Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847.wie zwei getrennte Sphären der Natur erschienen sind, so ward dagegen den Hellenen, und nicht etwa bloß den Inselbewohnern, sondern auch den Stämmen des südlichen Festlandes, fast überall gleichzeitig der Anblick dessen, was im Contact und durch Wechselwirkung der Elemente dem Naturbilde seinen Reichthum und seine erhabene Größe verleiht. Wie hätten auch jene sinnigen, glücklich gestimmten Völker nicht sollen angeregt werden von der Gestalt waldbekränzter Felsrippen an den tiefeingeschnittenen Ufern des Mittelmeeres, von dem stillen nach Jahreszeit und Tagesstunden wechselnden Verkehr der Erdfläche mit den unteren Schichten des Luftkreises, von der Vertheilung der vegetabilischen Gestalten? Wie sollte in dem Zeitalter, wo die dichterische Stimmung die höchste war, sich nicht jegliche Art lebendiger sinnlicher Regung des Gemüthes in idealische Anschauung auflösen? Der Grieche dachte sich die Pflanzenwelt in mehrfacher mythischer Beziehung mit den Heroen und Göttern. Diese rächten strafend eine Verletzung geheiligter Bäume und Kräuter. Die Einbildungskraft belebte gleichsam die vegetabilischen Gestalten; aber die Formen der Dichtungsarten, auf welche bei der Eigenthümlichkeit griechischer Geistesentwicklung das Alterthum sich beschränkte, gestatteten dem naturbeschreibenden Theile nur eine mäßige Entfaltung. Einzeln bricht indeß selbst bei den Tragikern mitten in dem Gewühl aufgeregter Leidenschaft und wehmüthiger Gefühle ein tiefer Natursinn in begeisterte Schilderungen der Landschaft aus. Wenn Oedipus sich dem Haine der Eumeniden naht, singt der Chor "den edeln Ruhesitz des glanzvollen Kolonos, wo die melodische Nachtigall gern einkehrt und in helltönenden Lauten klagt"; er singt "die wie zwei getrennte Sphären der Natur erschienen sind, so ward dagegen den Hellenen, und nicht etwa bloß den Inselbewohnern, sondern auch den Stämmen des südlichen Festlandes, fast überall gleichzeitig der Anblick dessen, was im Contact und durch Wechselwirkung der Elemente dem Naturbilde seinen Reichthum und seine erhabene Größe verleiht. Wie hätten auch jene sinnigen, glücklich gestimmten Völker nicht sollen angeregt werden von der Gestalt waldbekränzter Felsrippen an den tiefeingeschnittenen Ufern des Mittelmeeres, von dem stillen nach Jahreszeit und Tagesstunden wechselnden Verkehr der Erdfläche mit den unteren Schichten des Luftkreises, von der Vertheilung der vegetabilischen Gestalten? Wie sollte in dem Zeitalter, wo die dichterische Stimmung die höchste war, sich nicht jegliche Art lebendiger sinnlicher Regung des Gemüthes in idealische Anschauung auflösen? Der Grieche dachte sich die Pflanzenwelt in mehrfacher mythischer Beziehung mit den Heroen und Göttern. Diese rächten strafend eine Verletzung geheiligter Bäume und Kräuter. Die Einbildungskraft belebte gleichsam die vegetabilischen Gestalten; aber die Formen der Dichtungsarten, auf welche bei der Eigenthümlichkeit griechischer Geistesentwicklung das Alterthum sich beschränkte, gestatteten dem naturbeschreibenden Theile nur eine mäßige Entfaltung. Einzeln bricht indeß selbst bei den Tragikern mitten in dem Gewühl aufgeregter Leidenschaft und wehmüthiger Gefühle ein tiefer Natursinn in begeisterte Schilderungen der Landschaft aus. Wenn Oedipus sich dem Haine der Eumeniden naht, singt der Chor „den edeln Ruhesitz des glanzvollen Kolonos, wo die melodische Nachtigall gern einkehrt und in helltönenden Lauten klagt"; er singt „die <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0016" n="11"/> wie zwei getrennte Sphären der Natur erschienen sind, so ward dagegen den Hellenen, und nicht etwa bloß den