Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Humboldt, Alexander von: Ideen zu einer Physiognomik der Gewächse. [Tübingen], [1806].

Bild:
<< vorherige Seite

reifende Frucht erhascht. Doch überall darf der
Mensch sich der nährenden Pflanzen erfreuen.
Trennt im Meeresboden ein Vulkan die kochende
Fluth, und schiebt plözlich (wie einst zwischen
den griechischen Inseln) einen schlakkigen Fels
empor; oder erheben (um an eine friedlichere Na-
turerscheinung zu erinnern) die einträchtigen Nerei-
den ihre zelligen Wohnungen, bis sie nach Jahrtau-
senden über dem Wasserspiegel hervorragend, ab-
sterben, und ein flaches Corallen-Eiland bilden: so
sind die organischen Kräfte sogleich bereit, den tod-
ten Fels zu beleben. Was den Saamen so plözlich
herbeiführt: ob wandernde Vögel, oder Winde,
oder die Wogen des Meeres; ist bei der großen
Entfernung der Küsten schwer zu entscheiden.
Aber auf dem nakten Steine, sobald ihn zuerst die
Luft berührt, bildet sich in den nordischen Ländern
ein Gewebe sammtartiger Fasern, die dem unbe-
wafneten Auge als farbige Flekken erscheinen.
Einige sind durch hervorragende Linien bald
einfach bald doppelt begränzt; andere sind in
Furchen durchschnitten und in Fächer getheilt.
Mit zunehmendem Alter verdunkelt sich ihre
lichte Farbe. Das fernleuchtende Gelb wird braun,
und das bläuliche Grau der Leprarien verwandelt
sich nach und nach in ein staubartiges Schwarz.
Die Gränzen der alternden Dekke fließen in ein-
ander, und auf dem dunkeln Grunde bilden sich
neue zirkelrunde Flechten von blendender Weiße.
So lagert sich schichtenweise ein organisches Ge-
webe auf das andere; und wie das sich ansie-

