Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851.

Bild:
<< vorherige Seite

und da höhere Kultur die Nation verfeinerte, erhielt sich auch
in der That nicht mehr, als der Schatten jener Einrichtungen.
Endlich steht, dünkt mich, das Menschengeschlecht jetzt auf
einer Stufe der Kultur, von welcher es sich nur durch Ausbil-
dung der Individuen höher emporschwingen kann; und daher
sind alle Einrichtungen, welche diese Ausbildung hindern, und
die Menschen mehr in Massen zusammendrängen, jetzt schäd-
licher als ehmals.

Schon diesen wenigen Bemerkungen zufolge erscheint, um
zuerst von demjenigen moralischen Mittel zu reden, was am
weitesten gleichsam ausgreift, öffentliche, d. i. vom Staat ange-
ordnete oder geleitete Erziehung wenigstens von vielen Seiten
bedenklich. Nach dem ganzen vorigen Raisonnement kommt
schlechterdings Alles auf die Ausbildung des Menschen in der
höchsten Mannigfaltigkeit an; öffentliche Erziehung aber muss,
selbst wenn sie diesen Fehler vermeiden, wenn sie sich blos
darauf einschränken wollte, Erzieher anzustellen und zu unter-
halten, immer eine bestimmte Form begünstigen. Es treten
daher alle die Nachtheile bei derselben ein, welche der erste
Theil dieser Untersuchung hinlänglich dargestellt hat, und ich
brauche nur noch hinzuzufügen, dass jede Einschränkung ver-
derblicher wird, wenn sie sich auf den moralischen Menschen
bezieht, und dass, wenn irgend etwas Wirksamkeit auf das
einzelne Individuum fordert, dies gerade die Erziehung ist,
welche das einzelne Individuum bilden soll. Es ist unläugbar,
dass gerade daraus sehr heilsame Folgen entspringen, dass der
Mensch in der Gestalt, welche ihm seine Lage und die Um-
stände gegeben haben, im Staate selbst thätig wird, und nun
durch den Streit -- wenn ich so sagen darf -- der ihm vom
Staat angewiesenen Lage, und der von ihm selbst gewählten,
zum Theil er anders geformt wird, zum Theil die Verfassung
des Staats selbst Aenderungen erleidet, in denen dergleichen,
obgleich freilich auf einmal fast unbemerkbare Aenderungen, nach

und da höhere Kultur die Nation verfeinerte, erhielt sich auch
in der That nicht mehr, als der Schatten jener Einrichtungen.
Endlich steht, dünkt mich, das Menschengeschlecht jetzt auf
einer Stufe der Kultur, von welcher es sich nur durch Ausbil-
dung der Individuen höher emporschwingen kann; und daher
sind alle Einrichtungen, welche diese Ausbildung hindern, und
die Menschen mehr in Massen zusammendrängen, jetzt schäd-
licher als ehmals.

Schon diesen wenigen Bemerkungen zufolge erscheint, um
zuerst von demjenigen moralischen Mittel zu reden, was am
weitesten gleichsam ausgreift, öffentliche, d. i. vom Staat ange-
ordnete oder geleitete Erziehung wenigstens von vielen Seiten
bedenklich. Nach dem ganzen vorigen Raisonnement kommt
schlechterdings Alles auf die Ausbildung des Menschen in der
höchsten Mannigfaltigkeit an; öffentliche Erziehung aber muss,
selbst wenn sie diesen Fehler vermeiden, wenn sie sich blos
darauf einschränken wollte, Erzieher anzustellen und zu unter-
halten, immer eine bestimmte Form begünstigen. Es treten
daher alle die Nachtheile bei derselben ein, welche der erste
Theil dieser Untersuchung hinlänglich dargestellt hat, und ich
brauche nur noch hinzuzufügen, dass jede Einschränkung ver-
derblicher wird, wenn sie sich auf den moralischen Menschen
bezieht, und dass, wenn irgend etwas Wirksamkeit auf das
einzelne Individuum fordert, dies gerade die Erziehung ist,
welche das einzelne Individuum bilden soll. Es ist unläugbar,
dass gerade daraus sehr heilsame Folgen entspringen, dass der
Mensch in der Gestalt, welche ihm seine Lage und die Um-
stände gegeben haben, im Staate selbst thätig wird, und nun
durch den Streit — wenn ich so sagen darf — der ihm vom
Staat angewiesenen Lage, und der von ihm selbst gewählten,
zum Theil er anders geformt wird, zum Theil die Verfassung
des Staats selbst Aenderungen erleidet, in denen dergleichen,
obgleich freilich auf einmal fast unbemerkbare Aenderungen, nach

