Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847.Sinn. Ein bewegtes öffentliches Volksleben zog ab von der dumpfen schwärmerischen Versenkung in das stille Treiben der Natur; ja den physischen Erscheinungen wurde immer eine Beziehung auf die Menschheit5 beigelegt, sei es in den Verhältnissen der äußeren Gestaltung oder der inneren anregenden Thatkraft. Fast nur solche Beziehungen machten die Naturbetrachtung würdig unter der sinnigen Form des Gleichnisses, als abgesonderte kleine Gemälde voll objectiver Lebendigkeit in das Gebiet der Dichtung gezogen zu werden. Zu Delphi wurden Frühlingspäane6 gesungen, wahrscheinlich bestimmt die Freude des Menschen nach der überstandenen Noth des Winters auszudrücken. Eine naturbeschreibende Darstellung des Winters ist den Werken und Tagen7 des Hesiodus (vielleicht von der fremden Hand eines späteren ionischen Rhapsoden?) eingewebt. In edler Einfachheit, aber in nüchtern didactischer Form giebt dies Gedicht Anweisungen zum Feldbau, Erwerbs- und Arbeitsregeln, ethische Mahnungen zu tadellosem Wandel. Es erhebt sich ebenfalls zu mehr lyrischem Schwunge nur, wenn der Sänger das Elend des Menschengeschlechts oder die schöne allegorische Mythe des Epimetheus und der Pandora in ein anthropomorphisches Gewand einhüllt. Auch in der Theogonie des Hesiodus, die aus sehr verschiedenen uralten Elementen zusammengesetzt ist, finden sich mehrfach, z. B. bei Aufzählung der Nereiden8, Naturschilderungen des neptunischen Reichs unter bedeutsamen Namen mythischer Personen versteckt. Die böotische Sängerschule und überhaupt die ganze alte Dichtkunst wenden sich den Erscheinungen der Außenwelt zu, um sie menschenartig zu personificiren. Sinn. Ein bewegtes öffentliches Volksleben zog ab von der dumpfen schwärmerischen Versenkung in das stille Treiben der Natur; ja den physischen Erscheinungen wurde immer eine Beziehung auf die Menschheit5 beigelegt, sei es in den Verhältnissen der äußeren Gestaltung oder der inneren anregenden Thatkraft. Fast nur solche Beziehungen machten die Naturbetrachtung würdig unter der sinnigen Form des Gleichnisses, als abgesonderte kleine Gemälde voll objectiver Lebendigkeit in das Gebiet der Dichtung gezogen zu werden. Zu Delphi wurden Frühlingspäane6 gesungen, wahrscheinlich bestimmt die Freude des Menschen nach der überstandenen Noth des Winters auszudrücken. Eine naturbeschreibende Darstellung des Winters ist den Werken und Tagen7 des Hesiodus (vielleicht von der fremden Hand eines späteren ionischen Rhapsoden?) eingewebt. In edler Einfachheit, aber in nüchtern didactischer Form giebt dies Gedicht Anweisungen zum Feldbau, Erwerbs- und Arbeitsregeln, ethische Mahnungen zu tadellosem Wandel. Es erhebt sich ebenfalls zu mehr lyrischem Schwunge nur, wenn der Sänger das Elend des Menschengeschlechts oder die schöne allegorische Mythe des Epimetheus und der Pandora in ein anthropomorphisches Gewand einhüllt. Auch in der Theogonie des Hesiodus, die aus sehr verschiedenen uralten Elementen zusammengesetzt ist, finden sich mehrfach, z. B. bei Aufzählung der Nereiden8, Naturschilderungen des neptunischen Reichs unter bedeutsamen Namen mythischer Personen versteckt. Die böotische Sängerschule und überhaupt die ganze alte Dichtkunst wenden sich den Erscheinungen der Außenwelt zu, um sie menschenartig zu personificiren. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0013" n="8"/> Sinn. Ein bewegtes öffentliches Volksleben zog ab von der dumpfen schwärmerischen Versenkung in das stille Treiben der Natur; ja den physischen Erscheinungen wurde immer eine Beziehung auf die Menschheit<note xml:id="ftn4" next="#ftn4-text" place="end" n="5"/> beigelegt, sei es in den Verhältnissen der äußeren Gestaltung oder der inneren anregenden Thatkraft. Fast nur solche Beziehungen machten die Naturbetrachtung würdig unter der sinnigen Form des <hi rendition="#g">Gleichnisses,</hi> als abgesonderte kleine Gemälde voll objectiver Lebendigkeit in das Gebiet der Dichtung gezogen zu werden.