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Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847.

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81 (S. 308.) Da der Alte Continent von dem westlichen Ende der iberischen Halbinsel bis zur Küste von China fast 130° Meridian-Unterschied zählt, so bleiben ohngefähr 230° für den Raum übrig, den Columbus würde zu durchschiffen gehabt haben, wenn er wollte bis Cathai (China), weniger, wenn er nur wollte bis Zipangi (Japan) gelangen. Der hier von mir bezeichnete Meridian-Unterschied von 230° gründet sich auf die Lage des portugiesischen Vorgebirges St. Vincent (long. 11° 20' westlich von Paris) und des weit vortretenden chinesischen Ufers bei dem ehemals so berühmten, von Columbus und Toscanelli oft genannten Hafen Quinsay (Breite 30° 28', Länge 117° 47' östlich von Paris). Synonyme für Quinsay in der Provinz Tschekiang sind Kanfu, Hangtscheufu, Kingszu. Der asiatische östliche Welthandel war im 13ten Jahrhundert getheilt zwischen Quinsay und Zaitun (Pinghai oder Tseuthung), welches der Insel Formosa (damals Tungfan) gegenüber unter 25° 5' nördlicher Breite lag (s. Klaproth, Tableaux hist. de l'Asie p. 227). Der Abstand des Vorgebirges St. Vincent von Zipangi (Niphon) ist 22 Längengrade geringer wie von Quinsay, also statt 230° 53' ohngefähr nur 209°. Auffallend ist es, daß die ältesten Angaben, die des Eratosthenes und Strabo (lib. I p. 64), dem oben gegebenen Resultate von 129° für den Meridian-Unterschied der oikoumene durch zufällige Compensationen bis auf 10° nahe kommen. Strabo sagt gerade an der Stelle, wo er der möglichen Existenz von zwei großen bewohnbaren Festländern in der nördlichen Erdhälfte gedenkt, daß unsere oikoumene0 im Parallel von Thinä (Athen, s. oben Kosmos Bd. II. S. 223) mehr als 1/3 des ganzen Erdumkreises ausmacht. Marinus Tyrius, durch die Dauer der Schifffahrt von Myos Hormos nach Indien, durch die irrig angenommene Richtung der größeren Axe des caspischen Meeres von Westen nach Osten und die Ueberschätzung der Länge des Landweges zu den Serern verleitet, gab dem Alten Continent statt 129° volle 225°. Die chinesische Küste wurde dadurch bis zu den Sandwich-Inseln vorgerückt. Columbus zieht dies Resultat natürlich dem des Ptolemäus vor, nach welchem Quinsay nur in den östlichen Theil des Archipels der Carolinen fallen würde. Ptolemäus setzt nämlich im Almagest (II, 1) die Küste der Sinae auf 180°, in der Geographie (lib. I cap. 12) auf 177°1/4. Da Columbus die Schifffahrt von Iberien zu den Sinen auf 120°, Toscanelli gar nur auf 52° anschlägt, so konnte beiden,
81 (S. 308.) Da der Alte Continent von dem westlichen Ende der iberischen Halbinsel bis zur Küste von China fast 130° Meridian-Unterschied zählt, so bleiben ohngefähr 230° für den Raum übrig, den Columbus würde zu durchschiffen gehabt haben, wenn er wollte bis Cathai (China), weniger, wenn er nur wollte bis Zipangi (Japan) gelangen. Der hier von mir bezeichnete Meridian-Unterschied von 230° gründet sich auf die Lage des portugiesischen Vorgebirges St. Vincent (long. 11° 20′ westlich von Paris) und des weit vortretenden chinesischen Ufers bei dem ehemals so berühmten, von Columbus und Toscanelli oft genannten Hafen Quinsay (Breite 30° 28′, Länge 117° 47′ östlich von Paris). Synonyme für Quinsay in der Provinz Tschekiang sind Kanfu, Hangtscheufu, Kingszu. Der asiatische östliche Welthandel war im 13ten Jahrhundert getheilt zwischen Quinsay und Zaitun (Pinghai oder Tseuthung), welches der Insel Formosa (damals Tungfan) gegenüber unter 25° 5′ nördlicher Breite lag (s. Klaproth, Tableaux hist. de l'Asie p. 227). Der Abstand des Vorgebirges St. Vincent von Zipangi (Niphon) ist 22 Längengrade geringer wie von Quinsay, also statt 230° 53′ ohngefähr nur 209°. Auffallend ist es, daß die ältesten Angaben, die des Eratosthenes und