Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851.

Bild:
<< vorherige Seite

Macht, seine Freiheit unterjochen zu können, und keinem
Freien den Willen zu, Herrscher zu sein -- wie denn auch in
der That der Herrschsüchtige, nicht empfänglich für die hohe
Schönheit der Freiheit, die Sklaverei liebt, nur dass er nicht
der Sklave sein will -- und so ist, wie die Moral mit dem
Laster, die Theologie mit der Ketzerei, die Politik mit der
Knechtschaft entstanden. Nur führen freilich unsere Monarchen
nicht eine so honigsüsse Sprache, als die Könige bei Homer
und Hesiodus 1).


V.
Sorgfalt des Staats für die Sicherheit gegen auswärtige Feinde.

Bei dieser Betrachtung gewählter Gesichtspunkt. -- Einfluss des Kriegs über-
haupt auf den Geist und den Charakter der Nation. -- Damit angestellte Ver-
gleichung des Zustandes desselben, und aller sich auf ihn beziehenden Einrich-
tungen bei uns. -- Mannigfaltige Nachtheile dieses Zustandes für die innere
Bildung des Menschen. -- Höchster, aus dieser Vergleichung geschöpfter
Grundsatz.

Von der Sicherheit gegen auswärtige Feinde brauchte ich
-- um zu meinem Vorhaben zurückzukehren -- kaum ein Wort

1)
Ontina timesousi Dios kourai megaloio,
Geinomenon t esidosi diotrepheon basileon,
To men epi glosse glukeren kheiousi een rsen,
Tou d epe ek stomatos rei meilikha.
und
Touneka gar basilees ekhephrones, ouneka laois
Blaptomenois agorephi metatropa erga teleusi
Reidios, malakois paraiphamenoi epeessin.
Hesiodus in Theogonia. [v. 81 sqq. 88 sqq.]
(Wen der götterentsprossenen Könige Zeus des Erhabnen
Töchter ehren, auf wen ihr Auge bei seiner Geburt blickt,
Dem beträufeln sie mit holdem Thaue die Zunge,
Honigsüss entströmet seinen Lippen die Rede.
und
Darum herrschen verständige Könige, dass sie die Völker,
Wenn ein Zwist sie spaltet, in der Versammlung zur Eintracht
Sonder Mühe bewegen, mit sanften Worten sie lenkend.)

Macht, seine Freiheit unterjochen zu können, und keinem
Freien den Willen zu, Herrscher zu sein — wie denn auch in
der That der Herrschsüchtige, nicht empfänglich für die hohe
Schönheit der Freiheit, die Sklaverei liebt, nur dass er nicht
der Sklave sein will — und so ist, wie die Moral mit dem
Laster, die Theologie mit der Ketzerei, die Politik mit der
Knechtschaft entstanden. Nur führen freilich unsere Monarchen
nicht eine so honigsüsse Sprache, als die Könige bei Homer
und Hesiodus 1).


V.
Sorgfalt des Staats für die Sicherheit gegen auswärtige Feinde.

Bei dieser Betrachtung gewählter Gesichtspunkt. — Einfluss des Kriegs über-
haupt auf den Geist und den Charakter der Nation. — Damit angestellte Ver-
gleichung des Zustandes desselben, und aller sich auf ihn beziehenden Einrich-
tungen bei uns. — Mannigfaltige Nachtheile dieses Zustandes für die innere
Bildung des Menschen. — Höchster, aus dieser Vergleichung geschöpfter
Grundsatz.

Von der Sicherheit gegen auswärtige Feinde brauchte ich
— um zu meinem Vorhaben zurückzukehren — kaum ein Wort

