Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 5. Stuttgart u. a., 1862.als er in einem Vorworte äußerte, "daß metaphysische Naturwissenschaft nicht weiter lange, als wo Mathematik mit metaphysischen Sätzen verbunden werden könne". Ein mir lange befreundeter, den Kantischen Ansichten leidenschaftlich zugethaner Denker, Jacob Friedrich Fries, glaubt am Schluß seiner Geschichte der Philosophie erklären zu müssen: "daß von den bewundernswürdigen Fortschritten, welche die Naturlehre bis zum Jahr 1840 gemacht, alles der Beobachtung und der Kunst der Geometrie, der Kunst mathematischer Analysis angehöre; die Naturphilosophie habe bei diesen Entdeckungen gar nichts gefördert." Möge ein Zeugniß bisheriger Unfruchtbarkeit nicht alle Hoffnung für die Zukunft vernichten! denn es geziemt nicht dem freien Geiste unserer Zeit, jeden zugleich auf Induction und Analogien gegründeten philosophischen Versuch, tiefer in die Verkettung der Naturerscheinungen einzudringen, als bodenlose Hypothese zu verwerfen: und unter den edeln Anlagen, mit welchen die Natur den Menschen ausgestattet hat, bald die nach dem Causalzusammenhang grübelnde Vernunft; bald die regsame, zu allem Entdecken und Schaffen nothwendige und anregende Einbildungskraft zu verdammen.6 Ich meines Theils glaube geleistet zu haben, was ich nach der Natur meiner Neigungen und nach dem Maaß meiner Kräfte zu unternehmen mir vorsetzen konnte. Ich wünschte ein Werk zu liefern nach dem großen Vorbilde der Exposition du Systeme du Monde von Laplace, in dessen anregender Nähe ich in Arcueil und im Bureau des Longitudes auf der Pariser Sternwarte, mit Gay-Lussac und Arago, über zwanzig Jahre das Glück hatte zu verleben. Wenn wir schon in der Mechanik des Himmels, trotz der Einfachheit der wirkenden Kräfte, in vielen Zuständen des Seins der Weltkörper als er in einem Vorworte äußerte, „daß metaphysische Naturwissenschaft nicht weiter lange, als wo Mathematik mit metaphysischen Sätzen verbunden werden könne“. Ein mir lange befreundeter, den Kantischen Ansichten leidenschaftlich zugethaner Denker, Jacob Friedrich Fries, glaubt am Schluß seiner Geschichte der Philosophie erklären zu müssen: „daß von den bewundernswürdigen Fortschritten, welche die Naturlehre bis zum Jahr 1840 gemacht, alles der Beobachtung und der Kunst der Geometrie, der Kunst mathematischer Analysis angehöre; die Naturphilosophie habe bei diesen Entdeckungen gar nichts gefördert.“ Möge ein Zeugniß bisheriger Unfruchtbarkeit nicht alle Hoffnung für die Zukunft vernichten! denn es geziemt nicht dem freien Geiste unserer Zeit, jeden zugleich auf Induction und Analogien gegründeten philosophischen Versuch, tiefer in die Verkettung der Naturerscheinungen einzudringen, als bodenlose Hypothese zu verwerfen: und unter den edeln Anlagen, mit welchen die Natur den Menschen ausgestattet hat, bald die nach dem Causalzusammenhang grübelnde Vernunft; bald die regsame, zu allem Entdecken und Schaffen nothwendige und anregende Einbildungskraft zu verdammen.6 Ich meines Theils glaube geleistet zu haben, was ich nach der Natur meiner Neigungen und nach dem Maaß meiner Kräfte zu unternehmen mir vorsetzen konnte. Ich wünschte ein Werk zu liefern nach dem großen Vorbilde der Exposition du Système du Monde von Laplace, in dessen anregender Nähe ich in Arcueil und im Bureau des Longitudes auf der Pariser Sternwarte, mit Gay-Lussac und Arago, über zwanzig Jahre das Glück hatte zu verleben. Wenn wir schon in der Mechanik des Himmels, trotz der Einfachheit der wirkenden Kräfte, in vielen Zuständen des Seins der Weltkörper <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0015" n="8"/> als er in einem Vorworte äußerte, „daß <hi rendition="#g">metaphysische Naturwissenschaft</hi> nicht weiter lange, als wo Mathematik mit metaphysischen Sätzen verbunden werden könne“. 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Ich meines Theils glaube geleistet zu haben, was ich nach der Natur meiner Neigungen und nach dem Maaß meiner Kräfte zu unternehmen mir vorsetzen konnte. Ich wünschte ein Werk zu liefern nach dem großen Vorbilde der Exposition du Système du Monde von Laplace, in dessen anregender Nähe ich in Arcueil und im Bureau des Longitudes auf der Pariser Sternwarte, mit Gay-Lussac und Arago, über zwanzig Jahre das Glück hatte zu verleben. Wenn wir schon in der Mechanik des Himmels, trotz der Einfachheit der wirkenden Kräfte, in vielen Zuständen des Seins der Weltkörper
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