Strabo (lib. I p. 64), dem oben gegebenen Resultate von 129° für den Meridian-Unterschied der οἰκουμένη durch zufällige Compensationen bis auf 10° nahe kommen. Strabo sagt gerade an der Stelle, wo er der möglichen Existenz von zwei großen bewohnbaren Festländern in der nördlichen Erdhälfte gedenkt, daß unsere οἰκουμένη0 im Parallel von Thinä (Athen, s. oben Kosmos Bd. II. S. 223) mehr als ⅓ des ganzen Erdumkreises ausmacht. Marinus Tyrius, durch die Dauer der Schifffahrt von Myos Hormos nach Indien, durch die irrig angenommene Richtung der größeren Axe des caspischen Meeres von Westen nach Osten und die Ueberschätzung der Länge des Landweges zu den Serern verleitet, gab dem Alten Continent statt 129° volle 225°. Die chinesische Küste wurde dadurch bis zu den Sandwich-Inseln vorgerückt. Columbus zieht dies Resultat natürlich dem des Ptolemäus vor, nach welchem Quinsay nur in den östlichen Theil des Archipels der Carolinen fallen würde. Ptolemäus setzt nämlich im Almagest (II, 1) die Küste der Sinae auf 180°, in der Geographie (lib. I cap. 12) auf 177°¼. Da Columbus die Schifffahrt von Iberien zu den Sinen auf 120°, Toscanelli gar nur auf 52° anschlägt, so konnte beiden,
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[477/0482] ⁸¹ (S. 308.) Da der Alte Continent von dem westlichen Ende der iberischen Halbinsel bis zur Küste von China fast 130° Meridian-Unterschied zählt, so bleiben ohngefähr 230° für den Raum übrig, den Columbus würde zu durchschiffen gehabt haben, wenn er wollte bis Cathai (China), weniger, wenn er nur wollte bis Zipangi (Japan) gelangen. Der hier von mir bezeichnete Meridian-Unterschied von 230° gründet sich auf die Lage des portugiesischen Vorgebirges St. Vincent (long. 11° 20′ westlich von Paris) und des weit vortretenden chinesischen Ufers bei dem ehemals so berühmten, von Columbus und Toscanelli oft genannten Hafen Quinsay (Breite 30° 28′, Länge 117° 47′ östlich von Paris). Synonyme für Quinsay in der Provinz Tschekiang sind Kanfu, Hangtscheufu, Kingszu. Der asiatische östliche Welthandel war im 13ten Jahrhundert getheilt zwischen Quinsay und Zaitun (Pinghai oder Tseuthung), welches der Insel Formosa (damals Tungfan) gegenüber unter 25° 5′ nördlicher Breite lag (s. Klaproth, Tableaux hist. de l'Asie p. 227). Der Abstand des Vorgebirges St. Vincent von Zipangi (Niphon) ist 22 Längengrade geringer wie von Quinsay, also statt 230° 53′ ohngefähr nur 209°. Auffallend ist es, daß die ältesten Angaben, die des Eratosthenes und Strabo (lib. I p. 64), dem oben gegebenen Resultate von 129° für den Meridian-Unterschied der οἰκουμένη durch zufällige Compensationen bis auf 10° nahe kommen. Strabo sagt gerade an der Stelle, wo er der möglichen Existenz von zwei großen bewohnbaren Festländern in der nördlichen Erdhälfte gedenkt, daß unsere οἰκουμένη0 im Parallel von Thinä (Athen, s. oben Kosmos Bd. II. S. 223) mehr als ⅓ des ganzen Erdumkreises ausmacht. Marinus Tyrius, durch die Dauer der Schifffahrt von Myos Hormos nach Indien, durch die irrig angenommene Richtung der größeren Axe des caspischen Meeres von Westen nach Osten und die Ueberschätzung der Länge des Landweges zu den Serern verleitet, gab dem Alten Continent statt 129° volle 225°. Die chinesische Küste wurde dadurch bis zu den Sandwich-Inseln vorgerückt. Columbus zieht dies Resultat natürlich dem des Ptolemäus vor, nach welchem Quinsay nur in den östlichen Theil des Archipels der Carolinen fallen würde. Ptolemäus setzt nämlich im Almagest (II, 1) die Küste der Sinae auf 180°, in der Geographie (lib. I cap. 12) auf 177°¼. Da Columbus die Schifffahrt von Iberien zu den Sinen auf 120°, Toscanelli gar nur auf 52° anschlägt, so konnte beiden,

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847, S. 477. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos02_1847/482>, abgerufen am 22.11.2024.