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Humboldt, Alexander von: [Ich über mich selbst. Mein Weg zum Naturwissenschaftler und Forschungsreisenden 1769–1790.] In: Ders.: Tagebücher der Amerikanischen Reise, VII a u. b, Bl. 134v–136v. S[anta] Fe [de Bogotá], 1801 [mit späteren Ergänzungen].

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Reise. Ohnerachtet sie mich wie jedes nahe Zusammenleben unter
Menschen und besonders bei Forsters kleinlich-eitelem Charakter mehr von
ihm entfernte, als ihm nahe brachte, so hatte das Zusammenleben mit
dem Weltumsegler doch großen Einfluß auf meinen Hang nach der
Tropenwelt. Wie sehr erwachte diese Sehnsucht vollends bei dem An-
blik des allverbreiteten, beweglichen, länderverbindenden Ozeans, den ich
bei Ostende zuerst sah, wie sehr bei der kleinen Ueberfahrt von
Helvoetsluys nach Dover. Der Zufall wollte daß ich (ohnerachtet wir
in einem elenden Fischerboot und bei stürmischem Wetter schiften) nicht
seekrank war. Ich wurde es in der Folge nie und dieser Umstand
machte mir das Element selbst und lange Seereisen minder furchtbar.
Ich lebte in London sehr einsam, im Hause eines deutschen Perrükken-
machers Mr. Muller Plumtree-street. Forster hatte sich bei seinem Schwa-
ger dem Hofprediger Schrader einquartirt der ihn mit Bibelübersezungen
und Hofklatsch (er war Lecteur der Königlichen Prinzessinnen) quälte.
In einem Lande wo die Einwohner 4-5 mal in ihrem Leben beide Indien
besuchen und wo man mit den Produkten der entferntesten Welttheile
wie mit den seinigen bekannt ist, konnte ein Begleiter des Captain Cook eben
nicht großes Aufsehen machen. Für das was man in Forster Geist und
verschmelzendes Genie nennen kann haben die Engländer eben nicht Sinn. Sie
suchen entschiedenes DichtersDichtertalent, tiefsinnige Philosophie oder
gründliche Gelehrsamkeit. Ein Gemisch von alle dem, ein Mensch der
von dem allem nur etwas besaß und mehr Form als Materie
war, konnte daher wenige interessieren. Dazu konnte Forster in London
nicht Deutsch sprechen, und die Muster nach denen er sich gebildet
waren Deutsche, Kant, Schiller .... Seine höchsten Flüge waren unübersez-
bar und unverständlich. Mit den Geldspekulationen ging es nicht besser.
Die Empfehlungen des Prinzen Adolph an den Prinzen von Wales, die
des General Schliefen und des ehrwürdigen alten Fagels (im Haag
an den ich mit Freuden zurükdenke) an Pitt konnten bei den
Schändlichkeiten die Forsters Vater im Tableau d'Angleterre über den
Hof verbreitet und bei dem geringen Aufsehen das er als Gelehrter
machte, wenig wirken. Banks war von jeher aus reaction und verfolgen-
dem Neide gegen alles, was seiner Oberherrschaft sich entziehen will,
der Feind der Forsterschen Familie gewesen. Die genera plantarum,
welche man Sparrmann zuschreibt, die Plantae esculentae und Florula
insularum australium
welche in Eil über elenden Herbarien geschmie-
det waren hatten Banks'ens Achtung ebenfalls nicht vermehrt. Was in
dem jungen Forster eigentlich groß und selten war, die philosophische
Behandlung Naturhistorischer Gegenstände, ein Werk wie der Aufsaz
über Lekkereien ... dafür hatte Banks keinen Sinn. Je übelgelaunter
Forster in England war, desto mehr ward ich in meine Einsamkeit zu-
rükgeschrekt. Unser Aufenthalt in Holland, Spaziergänge die ich längst
der grünen buschigten Dünen am Haager Meeresstrande gemacht,
der Anblik der Amsterdamer Schifswerften, die enge Freundschaft
mit dem jungen Holenberg (der nachmals in der Dänischen Marine
Epoche gemacht) füllten meine warme Phantasie mit sehnsuchts vollenersehnten
Gestalten ferner Dinge. In einem jungen Gemüthe, das 18 Jahr lang