Inselbewohnern, sondern auch den Stämmen des südlichen Festlandes, fast überall gleichzeitig der Anblick dessen, was im Contact und durch Wechselwirkung der Elemente dem Naturbilde seinen Reichthum und seine erhabene Größe verleiht. Wie hätten auch jene sinnigen, glücklich gestimmten Völker nicht sollen angeregt werden von der Gestalt waldbekränzter Felsrippen an den tiefeingeschnittenen Ufern des Mittelmeeres, von dem stillen nach Jahreszeit und Tagesstunden wechselnden Verkehr der Erdfläche mit den unteren Schichten des Luftkreises, von der Vertheilung der vegetabilischen Gestalten? Wie sollte in dem Zeitalter, wo die dichterische Stimmung die höchste war, sich nicht jegliche Art lebendiger sinnlicher Regung des Gemüthes in idealische Anschauung auflösen? Der Grieche dachte sich die Pflanzenwelt in mehrfacher mythischer Beziehung mit den Heroen und Göttern. Diese rächten strafend eine Verletzung geheiligter Bäume und Kräuter. Die Einbildungskraft belebte gleichsam die vegetabilischen Gestalten; aber die Formen der Dichtungsarten, auf welche bei der Eigenthümlichkeit griechischer Geistesentwicklung das Alterthum sich beschränkte, gestatteten dem naturbeschreibenden Theile nur eine mäßige Entfaltung.</p> <p>Einzeln bricht indeß selbst bei den Tragikern mitten in dem Gewühl aufgeregter Leidenschaft und wehmüthiger Gefühle ein tiefer Natursinn in begeisterte Schilderungen der Landschaft aus. Wenn Oedipus sich dem Haine der Eumeniden naht, singt der Chor „den edeln Ruhesitz des glanzvollen Kolonos, wo die melodische Nachtigall gern einkehrt und in helltönenden Lauten klagt"; er singt „die </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [11/0016]
wie zwei getrennte Sphären der Natur erschienen sind, so ward dagegen den Hellenen, und nicht etwa bloß den Inselbewohnern, sondern auch den Stämmen des südlichen Festlandes, fast überall gleichzeitig der Anblick dessen, was im Contact und durch Wechselwirkung der Elemente dem Naturbilde seinen Reichthum und seine erhabene Größe verleiht. Wie hätten auch jene sinnigen, glücklich gestimmten Völker nicht sollen angeregt werden von der Gestalt waldbekränzter Felsrippen an den tiefeingeschnittenen Ufern des Mittelmeeres, von dem stillen nach Jahreszeit und Tagesstunden wechselnden Verkehr der Erdfläche mit den unteren Schichten des Luftkreises, von der Vertheilung der vegetabilischen Gestalten? Wie sollte in dem Zeitalter, wo die dichterische Stimmung die höchste war, sich nicht jegliche Art lebendiger sinnlicher Regung des Gemüthes in idealische Anschauung auflösen? Der Grieche dachte sich die Pflanzenwelt in mehrfacher mythischer Beziehung mit den Heroen und Göttern. Diese rächten strafend eine Verletzung geheiligter Bäume und Kräuter. Die Einbildungskraft belebte gleichsam die vegetabilischen Gestalten; aber die Formen der Dichtungsarten, auf welche bei der Eigenthümlichkeit griechischer Geistesentwicklung das Alterthum sich beschränkte, gestatteten dem naturbeschreibenden Theile nur eine mäßige Entfaltung.
Einzeln bricht indeß selbst bei den Tragikern mitten in dem Gewühl aufgeregter Leidenschaft und wehmüthiger Gefühle ein tiefer Natursinn in begeisterte Schilderungen der Landschaft aus. Wenn Oedipus sich dem Haine der Eumeniden naht, singt der Chor „den edeln Ruhesitz des glanzvollen Kolonos, wo die melodische Nachtigall gern einkehrt und in helltönenden Lauten klagt"; er singt „die
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Posner Collection: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2013-01-09T11:04:31Z)
Moritz Bodner: Erstellung bzw. Korrektur der griechischen Textpassagen
(2013-04-18T11:04:31Z)
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |