III. Uebergang zur eigentlichen Untersuchung. Eintheilung derselben. Sorgfalt des Staats für das positive, insbesondere physische, Wohl der Bürger.
Umfang dieses Abschnitts. -- Die Sorgfalt des Staats für das positive Wohl der Bürger ist schädlich. Denn sie -- bringt Einförmigkeit hervor; -- schwächt die Kraft; -- stört und verhindert die Rückwirkung der äusseren, auch bloss körperlichen Beschäftigungen, und der äusseren Verhältnisse überhaupt auf den Geist und den Charakter der Menschen; -- muss auf eine gemischte Menge gerichtet werden, und schadet daher den Einzelnen durch Maassregeln, welche auf einen jeden von ihnen, nur mit beträchtlichen Fehlern passen; -- hindert die Entwickelung der Individualität und Eigenthümlichkeit des Menschen; -- er- schwert die Staatsverwaltung selbst, vervielfältigt die dazu erforderlichen Mittel, und wird dadurch eine Quelle mannigfaltiger Nachtheile; -- verrückt endlich die richtigen und natürlichen Gesichtspunkte der Menschen, bei den wichtigsten Gegenständen. -- Rechtfertigung gegen den Einwurf der Uebertreibung der geschilderten Nachtheile. -- Vortheile des, dem eben bestrittenen entgegenge- setzten Systems. -- Höchster, aus diesem Abschnitt gezogener Grundsatz. -- Mittel einer auf das positive Wohl der Bürger gerichteten Sorgfalt des Staats. -- Schädlichkeit derselben. -- Unterschied der Fälle, wenn etwas vom Staat, als Staat, und wenn dasselbe von einzelnen Bürgern gethan wird. -- Prüfung des Einwurfs: ob eine Sorgfalt des Staats für das positive Wohl nicht nothwendig ist, weil es vielleicht nicht möglich ist, ohne sie, dieselben äussern Zwecke zu erreichen, dieselben nothwendigen Resultate zu erhalten? -- Beweis dieser Möglichkeit, -- vorzüglich durch freiwillige gemeinschaftliche Veranstaltungen der Bürger. -- Vorzug dieser Veranstaltungen vor den Veranstaltungen des Staats.
In einer völlig allgemeinen Formel ausgedrückt, könnte man den wahren Umfang der Wirksamkeit des Staats alles dasjenige nennen, was er zum Wohl der Gesellschaft zu thun vermöchte, ohne jenen oben ausgeführten Grundsatz zu ver- letzen; und es würde sich unmittelbar hieraus auch die nähere Bestimmung ergeben, dass jedes Bemühen des Staats ver- werflich sei, sich in die Privatangelegenheiten der Bürger überall da einzumischen, wo dieselben nicht unmittelbaren Bezug auf die Kränkung der Rechte des einen durch den andern haben. Indess ist es doch, um die vorgelegte Frage ganz zu
III. Uebergang zur eigentlichen Untersuchung. Eintheilung derselben. Sorgfalt des Staats für das positive, insbesondere physische, Wohl der Bürger.
Umfang dieses Abschnitts. — Die Sorgfalt des Staats für das positive Wohl der Bürger ist schädlich. Denn sie — bringt Einförmigkeit hervor; — schwächt die Kraft; — stört und verhindert die Rückwirkung der äusseren, auch bloss körperlichen Beschäftigungen, und der äusseren Verhältnisse überhaupt auf den Geist und den Charakter der Menschen; — muss auf eine gemischte Menge gerichtet werden, und schadet daher den Einzelnen durch Maassregeln, welche auf einen jeden von ihnen, nur mit beträchtlichen Fehlern passen; — hindert die Entwickelung der Individualität und Eigenthümlichkeit des Menschen; — er- schwert die Staatsverwaltung selbst, vervielfältigt die dazu erforderlichen Mittel, und wird dadurch eine Quelle mannigfaltiger Nachtheile; — verrückt endlich die richtigen und natürlichen Gesichtspunkte der Menschen, bei den wichtigsten Gegenständen. — Rechtfertigung gegen den Einwurf der Uebertreibung der geschilderten Nachtheile. — Vortheile des, dem eben bestrittenen entgegenge- setzten Systems. — Höchster, aus diesem Abschnitt gezogener Grundsatz. — Mittel einer auf das positive Wohl der Bürger gerichteten Sorgfalt des Staats. — Schädlichkeit derselben. — Unterschied der Fälle, wenn etwas vom Staat, als Staat, und wenn dasselbe von einzelnen Bürgern gethan wird. — Prüfung des Einwurfs: ob eine Sorgfalt des Staats für das positive Wohl nicht nothwendig ist, weil es vielleicht nicht möglich ist, ohne sie, dieselben äussern Zwecke zu erreichen, dieselben nothwendigen Resultate zu erhalten? — Beweis dieser Möglichkeit, — vorzüglich durch freiwillige gemeinschaftliche Veranstaltungen der Bürger. — Vorzug dieser Veranstaltungen vor den Veranstaltungen des Staats.