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Reise. Ohnerachtet sie mich wie jedes nahe Zusammenleben unter
Menschen und besonders bei Forsters kleinlich-eitelem Charakter mehr von
ihm entfernte, als ihm nahe brachte, so hatte das Zusammenleben mit
dem Weltumsegler doch großen Einfluß auf meinen Hang nach der
Tropenwelt. Wie sehr erwachte diese Sehnsucht vollends bei dem An-
blik des allverbreiteten, beweglichen, länderverbindenden Ozeans, den ich
bei Ostende zuerst sah, wie sehr bei der kleinen Ueberfahrt von
Helvoetsluys nach Dover. Der Zufall wollte daß ich (ohnerachtet wir
in einem elenden Fischerboot und bei stürmischem Wetter schiften) nicht
seekrank war. Ich wurde es in der Folge nie und dieser Umstand
machte mir das Element selbst und lange Seereisen minder furchtbar.
Ich lebte in London sehr einsam, im Hause eines deutschen Perrükken-
machers Mr. Muller Plumtree-street. Forster hatte sich bei seinem Schwa-
ger dem Hofprediger Schrader einquartirt der ihn mit Bibelübersezungen
und Hofklatsch (er war Lecteur der Königlichen Prinzessinnen) quälte.
In einem Lande wo die Einwohner 4–5 mal in ihrem Leben beide Indien
besuchen und wo man mit den Produkten der entferntesten Welttheile
wie mit den seinigen bekannt ist, konnte ein Begleiter des Captain Cook eben
nicht großes Aufsehen machen. Für das was man in Forster Geist und
verschmelzendes Genie nennen kann haben die Engländer eben nicht Sinn. Sie
suchen entschiedenes DichtersDichtertalent, tiefsinnige Philosophie oder
gründliche Gelehrsamkeit. Ein Gemisch von alle dem, ein Mensch der
von dem allem nur etwas besaß und mehr Form als Materie
war, konnte daher wenige interessieren. Dazu konnte Forster in London
nicht Deutsch sprechen, und die Muster nach denen er sich gebildet
waren Deutsche, Kant, Schiller …. Seine höchsten Flüge waren unübersez-
bar und unverständlich. Mit den Geldspekulationen ging es nicht besser.
Die Empfehlungen des Prinzen Adolph an den Prinzen von Wales, die
des General Schliefen und des ehrwürdigen alten Fagels (im Haag
an den ich mit Freuden zurükdenke) an Pitt konnten bei den
Schändlichkeiten die Forsters Vater im Tableau d’Angleterre über den
Hof verbreitet und bei dem geringen Aufsehen das er als Gelehrter
machte, wenig wirken. Banks war von jeher aus reaction und verfolgen-
dem Neide gegen alles, was seiner Oberherrschaft sich entziehen will,
der Feind der Forsterschen Familie gewesen. Die genera plantarum,
welche man Sparrmann zuschreibt, die Plantae esculentae und Florula
insularum australium
welche in Eil über elenden Herbarien geschmie-
det waren hatten Banks’ens Achtung ebenfalls nicht vermehrt. Was in
dem jungen Forster eigentlich groß und selten war, die philosophische
Behandlung Naturhistorischer Gegenstände, ein Werk wie der Aufsaz
über Lekkereien dafür hatte Banks keinen Sinn. Je übelgelaunter
Forster in England war, desto mehr ward ich in meine Einsamkeit zu-
rükgeschrekt. Unser Aufenthalt in Holland, Spaziergänge die ich längst
der grünen buschigten Dünen am Haager Meeresstrande gemacht,
der Anblik der Amsterdamer Schifswerften, die enge Freundschaft
mit dem jungen Holenberg (der nachmals in der Dänischen Marine
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Gestalten ferner Dinge. In einem jungen Gemüthe, das 18 Jahr lang

