Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847.

Bild:
<< vorherige Seite

zu erläutern, hier bei einzelnen Beispielen zu verweilen. Wie der Charakter des Epos es erheischt, finden sich in den Homerischen Gesängen immer nur als Beiwerk die anmuthigsten Scenen des Naturlebens. "Der Hirte freut sich der Windstille der Nacht, des reinen Aethers und des Sternenglanzes am Himmelsgewölbe; er vernimmt aus der Ferne das Toben des plötzlich angeschwollenen, Eichenstämme und trüben Schlamm fortreißenden Waldstroms."10 Mit der großartigen Schildrung der Waldeinsamkeit des Parnassos und seiner dunkeln, dickbelaubten Felsthäler contrastiren die heiter lieblichen Bilder des quellenreichen Pappelhaines in der Phäaken-Insel Scheria, und vor allem das Land der Cyclopen, "wo schwellend von saftreichem, wogendem Grase die Auen den ungepflegten Rebenhügel umgrenzen".11 Pindaros besingt in einem Frühlingsdithyrambus, den er zu Athen hat aufführen lassen, "die mit neuen Blüthen bedeckte Erde, wenn in der Argeischen Nemea der sich zuerst entwickelnde Sprößling des Palmbaums dem Seher den anbrechenden, duftenden Frühling verkündigt"; er besingt den Aetna, "die Säule des Himmels, Nährerinn daurenden Schnees": aber eilend wendet er sich ab von der todten Natur und ihren Schauern, um Hieron von Syracus zu feiern und die siegreichen Kämpfe der Hellenen gegen das mächtige Volk der Perser.

Vergessen wir nicht, daß die griechische Landschaft den eigenthümlichen Reiz einer innigeren Verschmelzung des Starren und Flüssigen, des mit Pflanzen geschmückten oder malerisch felsigen, luftgefärbten Ufers und des wellenschlagenden, lichtwechselnden, klangvollen Meeres darbietet. Wenn anderen Völkern Meer und Land, das Erd- und Seeleben

zu erläutern, hier bei einzelnen Beispielen zu verweilen. Wie der Charakter des Epos es erheischt, finden sich in den Homerischen Gesängen immer nur als Beiwerk die anmuthigsten Scenen des Naturlebens. „Der Hirte freut sich der Windstille der Nacht, des reinen Aethers und des Sternenglanzes am Himmelsgewölbe; er vernimmt aus der Ferne das Toben des plötzlich angeschwollenen, Eichenstämme und trüben Schlamm fortreißenden Waldstroms."10 Mit der großartigen Schildrung der Waldeinsamkeit des Parnassos und seiner dunkeln, dickbelaubten Felsthäler contrastiren die heiter lieblichen Bilder des quellenreichen Pappelhaines in der Phäaken-Insel Scheria, und vor allem das Land der Cyclopen, „wo schwellend von saftreichem, wogendem Grase die Auen den ungepflegten Rebenhügel umgrenzen".11 Pindaros besingt in einem Frühlingsdithyrambus, den er zu Athen hat aufführen lassen, „die mit neuen Blüthen bedeckte Erde, wenn in der Argeischen Nemea der sich zuerst entwickelnde Sprößling des Palmbaums dem Seher den anbrechenden, duftenden Frühling verkündigt"; er besingt den Aetna, „die Säule des Himmels, Nährerinn daurenden Schnees": aber eilend wendet er sich ab von der todten Natur und ihren Schauern, um Hieron von Syracus zu feiern und die siegreichen Kämpfe der Hellenen gegen das mächtige Volk der Perser.

Vergessen wir nicht, daß die griechische Landschaft den eigenthümlichen Reiz einer innigeren Verschmelzung des Starren und Flüssigen, des mit Pflanzen geschmückten oder malerisch felsigen, luftgefärbten Ufers und des wellenschlagenden, lichtwechselnden, klangvollen Meeres darbietet. Wenn anderen Völkern Meer und Land, das Erd- und Seeleben

