schafften, würden die Menschen auch oft, mit und ohne ihre Schuld, in Verlegenheit und Unglück gerathen. Aber das Glück, zu welchem der Mensch bestimmt ist, ist auch kein andres, als welches seine Kraft ihm verschafft; und diese Lagen gerade sind es, welche den Verstand schärfen, und den Charakter bilden. Wo der Staat die Selbstthätigkeit durch zu specielles Einwirken verhindert, da -- entstehen etwa solche Uebel nicht? Sie entstehen auch da, und überlassen den ein- mal auf fremde Kraft sich zu lehnen gewohnten Menschen nun einem weit trostloseren Schicksal. Denn so wie Ringen und thätige Arbeit das Unglück erleichtern, so und in zehnfach höherem Grade erschwert es hoffnungslose, vielleicht getäuschte Erwartung. Selbst den besten Fall angenommen, gleichen die Staaten, von denen ich hier rede, nur zu oft den Aerzten, welche die Krankheit nähren und den Tod entfernen. Ehe es Aerzte gab, kannte man nur Gesundheit oder Tod.
3. Alles, womit sich der Mensch beschäftigt, wenn es gleich nur bestimmt ist, physische Bedürfnisse mittelbar oder unmit- telbar zu befriedigen, oder überhaupt äussere Zwecke zu er- reichen, ist auf das genaueste mit innern Empfindungen ver- knüpft. Manchmal ist auch, neben dem äusseren Endzweck, noch ein innerer, und manchmal ist sogar dieser der eigentlich beabsichtete, jener nur, nothwendig oder zufällig, damit ver- bunden. Je mehr Einheit der Mensch besitzt, desto freier ent- springt das äussere Geschäft, das er wählt, aus seinem innern Sein; und desto häufiger und fester knüpft sich dieses an jenes da an, wo dasselbe nicht frei gewählt wurde. Daher ist der interessante Mensch in allen Lagen und allen Geschäften in- teressant; daher blüht er zu einer entzückenden Schönheit auf in einer Lebensweise, die mit seinem Charakter über- einstimmt.
So liessen sich vielleicht aus allen Bauern und Handwer- kern Künstler bilden, d. h. Menschen, die ihr Gewerbe um
schafften, würden die Menschen auch oft, mit und ohne ihre Schuld, in Verlegenheit und Unglück gerathen. Aber das Glück, zu welchem der Mensch bestimmt ist, ist auch kein andres, als welches seine Kraft ihm verschafft; und diese Lagen gerade sind es, welche den Verstand schärfen, und den Charakter bilden. Wo der Staat die Selbstthätigkeit durch zu specielles Einwirken verhindert, da — entstehen etwa solche Uebel nicht? Sie entstehen auch da, und überlassen den ein- mal auf fremde Kraft sich zu lehnen gewohnten Menschen nun einem weit trostloseren Schicksal. Denn so wie Ringen und thätige Arbeit das Unglück erleichtern, so und in zehnfach höherem Grade erschwert es hoffnungslose, vielleicht getäuschte Erwartung. Selbst den besten Fall angenommen, gleichen die Staaten, von denen ich hier rede, nur zu oft den Aerzten, welche die Krankheit nähren und den Tod entfernen. Ehe es Aerzte gab, kannte man nur Gesundheit oder Tod.
3. Alles, womit sich der Mensch beschäftigt, wenn es gleich nur bestimmt ist, physische Bedürfnisse mittelbar oder unmit- telbar zu befriedigen, oder überhaupt äussere Zwecke zu er- reichen, ist auf das genaueste mit innern Empfindungen ver- knüpft. Manchmal ist auch, neben dem äusseren Endzweck, noch ein innerer, und manchmal ist sogar dieser der eigentlich beabsichtete, jener nur, nothwendig oder zufällig, damit ver- bunden. Je mehr Einheit der Mensch besitzt, desto freier ent- springt das äussere Geschäft, das er wählt, aus seinem innern Sein; und desto häufiger und fester knüpft sich dieses an jenes da an, wo dasselbe nicht frei gewählt wurde. Daher ist der interessante Mensch in allen Lagen und allen Geschäften in- teressant; daher blüht er zu einer entzückenden Schönheit auf in einer Lebensweise, die mit seinem Charakter über- einstimmt.
So liessen sich vielleicht aus allen Bauern und Handwer- kern Künstler bilden, d. h. Menschen, die ihr Gewerbe um
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schafften, würden die Menschen auch oft, mit und ohne ihre
Schuld, in Verlegenheit und Unglück gerathen. Aber das
Glück, zu welchem der Mensch bestimmt ist, ist auch kein
andres, als welches seine Kraft ihm verschafft; und diese
Lagen gerade sind es, welche den Verstand schärfen, und den
Charakter bilden. Wo der Staat die Selbstthätigkeit durch
zu specielles Einwirken verhindert, da — entstehen etwa solche
Uebel nicht? Sie entstehen auch da, und überlassen den ein-
mal auf fremde Kraft sich zu lehnen gewohnten Menschen nun
einem weit trostloseren Schicksal. Denn so wie Ringen und
thätige Arbeit das Unglück erleichtern, so und in zehnfach
höherem Grade erschwert es hoffnungslose, vielleicht getäuschte
Erwartung. Selbst den besten Fall angenommen, gleichen die
Staaten, von denen ich hier rede, nur zu oft den Aerzten,
welche die Krankheit nähren und den Tod entfernen. Ehe es
Aerzte gab, kannte man nur Gesundheit oder Tod.
3. Alles, womit sich der Mensch beschäftigt, wenn es gleich
nur bestimmt ist, physische Bedürfnisse mittelbar oder unmit-
telbar zu befriedigen, oder überhaupt äussere Zwecke zu er-
reichen, ist auf das genaueste mit innern Empfindungen ver-
knüpft. Manchmal ist auch, neben dem äusseren Endzweck,
noch ein innerer, und manchmal ist sogar dieser der eigentlich
beabsichtete, jener nur, nothwendig oder zufällig, damit ver-
bunden. Je mehr Einheit der Mensch besitzt, desto freier ent-
springt das äussere Geschäft, das er wählt, aus seinem innern
Sein; und desto häufiger und fester knüpft sich dieses an jenes
da an, wo dasselbe nicht frei gewählt wurde. Daher ist der
interessante Mensch in allen Lagen und allen Geschäften in-
teressant; daher blüht er zu einer entzückenden Schönheit
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Wilhelm von Humboldt schrieb seine 'Ideen zu eine… [mehr]
Wilhelm von Humboldt schrieb seine 'Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen' zwischen März und Mai des Jahres 1792 nieder. Einzelne Abschnitte wurden im selben Jahr in Friedrich Schillers Thalia bzw. in der Berlinischen Monatsschrift gedruckt. Der gesamte Text wurde jedoch erst postum, 1851, aus dem Nachlass publiziert (Wilhelm von Humboldt † 8. April 1835). Gemäß den Richtlinien des DTA wurde diese Ausgabe digitalisiert.
Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851/59>, abgerufen am 16.02.2025.
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