In einer völlig allgemeinen Formel ausgedrückt, könnte man den wahren Umfang der Wirksamkeit des Staats alles dasjenige nennen, was er zum Wohl der Gesellschaft zu thun vermöchte, ohne jenen oben ausgeführten Grundsatz zu ver- letzen; und es würde sich unmittelbar hieraus auch die nähere Bestimmung ergeben, dass jedes Bemühen des Staats ver- werflich sei, sich in die Privatangelegenheiten der Bürger überall da einzumischen, wo dieselben nicht unmittelbaren Bezug auf die Kränkung der Rechte des einen durch den andern haben. Indess ist es doch, um die vorgelegte Frage ganz zu
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III.
Uebergang zur eigentlichen Untersuchung. Eintheilung derselben.
Sorgfalt des Staats für das positive, insbesondere physische,
Wohl der Bürger.
Umfang dieses Abschnitts. — Die Sorgfalt des Staats für das positive Wohl der
Bürger ist schädlich. Denn sie — bringt Einförmigkeit hervor; — schwächt
die Kraft; — stört und verhindert die Rückwirkung der äusseren, auch bloss
körperlichen Beschäftigungen, und der äusseren Verhältnisse überhaupt auf den
Geist und den Charakter der Menschen; — muss auf eine gemischte Menge
gerichtet werden, und schadet daher den Einzelnen durch Maassregeln, welche
auf einen jeden von ihnen, nur mit beträchtlichen Fehlern passen; — hindert die
Entwickelung der Individualität und Eigenthümlichkeit des Menschen; — er-
schwert die Staatsverwaltung selbst, vervielfältigt die dazu erforderlichen Mittel,
und wird dadurch eine Quelle mannigfaltiger Nachtheile; — verrückt endlich
die richtigen und natürlichen Gesichtspunkte der Menschen, bei den wichtigsten
Gegenständen. — Rechtfertigung gegen den Einwurf der Uebertreibung der
geschilderten Nachtheile. — Vortheile des, dem eben bestrittenen entgegenge-
setzten Systems. — Höchster, aus diesem Abschnitt gezogener Grundsatz. —
Mittel einer auf das positive Wohl der Bürger gerichteten Sorgfalt des Staats. —
Schädlichkeit derselben. — Unterschied der Fälle, wenn etwas vom Staat, als
Staat, und wenn dasselbe von einzelnen Bürgern gethan wird. — Prüfung des
Einwurfs: ob eine Sorgfalt des Staats für das positive Wohl nicht nothwendig
ist, weil es vielleicht nicht möglich ist, ohne sie, dieselben äussern Zwecke zu
erreichen, dieselben nothwendigen Resultate zu erhalten? — Beweis dieser
Möglichkeit, — vorzüglich durch freiwillige gemeinschaftliche Veranstaltungen
der Bürger. — Vorzug dieser Veranstaltungen vor den Veranstaltungen
des Staats.
In einer völlig allgemeinen Formel ausgedrückt, könnte
man den wahren Umfang der Wirksamkeit des Staats alles
dasjenige nennen, was er zum Wohl der Gesellschaft zu thun
vermöchte, ohne jenen oben ausgeführten Grundsatz zu ver-
letzen; und es würde sich unmittelbar hieraus auch die nähere
Bestimmung ergeben, dass jedes Bemühen des Staats ver-
werflich sei, sich in die Privatangelegenheiten der Bürger
überall da einzumischen, wo dieselben nicht unmittelbaren Bezug
auf die Kränkung der Rechte des einen durch den andern
haben. Indess ist es doch, um die vorgelegte Frage ganz zu
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Wilhelm von Humboldt schrieb seine 'Ideen zu eine… [mehr]
Wilhelm von Humboldt schrieb seine 'Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen' zwischen März und Mai des Jahres 1792 nieder. Einzelne Abschnitte wurden im selben Jahr in Friedrich Schillers Thalia bzw. in der Berlinischen Monatsschrift gedruckt. Der gesamte Text wurde jedoch erst postum, 1851, aus dem Nachlass publiziert (Wilhelm von Humboldt † 8. April 1835). Gemäß den Richtlinien des DTA wurde diese Ausgabe digitalisiert.
Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851/52>, abgerufen am 16.02.2025.
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