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0015" n="10"/>
zu erläutern, hier bei einzelnen Beispielen zu verweilen. Wie der Charakter des Epos es erheischt, finden sich in den Homerischen Gesängen immer nur als Beiwerk die anmuthigsten Scenen des Naturlebens. &#x201E;Der Hirte freut sich der Windstille der Nacht, des reinen Aethers und des Sternenglanzes am Himmelsgewölbe; er vernimmt aus der Ferne das Toben des plötzlich angeschwollenen, Eichenstämme und trüben Schlamm fortreißenden Waldstroms."<note xml:id="ftn9" next="#ftn9-text" place="end" n="10"/> Mit der großartigen Schildrung der Waldeinsamkeit des Parnassos und seiner dunkeln, dickbelaubten Felsthäler contrastiren die heiter lieblichen Bilder des quellenreichen Pappelhaines in der Phäaken-Insel Scheria, und vor allem das Land der Cyclopen, &#x201E;wo schwellend von saftreichem, wogendem Grase die Auen den ungepflegten Rebenhügel umgrenzen".<note xml:id="ftn10" next="#ftn10-text" place="end" n="11"/> Pindaros besingt in einem Frühlingsdithyrambus, den er zu Athen hat aufführen lassen, &#x201E;die mit neuen Blüthen bedeckte Erde, wenn in der Argeischen Nemea der sich zuerst entwickelnde Sprößling des Palmbaums dem Seher den anbrechenden, duftenden Frühling verkündigt"; er besingt den Aetna, &#x201E;die Säule des Himmels, Nährerinn daurenden Schnees": aber eilend wendet er sich ab von der todten Natur und ihren Schauern, um Hieron von Syracus zu feiern und die siegreichen Kämpfe der Hellenen gegen das mächtige Volk der Perser.</p>
            <p>Vergessen wir nicht, daß die <hi rendition="#g">griechische Landschaft</hi> den eigenthümlichen Reiz einer innigeren Verschmelzung des Starren und Flüssigen, des mit Pflanzen geschmückten oder malerisch felsigen, luftgefärbten Ufers und des wellenschlagenden, lichtwechselnden, klangvollen Meeres darbietet. Wenn anderen Völkern Meer und Land, das Erd- und Seeleben
</p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[10/0015] zu erläutern, hier bei einzelnen Beispielen zu verweilen. Wie der Charakter des Epos es erheischt, finden sich in den Homerischen Gesängen immer nur als Beiwerk die anmuthigsten Scenen des Naturlebens. „Der Hirte freut sich der Windstille der Nacht, des reinen Aethers und des Sternenglanzes am Himmelsgewölbe; er vernimmt aus der Ferne das Toben des plötzlich angeschwollenen, Eichenstämme und trüben Schlamm fortreißenden Waldstroms." ¹⁰ Mit der großartigen Schildrung der Waldeinsamkeit des Parnassos und seiner dunkeln, dickbelaubten Felsthäler contrastiren die heiter lieblichen Bilder des quellenreichen Pappelhaines in der Phäaken-Insel Scheria, und vor allem das Land der Cyclopen, „wo schwellend von saftreichem, wogendem Grase die Auen den ungepflegten Rebenhügel umgrenzen". ¹¹ Pindaros besingt in einem Frühlingsdithyrambus, den er zu Athen hat aufführen lassen, „die mit neuen Blüthen bedeckte Erde, wenn in der Argeischen Nemea der sich zuerst entwickelnde Sprößling des Palmbaums dem Seher den anbrechenden, duftenden Frühling verkündigt"; er besingt den Aetna, „die Säule des Himmels, Nährerinn daurenden Schnees": aber eilend wendet er sich ab von der todten Natur und ihren Schauern, um Hieron von Syracus zu feiern und die siegreichen Kämpfe der Hellenen gegen das mächtige Volk der Perser. Vergessen wir nicht, daß die griechische Landschaft den eigenthümlichen Reiz einer innigeren Verschmelzung des Starren und Flüssigen, des mit Pflanzen geschmückten oder malerisch felsigen, luftgefärbten Ufers und des wellenschlagenden, lichtwechselnden, klangvollen Meeres darbietet. Wenn anderen Völkern Meer und Land, das Erd- und Seeleben

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Posner Collection: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-01-09T11:04:31Z)
Moritz Bodner: Erstellung bzw. Korrektur der griechischen Textpassagen (2013-04-18T11:04:31Z)



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos02_1847
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos02_1847/15
Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos02_1847/15>, abgerufen am 23.11.2024.