1)
Ὁντινα τιμησουσι Διος κουϱαι μεγαλοιο,
Γεινομενον τ̕ εσιδωσι διοτϱεφεων βασιληων,
Τῳ μεν επι γλωσσῃ γλυκεϱην χειουσι εε̃ ϱσην,
Του δ̕ επε̕ εκ στοματος ϱει μειλιχα.
und
Τουνεκα γαϱ βασιληες εχεφϱονες, ὁυνεκα λαοις
Βλαπτομενοις αγοϱῃφι μετατϱοπα εϱγα τελευσι
Ρηϊδιως, μαλακοις παϱαιφαμενοι επεεσσιν.
Hesiodus in Theogonia. [v. 81 sqq. 88 sqq.]
(Wen der götterentsprossenen Könige Zeus des Erhabnen
Töchter ehren, auf wen ihr Auge bei seiner Geburt blickt,
Dem beträufeln sie mit holdem Thaue die Zunge,
Honigsüss entströmet seinen Lippen die Rede.
und
Darum herrschen verständige Könige, dass sie die Völker,
Wenn ein Zwist sie spaltet, in der Versammlung zur Eintracht
Sonder Mühe bewegen, mit sanften Worten sie lenkend.)
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0083" n="47"/>
Macht, seine Freiheit unterjochen zu können, und keinem<lb/>
Freien den Willen zu, Herrscher zu sein &#x2014; wie denn auch in<lb/>
der That der Herrschsüchtige, nicht empfänglich für die hohe<lb/>
Schönheit der Freiheit, die Sklaverei liebt, nur dass er nicht<lb/>
der Sklave sein will &#x2014; und so ist, wie die Moral mit dem<lb/>
Laster, die Theologie mit der Ketzerei, die Politik mit der<lb/>
Knechtschaft entstanden. Nur führen freilich unsere Monarchen<lb/>
nicht eine so honigsüsse Sprache, als die Könige bei Homer<lb/>
und Hesiodus <note place="foot" n="1)"><lg type="poem"><lg n="1"><l>&#x1F49;&#x03BD;&#x03C4;&#x03B9;&#x03BD;&#x03B1; &#x03C4;&#x03B9;&#x03BC;&#x03B7;&#x03C3;&#x03BF;&#x03C5;&#x03C3;&#x03B9; &#x0394;&#x03B9;&#x03BF;&#x03C2; &#x03BA;&#x03BF;&#x03C5;&#x03F1;&#x03B1;&#x03B9; &#x03BC;&#x03B5;&#x03B3;&#x03B1;&#x03BB;&#x03BF;&#x03B9;&#x03BF;,</l><lb/><l>&#x0393;&#x03B5;&#x03B9;&#x03BD;&#x03BF;&#x03BC;&#x03B5;&#x03BD;&#x03BF;&#x03BD; &#x03C4;&#x0315; &#x03B5;&#x03C3;&#x03B9;&#x03B4;&#x03C9;&#x03C3;&#x03B9; &#x03B4;&#x03B9;&#x03BF;&#x03C4;&#x03F1;&#x03B5;&#x03C6;&#x03B5;&#x03C9;&#x03BD; &#x03B2;&#x03B1;&#x03C3;&#x03B9;&#x03BB;&#x03B7;&#x03C9;&#x03BD;,</l><lb/><l>&#x03A4;&#x1FF3; &#x03BC;&#x03B5;&#x03BD; &#x03B5;&#x03C0;&#x03B9; &#x03B3;&#x03BB;&#x03C9;&#x03C3;&#x03C3;&#x1FC3; &#x03B3;&#x03BB;&#x03C5;&#x03BA;&#x03B5;&#x03F1;&#x03B7;&#x03BD; &#x03C7;&#x03B5;&#x03B9;&#x03BF;&#x03C5;&#x03C3;&#x03B9; &#x03B5;&#x03B5;&#x0303; &#x03F1;&#x03C3;&#x03B7;&#x03BD;,</l><lb/><l>&#x03A4;&#x03BF;&#x03C5; &#x03B4;&#x0315; &#x03B5;&#x03C0;&#x03B5;&#x0315; &#x03B5;&#x03BA; &#x03C3;&#x03C4;&#x03BF;&#x03BC;&#x03B1;&#x03C4;&#x03BF;&#x03C2; &#x03F1;&#x03B5;&#x03B9; &#x03BC;&#x03B5;&#x03B9;&#x03BB;&#x03B9;&#x03C7;&#x03B1;.</l></lg></lg><lb/><hi rendition="#c">und</hi><lb/><lg type="poem"><lg n="1"><l>&#x03A4;&#x03BF;&#x03C5;&#x03BD;&#x03B5;&#x03BA;&#x03B1; &#x03B3;&#x03B1;&#x03F1; &#x03B2;&#x03B1;&#x03C3;&#x03B9;&#x03BB;&#x03B7;&#x03B5;&#x03C2; &#x03B5;&#x03C7;&#x03B5;&#x03C6;&#x03F1;&#x03BF;&#x03BD;&#x03B5;&#x03C2;, &#x1F41;&#x03C5;&#x03BD;&#x03B5;&#x03BA;&#x03B1; &#x03BB;&#x03B1;&#x03BF;&#x03B9;&#x03C2;</l><lb/><l>&#x0392;&#x03BB;&#x03B1;&#x03C0;&#x03C4;&#x03BF;&#x03BC;&#x03B5;&#x03BD;&#x03BF;&#x03B9;&#x03C2; &#x03B1;&#x03B3;&#x03BF;&#x03F1;&#x1FC3;&#x03C6;&#x03B9; &#x03BC;&#x03B5;&#x03C4;&#x03B1;&#x03C4;&#x03F1;&#x03BF;&#x03C0;&#x03B1; &#x03B5;&#x03F1;&#x03B3;&#x03B1; &#x03C4;&#x03B5;&#x03BB;&#x03B5;&#x03C5;&#x03C3;&#x03B9;</l><lb/><l>&#x03A1;&#x03B7;&#x03CA;&#x03B4;&#x03B9;&#x03C9;&#x03C2;, &#x03BC;&#x03B1;&#x03BB;&#x03B1;&#x03BA;&#x03BF;&#x03B9;&#x03C2; &#x03C0;&#x03B1;&#x03F1;&#x03B1;&#x03B9;&#x03C6;&#x03B1;&#x03BC;&#x03B5;&#x03BD;&#x03BF;&#x03B9; &#x03B5;&#x03C0;&#x03B5;&#x03B5;&#x03C3;&#x03C3;&#x03B9;&#x03BD;.