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[Humboldt, Alexander von]: Alexander von Humboldt [Beschreibung eines von Eduard Hildebrandt gemalten Aquarells]. [Berlin], [1856].

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Die deutsche Original-Inschrift.


Wenn der Mensch mit empfänglichem Gemüthe, in jugendlich vermessener
Hoffnung, den Sinn der Natur zu errathen, Gottes erhabenes Reich forschend
und ahndungsvoll durchwandert; so fühlt er sich angeregt in jeglicher Zone zu
einem geistigen Genuss höherer Art: sei es dass er aufrichtet den Blick zu den
ewigen Lichtern der Himmelsräume, oder dass er ihn niedersenkt auf das stille
Treiben der Kräfte in den Zellen organischer Pflanzengewebe. Diese Eindrücke,
eben weil sie so mächtig sind, wirken vereinzelt. Wird nun nach einem langen
und vielbewegten Leben durch Alter und Abnahme physischer Kräfte Ruhe gebo-
ten; so vermehrt und bereichert den Gehalt des Eingesammelten die Aneinan-
derreihung der selbstgewonnenen Resultate, wie ihre mühevolle Vergleichung mit
dem, was frühere Forscher in ihren Schriften niedergelegt haben. Es bemäch-
tigt sich der Geist des Stoffes, und strebt die angehäufte Masse empirischer Er-
fahrung wenigstens theilweise einer Vernunfterkenntniss zu unterwerfen. Das
nächste Ziel ist dann, in dem Naturganzen das Gesetzliche aufzufinden. Vor dem
wissenschaftlichen Bemühen nach dem Verstehen der Natur schwinden allmälig,
doch meist erst spät, die langgepflegten Träume symbolisirender Mythen.

    Alexander v. Humboldt.
Die deutsche Original-Inschrift.


Wenn der Mensch mit empfänglichem Gemüthe, in jugendlich vermessener
Hoffnung, den Sinn der Natur zu errathen, Gottes erhabenes Reich forschend
und ahndungsvoll durchwandert; so fühlt er sich angeregt in jeglicher Zone zu
einem geistigen Genuſs höherer Art: sei es daſs er aufrichtet den Blick zu den
ewigen Lichtern der Himmelsräume, oder daſs er ihn niedersenkt auf das stille
Treiben der Kräfte in den Zellen organischer Pflanzengewebe. Diese Eindrücke,
eben weil sie so mächtig sind, wirken vereinzelt. Wird nun nach einem langen
und vielbewegten Leben durch Alter und Abnahme physischer Kräfte Ruhe gebo-
ten; so vermehrt und bereichert den Gehalt des Eingesammelten die Aneinan-
derreihung der selbstgewonnenen Resultate, wie ihre mühevolle Vergleichung mit
dem, was frühere Forscher in ihren Schriften niedergelegt haben. Es bemäch-
tigt sich der Geist des Stoffes, und strebt die angehäufte Masse empirischer Er-
fahrung wenigstens theilweise einer Vernunfterkenntniſs zu unterwerfen. Das
nächste Ziel ist dann, in dem Naturganzen das Gesetzliche aufzufinden. Vor dem
wissenschaftlichen Bemühen nach dem Verstehen der Natur schwinden allmälig,
doch meist erst spät, die langgepflegten Träume symbolisirender Mythen.

    Alexander v. Humboldt.
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[[2]/0002] Die deutsche Original-Inschrift. Wenn der Mensch mit empfänglichem Gemüthe, in jugendlich vermessener Hoffnung, den Sinn der Natur zu errathen, Gottes erhabenes Reich forschend und ahndungsvoll durchwandert; so fühlt er sich angeregt in jeglicher Zone zu einem geistigen Genuſs höherer Art: sei es daſs er aufrichtet den Blick zu den ewigen Lichtern der Himmelsräume, oder daſs er ihn niedersenkt auf das stille Treiben der Kräfte in den Zellen organischer Pflanzengewebe. Diese Eindrücke, eben weil sie so mächtig sind, wirken vereinzelt. Wird nun nach einem langen und vielbewegten Leben durch Alter und Abnahme physischer Kräfte Ruhe gebo- ten; so vermehrt und bereichert den Gehalt des Eingesammelten die Aneinan- derreihung der selbstgewonnenen Resultate, wie ihre mühevolle Vergleichung mit dem, was frühere Forscher in ihren Schriften niedergelegt haben. Es bemäch- tigt sich der Geist des Stoffes, und strebt die angehäufte Masse empirischer Er- fahrung wenigstens theilweise einer Vernunfterkenntniſs zu unterwerfen. Das nächste Ziel ist dann, in dem Naturganzen das Gesetzliche aufzufinden. Vor dem wissenschaftlichen Bemühen nach dem Verstehen der Natur schwinden allmälig, doch meist erst spät, die langgepflegten Träume symbolisirender Mythen. Berlin, im November 1856. Alexander v. Humboldt.

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Zitationshilfe: [Humboldt, Alexander von]: Alexander von Humboldt [Beschreibung eines von Eduard Hildebrandt gemalten Aquarells]. [Berlin], [1856], S. [2]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_hildebrandt_1856/2>, abgerufen am 21.11.2024.