</p> <p>Zu Delphi wurden <hi rendition="#g">Frühlingspäane</hi><note xml:id="ftn5" next="#ftn5-text" place="end" n="6"/> gesungen, wahrscheinlich bestimmt die Freude des Menschen nach der überstandenen Noth des Winters auszudrücken. Eine naturbeschreibende Darstellung des Winters ist den <hi rendition="#g">Werken und Tagen</hi><note xml:id="ftn6" next="#ftn6-text" place="end" n="7"/> des Hesiodus (vielleicht von der fremden Hand eines späteren ionischen Rhapsoden?) eingewebt. In edler Einfachheit, aber in nüchtern didactischer Form giebt dies Gedicht Anweisungen zum Feldbau, Erwerbs- und Arbeitsregeln, ethische Mahnungen zu tadellosem Wandel. Es erhebt sich ebenfalls zu mehr lyrischem Schwunge nur, wenn der Sänger das Elend des Menschengeschlechts oder die schöne allegorische Mythe des Epimetheus und der Pandora in ein anthropomorphisches Gewand einhüllt. Auch in der <hi rendition="#g">Theogonie</hi> des Hesiodus, die aus sehr verschiedenen uralten Elementen zusammengesetzt ist, finden sich mehrfach, z. B. bei Aufzählung der Nereiden<note xml:id="ftn7" next="#ftn7-text" place="end" n="8"/>, Naturschilderungen des neptunischen Reichs unter bedeutsamen Namen mythischer Personen versteckt. Die böotische Sängerschule und überhaupt die ganze alte Dichtkunst wenden sich den Erscheinungen der Außenwelt zu, um sie menschenartig zu personificiren.</p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [8/0013]
Sinn. Ein bewegtes öffentliches Volksleben zog ab von der dumpfen schwärmerischen Versenkung in das stille Treiben der Natur; ja den physischen Erscheinungen wurde immer eine Beziehung auf die Menschheit
⁵
beigelegt, sei es in den Verhältnissen der äußeren Gestaltung oder der inneren anregenden Thatkraft. Fast nur solche Beziehungen machten die Naturbetrachtung würdig unter der sinnigen Form des Gleichnisses, als abgesonderte kleine Gemälde voll objectiver Lebendigkeit in das Gebiet der Dichtung gezogen zu werden.
Zu Delphi wurden Frühlingspäane
⁶
gesungen, wahrscheinlich bestimmt die Freude des Menschen nach der überstandenen Noth des Winters auszudrücken. Eine naturbeschreibende Darstellung des Winters ist den Werken und Tagen
⁷
des Hesiodus (vielleicht von der fremden Hand eines späteren ionischen Rhapsoden?) eingewebt. In edler Einfachheit, aber in nüchtern didactischer Form giebt dies Gedicht Anweisungen zum Feldbau, Erwerbs- und Arbeitsregeln, ethische Mahnungen zu tadellosem Wandel. Es erhebt sich ebenfalls zu mehr lyrischem Schwunge nur, wenn der Sänger das Elend des Menschengeschlechts oder die schöne allegorische Mythe des Epimetheus und der Pandora in ein anthropomorphisches Gewand einhüllt. Auch in der Theogonie des Hesiodus, die aus sehr verschiedenen uralten Elementen zusammengesetzt ist, finden sich mehrfach, z. B. bei Aufzählung der Nereiden
⁸
, Naturschilderungen des neptunischen Reichs unter bedeutsamen Namen mythischer Personen versteckt. Die böotische Sängerschule und überhaupt die ganze alte Dichtkunst wenden sich den Erscheinungen der Außenwelt zu, um sie menschenartig zu personificiren.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Posner Collection: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2013-01-09T11:04:31Z)
Moritz Bodner: Erstellung bzw. Korrektur der griechischen Textpassagen
(2013-04-18T11:04:31Z)
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |