der Vergangenheit und der Zukunft mit der Gegenwart wirkt, das wirkt in der Gesellschaft die Verbindung mit andern. Denn auch durch alle Perioden des Lebens er- reicht jeder Mensch dennoch nur Eine der Vollkommenheiten, welche gleichsam den Charakter des ganzen Menschenge- schlechts bilden. Durch Verbindungen also, die aus dem Innern der Wesen entspringen, muss einer den Reichthum des andern sich eigen machen. Eine solche charakterbildende Verbindung ist, nach der Erfahrung aller auch sogar der rohesten Nationen, z. B. die Verbindung der beiden Geschlechter. Allein wenn hier der Ausdruck, sowohl der Verschiedenheit, als der Sehn- sucht nach der Vereinigung gewissermassen stärker ist: so ist
menschlichen Kräfte noch etwas anderes, obgleich mit der Frei- heit eng verbundenes, — Mannigfaltigkeit der Situationen. Auch der freieste und unabhängigste Mensch, in einförmige Lagen versetzt, bildet sich minder aus. Zwar ist nun eines- theils diese Mannigfaltigkeit allemal Folge der Freiheit, und anderntheils giebt es auch eine Art der Unterdrückung, die, statt den Menschen einzuschränken, den Dingen um ihn her eine beliebige Gestalt giebt, so dass beide gewissermassen Eins und dasselbe sind. Indess ist es der Klarheit der Ideen den- noch angemessener, beide noch von einander zu trennen. Jeder Mensch vermag auf Einmal nur mit Einer Kraft zu wirken, oder vielmehr sein ganzes Wesen wird auf Einmal nur zu Einer Thätigkeit gestimmt. Daher scheint der Mensch zur Einsei- tigkeit bestimmt, indem er seine Energie schwächt, sobald er sich auf mehrere Gegenstände verbreitet. Allein dieser Ein- seitigkeit entgeht er, wenn er die einzelnen, oft einzeln geübten Kräfte zu vereinen, den beinah schon verloschnen wie den erst künftig hell aufflammenden Funken in jeder Periode seines Lebens zugleich mitwirken zu lassen, und statt der Gegen- stände, auf die er wirkt, die Kräfte, womit er wirkt, durch Verbindung zu vervielfältigen strebt. Was hier gleichsam die Verknüpfung der Vergangenheit und der Zukunft mit der Gegenwart wirkt, das wirkt in der Gesellschaft die Verbindung mit andern. Denn auch durch alle Perioden des Lebens er- reicht jeder Mensch dennoch nur Eine der Vollkommenheiten, welche gleichsam den Charakter des ganzen Menschenge- schlechts bilden. Durch Verbindungen also, die aus dem Innern der Wesen entspringen, muss einer den Reichthum des andern sich eigen machen. Eine solche charakterbildende Verbindung ist, nach der Erfahrung aller auch sogar der rohesten Nationen, z. B. die Verbindung der beiden Geschlechter. Allein wenn hier der Ausdruck, sowohl der Verschiedenheit, als der Sehn- sucht nach der Vereinigung gewissermassen stärker ist: so ist
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menschlichen Kräfte noch etwas anderes, obgleich mit der Frei-
heit eng verbundenes, — Mannigfaltigkeit der Situationen.
Auch der freieste und unabhängigste Mensch, in einförmige
Lagen versetzt, bildet sich minder aus. Zwar ist nun eines-
theils diese Mannigfaltigkeit allemal Folge der Freiheit, und
anderntheils giebt es auch eine Art der Unterdrückung, die,
statt den Menschen einzuschränken, den Dingen um ihn her
eine beliebige Gestalt giebt, so dass beide gewissermassen Eins
und dasselbe sind. Indess ist es der Klarheit der Ideen den-
noch angemessener, beide noch von einander zu trennen. Jeder
Mensch vermag auf Einmal nur mit Einer Kraft zu wirken,
oder vielmehr sein ganzes Wesen wird auf Einmal nur zu Einer
Thätigkeit gestimmt. Daher scheint der Mensch zur Einsei-
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sich auf mehrere Gegenstände verbreitet. Allein dieser Ein-
seitigkeit entgeht er, wenn er die einzelnen, oft einzeln geübten
Kräfte zu vereinen, den beinah schon verloschnen wie den erst
künftig hell aufflammenden Funken in jeder Periode seines
Lebens zugleich mitwirken zu lassen, und statt der Gegen-
stände, auf die er wirkt, die Kräfte, womit er wirkt, durch
Verbindung zu vervielfältigen strebt. Was hier gleichsam die
Verknüpfung der Vergangenheit und der Zukunft mit der
Gegenwart wirkt, das wirkt in der Gesellschaft die Verbindung
mit andern. Denn auch durch alle Perioden des Lebens er-
reicht jeder Mensch dennoch nur Eine der Vollkommenheiten,
welche gleichsam den Charakter des ganzen Menschenge-
schlechts bilden. Durch Verbindungen also, die aus dem Innern
der Wesen entspringen, muss einer den Reichthum des andern
sich eigen machen. Eine solche charakterbildende Verbindung
ist, nach der Erfahrung aller auch sogar der rohesten Nationen,
z. B. die Verbindung der beiden Geschlechter. Allein wenn
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Wilhelm von Humboldt schrieb seine 'Ideen zu eine… [mehr]
Wilhelm von Humboldt schrieb seine 'Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen' zwischen März und Mai des Jahres 1792 nieder. Einzelne Abschnitte wurden im selben Jahr in Friedrich Schillers Thalia bzw. in der Berlinischen Monatsschrift gedruckt. Der gesamte Text wurde jedoch erst postum, 1851, aus dem Nachlass publiziert (Wilhelm von Humboldt † 8. April 1835). Gemäß den Richtlinien des DTA wurde diese Ausgabe digitalisiert.
Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851/46>, abgerufen am 16.07.2024.
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