untersuchenden, wie der gegenwärtige, ist man wenigstens gewiss, den ganzen Umfang des Gegenstandes umspannt, nichts übersehen, und die Grundsätze gerade in der Folge entwickelt zu haben, in welcher sie wirklich aus einander herfliessen.
Man hat, vorzüglich seit einiger Zeit, so sehr auf die Ver- hütung gesetzwidriger Handlungen und auf Anwendung mora- lischer Mittel im Staate gedrungen. Ich, so oft ich dergleichen oder ähnliche Aufforderungen höre, freue mich, gesteh' ich, dass eine solche freiheitbeschränkende Anwendung bei uns immer weniger gemacht, und, bei der Lage fast aller Staaten, immer weniger möglich wird.
Man beruft sich auf Griechenland und Rom, aber eine genauere Kenntniss ihrer Verfassungen würde bald zeigen, wie unpassend diese Vergleichungen sind. Jene Staaten waren Republiken, ihre Anstalten dieser Art waren Stützen der freien Verfassung, welche die Bürger mit einem Enthusiasmus erfüllte, welcher den nachtheiligen Einfluss der Einschränkung der Pri- vatfreiheit minder fühlen, und die Energie des Charakters minder schädlich werden liess. Dann genossen sie auch übrigens einer grösseren Freiheit, als wir, und was sie aufopferten, opferten sie einer andern Thätigkeit, dem Antheil an der Regie- rung, auf. In unsern, meistentheils monarchischen Staaten ist das alles ganz anders. Was die Alten von moralischen Mitteln anwenden mochten, Nationalerziehung, Religion, Sittengesetze, alles würde bei uns minder fruchten, und einen grösseren Scha- den bringen. Dann war auch das Meiste, was man jetzt so oft für Wirkung der Klugheit des Gesetzgebers hält, blos schon wirkliche, nur vielleicht wankende, und daher der Sanktion des Gesetzes bedürfende Volkssitte. Die Uebereinstimmung der Einrichtungen des Lykurgus mit der Lebensart der meisten unkultivirten Nationen hat schon Freguson+) meisterhaft gezeigt,
+) An essay on the history of civil society. Basel 1789. p. 123--146. Of rude nations prior to the establishment of property.
untersuchenden, wie der gegenwärtige, ist man wenigstens gewiss, den ganzen Umfang des Gegenstandes umspannt, nichts übersehen, und die Grundsätze gerade in der Folge entwickelt zu haben, in welcher sie wirklich aus einander herfliessen.
Man hat, vorzüglich seit einiger Zeit, so sehr auf die Ver- hütung gesetzwidriger Handlungen und auf Anwendung mora- lischer Mittel im Staate gedrungen. Ich, so oft ich dergleichen oder ähnliche Aufforderungen höre, freue mich, gesteh’ ich, dass eine solche freiheitbeschränkende Anwendung bei uns immer weniger gemacht, und, bei der Lage fast aller Staaten, immer weniger möglich wird.
Man beruft sich auf Griechenland und Rom, aber eine genauere Kenntniss ihrer Verfassungen würde bald zeigen, wie unpassend diese Vergleichungen sind. Jene Staaten waren Republiken, ihre Anstalten dieser Art waren Stützen der freien Verfassung, welche die Bürger mit einem Enthusiasmus erfüllte, welcher den nachtheiligen Einfluss der Einschränkung der Pri- vatfreiheit minder fühlen, und die Energie des Charakters minder schädlich werden liess. Dann genossen sie auch übrigens einer grösseren Freiheit, als wir, und was sie aufopferten, opferten sie einer andern Thätigkeit, dem Antheil an der Regie- rung, auf. In unsern, meistentheils monarchischen Staaten ist das alles ganz anders. Was die Alten von moralischen Mitteln anwenden mochten, Nationalerziehung, Religion, Sittengesetze, alles würde bei uns minder fruchten, und einen grösseren Scha- den bringen. Dann war auch das Meiste, was man jetzt so oft für Wirkung der Klugheit des Gesetzgebers hält, blos schon wirkliche, nur vielleicht wankende, und daher der Sanktion des Gesetzes bedürfende Volkssitte. Die Uebereinstimmung der Einrichtungen des Lykurgus mit der Lebensart der meisten unkultivirten Nationen hat schon Freguson†) meisterhaft gezeigt,
†) An essay on the history of civil society. Basel 1789. p. 123—146. Of rude nations prior to the establishment of property.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0091"n="55"/>
untersuchenden, wie der gegenwärtige, ist man wenigstens<lb/>
gewiss, den ganzen Umfang des Gegenstandes umspannt, nichts<lb/>
übersehen, und die Grundsätze gerade in der Folge entwickelt<lb/>
zu haben, in welcher sie wirklich aus einander herfliessen.</p><lb/><p>Man hat, vorzüglich seit einiger Zeit, so sehr auf die Ver-<lb/>
hütung gesetzwidriger Handlungen und auf Anwendung mora-<lb/>
lischer Mittel im Staate gedrungen. Ich, so oft ich dergleichen<lb/>