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0092" n="56"/>
und da höhere Kultur die Nation verfeinerte, erhielt sich auch<lb/>
in der That nicht mehr, als der Schatten jener Einrichtungen.<lb/>
Endlich steht, dünkt mich, das Menschengeschlecht jetzt auf<lb/>
einer Stufe der Kultur, von welcher es sich nur durch Ausbil-<lb/>
dung der Individuen höher emporschwingen kann; und daher<lb/>
sind alle Einrichtungen, welche diese Ausbildung hindern, und<lb/>
die Menschen mehr in Massen zusammendrängen, jetzt schäd-<lb/>
licher als ehmals.</p><lb/>
        <p>Schon diesen wenigen Bemerkungen zufolge erscheint, um<lb/>
zuerst von demjenigen moralischen Mittel zu reden, was am<lb/>
weitesten gleichsam ausgreift, öffentliche, d. i. vom Staat ange-<lb/>
ordnete oder geleitete Erziehung wenigstens von vielen Seiten<lb/>
bedenklich. Nach dem ganzen vorigen Raisonnement kommt<lb/>
schlechterdings Alles auf die Ausbildung des Menschen in der<lb/>
höchsten Mannigfaltigkeit an; öffentliche Erziehung aber muss,<lb/>
selbst wenn sie diesen Fehler vermeiden, wenn sie sich blos<lb/>
darauf einschränken wollte, Erzieher anzustellen und zu unter-<lb/>
halten, immer eine bestimmte Form begünstigen. Es treten<lb/>
daher alle die Nachtheile bei derselben ein, welche der erste<lb/>
Theil dieser Untersuchung hinlänglich dargestellt hat, und ich<lb/>
brauche nur noch hinzuzufügen, dass jede Einschränkung ver-<lb/>
derblicher wird, wenn sie sich auf den moralischen Menschen<lb/>
bezieht, und dass, wenn irgend etwas Wirksamkeit auf das<lb/>
einzelne Individuum fordert, dies gerade die Erziehung ist,<lb/>
welche das einzelne Individuum bilden soll. Es ist unläugbar,<lb/>
dass gerade daraus sehr heilsame Folgen entspringen, dass der<lb/>
Mensch in der Gestalt, welche ihm seine Lage und die Um-<lb/>
stände gegeben haben, im Staate selbst thätig wird, und nun<lb/>
durch den Streit &#x2014; wenn ich so sagen darf &#x2014; der ihm vom<lb/>
Staat angewiesenen Lage, und der von ihm selbst gewählten,<lb/>
zum Theil er anders geformt wird, zum Theil die Verfassung<lb/>
des Staats selbst Aenderungen erleidet, in denen dergleichen,<lb/>
obgleich freilich auf einmal fast unbemerkbare Aenderungen, nach<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[56/0092] und da höhere Kultur die Nation verfeinerte, erhielt sich auch in der That nicht mehr, als der Schatten jener Einrichtungen. Endlich steht, dünkt mich, das Menschengeschlecht jetzt auf einer Stufe der Kultur, von welcher es sich nur durch Ausbil- dung der Individuen höher emporschwingen kann; und daher sind alle Einrichtungen, welche diese Ausbildung hindern, und die Menschen mehr in Massen zusammendrängen, jetzt schäd- licher als ehmals. Schon diesen wenigen Bemerkungen zufolge erscheint, um zuerst von demjenigen moralischen Mittel zu reden, was am weitesten gleichsam ausgreift, öffentliche, d. i. vom Staat ange- ordnete oder geleitete Erziehung wenigstens von vielen Seiten bedenklich. Nach dem ganzen vorigen Raisonnement kommt schlechterdings Alles auf die Ausbildung des Menschen in der höchsten Mannigfaltigkeit an; öffentliche Erziehung aber muss, selbst wenn sie diesen Fehler vermeiden, wenn sie sich blos darauf einschränken wollte, Erzieher anzustellen und zu unter- halten, immer eine bestimmte Form begünstigen. Es treten daher alle die Nachtheile bei derselben ein, welche der erste Theil dieser Untersuchung hinlänglich dargestellt hat, und ich brauche nur noch hinzuzufügen, dass jede Einschränkung ver- derblicher wird, wenn sie sich auf den moralischen Menschen bezieht, und dass, wenn irgend etwas Wirksamkeit auf das einzelne Individuum fordert, dies gerade die Erziehung ist, welche das einzelne Individuum bilden soll. Es ist unläugbar, dass gerade daraus sehr heilsame Folgen entspringen, dass der Mensch in der Gestalt, welche ihm seine Lage und die Um- stände gegeben haben, im Staate selbst thätig wird, und nun durch den Streit — wenn ich so sagen darf — der ihm vom Staat angewiesenen Lage, und der von ihm selbst gewählten, zum Theil er anders geformt wird, zum Theil die Verfassung des Staats selbst Aenderungen erleidet, in denen dergleichen, obgleich freilich auf einmal fast unbemerkbare Aenderungen, nach

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Wilhelm von Humboldt schrieb seine 'Ideen zu eine… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851/92
Zitationshilfe: Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851/92>, abgerufen am 21.11.2024.