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[135v/0003] 219 Reise. Ohnerachtet sie mich wie jedes nahe Zusammenleben unter Menschen u besonders bei Forsters kleinlich-eitelem Charakter mehr von ihm entfernte, als ihm nahe brachte, so hatte das Zusammenleben mit dem Weltumsegler doch großen Einfluß auf meinen Hang nach der Tropenwelt. Wie sehr erwachte diese Sehnsucht vollends bei dem An- blik des allverbreiteten, beweglichen, länderverbindenden Ozeans, den ich bei Ostende zuerst sah, wie sehr bei der kleinen Ueberfahrt von Helvoetsluys nach Dover. Der Zufall wollte daß ich (ohnerachtet wir in einem elenden Fischerboot u bei stürmischem Wetter schiften) nicht seekrank war. Ich wurde es in der Folge nie u dieser Umstand machte mir das Element selbst u lange Seereisen minder furchtbar. Ich lebte in London sehr einsam, im Hause eines deutschen Perrükken- machers Mr. Muller Plumtree-street. Forster hatte sich bei seinem Schwa- ger dem Hofprediger Schrader einquartirt der ihn mit Bibelübersezungen u Hofklatsch (er war Lecteur der Königl. Prinzessinnen) quälte. In einem Lande wo die Einwohner 4–5 mal in ihrem Leben beide Indien besuchen u wo man mit den Produkten der entferntesten Welttheile wie mit den seinigen bekannt ist, konnte ein Begleiter des Cap. Cook eben nicht großes Aufsehen machen. Für das was man in Forster Geist u verschmelzendes Genie nennen kann haben die Engländer eben nicht Sinn. Sie suchen entschiedenes Dichtertalent, tiefsinnige Philosophie od. gründliche Gelehrsamkeit. Ein Gemisch von alle dem, ein Mensch der von dem allem nur etwas besaß u mehr Form als Materie war, konnte daher wenige interessieren. Dazu konnte Forster in London nicht Deutsch sprechen, u die Muster nach denen er sich gebildet waren Deutsche, Kant, Schiller … Seine höchsten Flüge waren unübersez- bar u unverständlich. Mit den Geldspekulationen ging es nicht besser. Die Empfehlungen des Prinzen Adolph an den Pr. von Wales, die des General Schliefen u des ehrwürdigen alten Fagels (im Haag an den ich mit Freuden zurükdenke) an Pitt konnten bei den Schändlichkeiten die Forsters Vater im Tableau d’Angleterre über den Hof verbreitet u bei dem geringen Aufsehen das er als Gelehrter machte, wenig wirken. Banks war von jeher aus reaction u verfolgen- dem Neide gegen alles, was seiner Oberherrschaft sich entziehen will, der Feind der Forsterschen Familie gewesen. Die genera plantarum, welche man Sparrmann zuschreibt, die Plantae esculentae u Florula insularum australium welche in Eil über elenden Herbarien geschmie- det waren hatten Banks’ens Achtung ebenfalls nicht vermehrt. Was in dem jungen Forster eigentlich groß u selten war, die philosophische Behandlung Naturhistorischer Gegenstände, ein Werk wie der Aufsaz über Lekkereien .. dafür hatte Banks keinen Sinn. Je übelgelaunter Forster in England war, desto mehr ward ich in meine Einsamkeit zu- rükgeschrekt. Unser Aufenthalt in Holland, Spaziergänge die ich längst der grünen buschigten Dünen am Haager Meeresstrande gemacht, der Anblik der Amsterdamer Schifswerften, die enge Freundschaft mit dem jungen Holenberg (der nachmals in der Dänischen Marine Epoche gemacht) füllten meine warme Phantasie mit ersehnten Gestalten ferner Dinge. In einem jungen Gemüthe, das 18 Jahr lang

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Christian Thomas, Ulrich Päßler: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-11-07T15:59:54Z)

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  • Kurt-R. Biermann (Hrsg.): Alexander von Humboldt: Aus meinem Leben. Autobiographische Bekenntnisse. Leipzig u.a., 1989, S. 31–41.
  • Ottmar Ette (Hrsg.): Alexander von Humboldt: Das Buch der Begegnungen. Menschen – Kulturen – Geschichten aus den Amerikanischen Reisetagebüchern. München, 2018, S. 3–9.



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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: [Ich über mich selbst. Mein Weg zum Naturwissenschaftler und Forschungsreisenden 1769–1790.] In: Ders.: Tagebücher der Amerikanischen Reise, VII a u. b, Bl. 134v–136v. S[anta] Fe [de Bogotá], 1801 [mit späteren Ergänzungen], S. 135v. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_ich_1804/3>, abgerufen am 03.12.2024.