oder ähnliche Aufforderungen höre, freue mich, gesteh’ ich, dass<lb/>
eine solche freiheitbeschränkende Anwendung bei uns immer<lb/>
weniger gemacht, und, bei der Lage fast aller Staaten, immer<lb/>
weniger möglich wird.</p><lb/><p>Man beruft sich auf Griechenland und Rom, aber eine<lb/>
genauere Kenntniss ihrer Verfassungen würde bald zeigen, wie<lb/>
unpassend diese Vergleichungen sind. Jene Staaten waren<lb/>
Republiken, ihre Anstalten dieser Art waren Stützen der freien<lb/>
Verfassung, welche die Bürger mit einem Enthusiasmus erfüllte,<lb/>
welcher den nachtheiligen Einfluss der Einschränkung der Pri-<lb/>
vatfreiheit minder fühlen, und die Energie des Charakters<lb/>
minder schädlich werden liess. Dann genossen sie auch übrigens<lb/>
einer grösseren Freiheit, als wir, und was sie aufopferten,<lb/>
opferten sie einer andern Thätigkeit, dem Antheil an der Regie-<lb/>
rung, auf. In unsern, meistentheils monarchischen Staaten ist<lb/>
das alles ganz anders. Was die Alten von moralischen Mitteln<lb/>
anwenden mochten, Nationalerziehung, Religion, Sittengesetze,<lb/>
alles würde bei uns minder fruchten, und einen grösseren Scha-<lb/>
den bringen. Dann war auch das Meiste, was man jetzt so oft<lb/>
für Wirkung der Klugheit des Gesetzgebers hält, blos schon<lb/>
wirkliche, nur vielleicht wankende, und daher der Sanktion des<lb/>
Gesetzes bedürfende Volkssitte. Die Uebereinstimmung der<lb/>
Einrichtungen des Lykurgus mit der Lebensart der meisten<lb/>
unkultivirten Nationen hat schon Freguson<noteplace="foot"n="†)">An essay on the history of civil society. Basel 1789. p. 123—146. Of<lb/>
rude nations prior to the establishment of property.</note> meisterhaft gezeigt,<lb/></p></div></body></text></TEI>
[55/0091]
untersuchenden, wie der gegenwärtige, ist man wenigstens
gewiss, den ganzen Umfang des Gegenstandes umspannt, nichts
übersehen, und die Grundsätze gerade in der Folge entwickelt
zu haben, in welcher sie wirklich aus einander herfliessen.
Man hat, vorzüglich seit einiger Zeit, so sehr auf die Ver-
hütung gesetzwidriger Handlungen und auf Anwendung mora-
lischer Mittel im Staate gedrungen. Ich, so oft ich dergleichen
oder ähnliche Aufforderungen höre, freue mich, gesteh’ ich, dass
eine solche freiheitbeschränkende Anwendung bei uns immer
weniger gemacht, und, bei der Lage fast aller Staaten, immer
weniger möglich wird.
Man beruft sich auf Griechenland und Rom, aber eine
genauere Kenntniss ihrer Verfassungen würde bald zeigen, wie
unpassend diese Vergleichungen sind. Jene Staaten waren
Republiken, ihre Anstalten dieser Art waren Stützen der freien
Verfassung, welche die Bürger mit einem Enthusiasmus erfüllte,
welcher den nachtheiligen Einfluss der Einschränkung der Pri-
vatfreiheit minder fühlen, und die Energie des Charakters
minder schädlich werden liess. Dann genossen sie auch übrigens
einer grösseren Freiheit, als wir, und was sie aufopferten,
opferten sie einer andern Thätigkeit, dem Antheil an der Regie-
rung, auf. In unsern, meistentheils monarchischen Staaten ist
das alles ganz anders. Was die Alten von moralischen Mitteln
anwenden mochten, Nationalerziehung, Religion, Sittengesetze,
alles würde bei uns minder fruchten, und einen grösseren Scha-
den bringen. Dann war auch das Meiste, was man jetzt so oft
für Wirkung der Klugheit des Gesetzgebers hält, blos schon
wirkliche, nur vielleicht wankende, und daher der Sanktion des
Gesetzes bedürfende Volkssitte. Die Uebereinstimmung der
Einrichtungen des Lykurgus mit der Lebensart der meisten
unkultivirten Nationen hat schon Freguson †) meisterhaft gezeigt,
†) An essay on the history of civil society. Basel 1789. p. 123—146. Of
rude nations prior to the establishment of property.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Wilhelm von Humboldt schrieb seine 'Ideen zu eine… [mehr]
Wilhelm von Humboldt schrieb seine 'Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen' zwischen März und Mai des Jahres 1792 nieder. Einzelne Abschnitte wurden im selben Jahr in Friedrich Schillers Thalia bzw. in der Berlinischen Monatsschrift gedruckt. Der gesamte Text wurde jedoch erst postum, 1851, aus dem Nachlass publiziert (Wilhelm von Humboldt † 8. April 1835). Gemäß den Richtlinien des DTA wurde diese Ausgabe digitalisiert.
Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851/91>, abgerufen am 15.08.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.