</l><lb/><l>Hesiodus in Theogonia. [v. 81 sqq. 88 sqq.]</l></lg><lb/><lg n="2"><l>(Wen der götterentsprossenen Könige Zeus des Erhabnen</l><lb/><l>Töchter ehren, auf wen ihr Auge bei seiner Geburt blickt,</l><lb/><l>Dem beträufeln sie mit holdem Thaue die Zunge,</l><lb/><l>Honigsüss entströmet seinen Lippen die Rede.</l></lg></lg><lb/><hi rendition="#c">und</hi><lb/><lg type="poem"><lg n="1"><l>Darum herrschen verständige Könige, dass sie die Völker,</l><lb/><l>Wenn ein Zwist sie spaltet, in der Versammlung zur Eintracht</l><lb/><l>Sonder Mühe bewegen, mit sanften Worten sie lenkend.)</l></lg></lg></note>.</p>
      </div><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b">V.<lb/>
Sorgfalt des Staats für die Sicherheit gegen auswärtige Feinde.</hi> </head><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <argument>
          <p>Bei dieser Betrachtung gewählter Gesichtspunkt. &#x2014; Einfluss des Kriegs über-<lb/>
haupt auf den Geist und den Charakter der Nation. &#x2014; Damit angestellte Ver-<lb/>
gleichung des Zustandes desselben, und aller sich auf ihn beziehenden Einrich-<lb/>
tungen bei uns. &#x2014; Mannigfaltige Nachtheile dieses Zustandes für die innere<lb/>
Bildung des Menschen. &#x2014; Höchster, aus dieser Vergleichung geschöpfter<lb/>
Grundsatz.</p>
        </argument><lb/>
        <p>Von der Sicherheit gegen auswärtige Feinde brauchte ich<lb/>
&#x2014; um zu meinem Vorhaben zurückzukehren &#x2014; kaum ein Wort<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[47/0083] Macht, seine Freiheit unterjochen zu können, und keinem Freien den Willen zu, Herrscher zu sein — wie denn auch in der That der Herrschsüchtige, nicht empfänglich für die hohe Schönheit der Freiheit, die Sklaverei liebt, nur dass er nicht der Sklave sein will — und so ist, wie die Moral mit dem Laster, die Theologie mit der Ketzerei, die Politik mit der Knechtschaft entstanden. Nur führen freilich unsere Monarchen nicht eine so honigsüsse Sprache, als die Könige bei Homer und Hesiodus 1). V. Sorgfalt des Staats für die Sicherheit gegen auswärtige Feinde. Bei dieser Betrachtung gewählter Gesichtspunkt. — Einfluss des Kriegs über- haupt auf den Geist und den Charakter der Nation. — Damit angestellte Ver- gleichung des Zustandes desselben, und aller sich auf ihn beziehenden Einrich- tungen bei uns. — Mannigfaltige Nachtheile dieses Zustandes für die innere Bildung des Menschen. — Höchster, aus dieser Vergleichung geschöpfter Grundsatz. Von der Sicherheit gegen auswärtige Feinde brauchte ich — um zu meinem Vorhaben zurückzukehren — kaum ein Wort 1) Ὁντινα τιμησουσι Διος κουϱαι μεγαλοιο, Γεινομενον τ̕ εσιδωσι διοτϱεφεων βασιληων, Τῳ μεν επι γλωσσῃ γλυκεϱην χειουσι εε̃ ϱσην, Του δ̕ επε̕ εκ στοματος ϱει μειλιχα. und Τουνεκα γαϱ βασιληες εχεφϱονες, ὁυνεκα λαοις Βλαπτομενοις αγοϱῃφι μετατϱοπα εϱγα τελευσι Ρηϊδιως, μαλακοις παϱαιφαμενοι επεεσσιν. Hesiodus in Theogonia. [v. 81 sqq. 88 sqq.] (Wen der götterentsprossenen Könige Zeus des Erhabnen Töchter ehren, auf wen ihr Auge bei seiner Geburt blickt, Dem beträufeln sie mit holdem Thaue die Zunge, Honigsüss entströmet seinen Lippen die Rede. und Darum herrschen verständige Könige, dass sie die Völker, Wenn ein Zwist sie spaltet, in der Versammlung zur Eintracht Sonder Mühe bewegen, mit sanften Worten sie lenkend.)

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Wilhelm von Humboldt schrieb seine 'Ideen zu eine… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851/83
Zitationshilfe: Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851/83>, abgerufen am 24.11.2024.