reifende Frucht erhascht. Doch überall darf der
Mensch sich der nährenden Pflanzen erfreuen.
Trennt im Meeresboden ein Vulkan die kochende
Fluth, und schiebt plözlich (wie einst zwischen
den griechischen Inseln) einen schlakkigen Fels
empor; oder erheben (um an eine friedlichere Na-
turerscheinung zu erinnern) die einträchtigen Nerei-
den ihre zelligen Wohnungen, bis sie nach Jahrtau-
senden über dem Wasserspiegel hervorragend, ab-
sterben, und ein flaches Corallen-Eiland bilden: so
sind die organischen Kräfte sogleich bereit, den tod-
ten Fels zu beleben. Was den Saamen so plözlich
herbeiführt: ob wandernde Vögel, oder Winde,
oder die Wogen des Meeres; ist bei der großen
Entfernung der Küsten schwer zu entscheiden.
Aber auf dem nakten Steine, sobald ihn zuerst die
Luft berührt, bildet sich in den nordischen Ländern
ein Gewebe sammtartiger Fasern, die dem unbe-
wafneten Auge als farbige Flekken erscheinen.
Einige sind durch hervorragende Linien bald
einfach bald doppelt begränzt; andere sind in
Furchen durchschnitten und in Fächer getheilt.
Mit zunehmendem Alter verdunkelt sich ihre
lichte Farbe. Das fernleuchtende Gelb wird braun,
und das bläuliche Grau der Leprarien verwandelt
sich nach und nach in ein staubartiges Schwarz.
Die Gränzen der alternden Dekke fließen in ein-
ander, und auf dem dunkeln Grunde bilden sich
neue zirkelrunde Flechten von blendender Weiße.
So lagert sich schichtenweise ein organisches Ge-
webe auf das andere; und wie das sich ansie-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0006" n="7"/>
reifende Frucht erhascht. Doch überall darf der<lb/>
Mensch sich der nährenden Pflanzen erfreuen.<lb/>
Trennt im Meeresboden ein Vulkan die kochende<lb/>
Fluth, und schiebt plözlich (wie einst zwischen<lb/>
den <placeName>griechischen Inseln</placeName>) einen schlakkigen Fels<lb/>
empor; oder erheben (um an eine friedlichere Na-<lb/>
turerscheinung zu erinnern) die einträchtigen Nerei-<lb/>
den ihre zelligen Wohnungen, bis sie nach Jahrtau-<lb/>
senden über dem Wasserspiegel hervorragend, ab-<lb/>
sterben, und ein flaches Corallen-Eiland bilden: so<lb/>
sind die organischen Kräfte sogleich bereit, den tod-<lb/>
ten Fels zu beleben. Was den Saamen so plözlich<lb/>
herbeiführt: ob wandernde Vögel, oder Winde,<lb/>
oder die Wogen des Meeres; ist bei der großen<lb/>
Entfernung der Küsten schwer zu entscheiden.<lb/>
Aber auf dem nakten Steine, <choice><orig>so bald</orig><reg>sobald</reg></choice> ihn zuerst die<lb/>
Luft berührt, bildet sich in den nordischen Ländern<lb/>
ein Gewebe sammtartiger Fasern, die dem unbe-<lb/>
wafneten Auge als farbige Flekken erscheinen.<lb/>
Einige sind durch hervorragende Linien bald<lb/>
einfach bald doppelt begränzt; andere sind in<lb/>
Furchen durchschnitten und in Fächer getheilt.<lb/>
Mit zunehmendem Alter verdunkelt sich ihre<lb/>
lichte Farbe. Das fernleuchtende Gelb wird braun,<lb/>
und das bläuliche Grau der Leprarien verwandelt<lb/>
sich nach und nach in ein staubartiges Schwarz.<lb/>
Die Gränzen der alternden Dekke fließen in ein-<lb/>
ander, und auf dem dunkeln Grunde bilden sich<lb/>
neue zirkelrunde Flechten von blendender Weiße.<lb/>
So lagert sich schichtenweise ein organisches Ge-<lb/>
webe auf das andere; und wie das sich ansie-<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[7/0006] reifende Frucht erhascht. Doch überall darf der Mensch sich der nährenden Pflanzen erfreuen. Trennt im Meeresboden ein Vulkan die kochende Fluth, und schiebt plözlich (wie einst zwischen den griechischen Inseln) einen schlakkigen Fels empor; oder erheben (um an eine friedlichere Na- turerscheinung zu erinnern) die einträchtigen Nerei- den ihre zelligen Wohnungen, bis sie nach Jahrtau- senden über dem Wasserspiegel hervorragend, ab- sterben, und ein flaches Corallen-Eiland bilden: so sind die organischen Kräfte sogleich bereit, den tod- ten Fels zu beleben. Was den Saamen so plözlich herbeiführt: ob wandernde Vögel, oder Winde, oder die Wogen des Meeres; ist bei der großen Entfernung der Küsten schwer zu entscheiden. Aber auf dem nakten Steine, so bald ihn zuerst die Luft berührt, bildet sich in den nordischen Ländern ein Gewebe sammtartiger Fasern, die dem unbe- wafneten Auge als farbige Flekken erscheinen. Einige sind durch hervorragende Linien bald einfach bald doppelt begränzt; andere sind in Furchen durchschnitten und in Fächer getheilt. Mit zunehmendem Alter verdunkelt sich ihre lichte Farbe. Das fernleuchtende Gelb wird braun, und das bläuliche Grau der Leprarien verwandelt sich nach und nach in ein staubartiges Schwarz. Die Gränzen der alternden Dekke fließen in ein- ander, und auf dem dunkeln Grunde bilden sich neue zirkelrunde Flechten von blendender Weiße. So lagert sich schichtenweise ein organisches Ge- webe auf das andere; und wie das sich ansie-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_ideen_1806
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_ideen_1806/6
Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Ideen zu einer Physiognomik der Gewächse. [Tübingen], [1806], S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_ideen_1806/6>, abgerufen am 04.12.2024.