Humboldt, Alexander von: Ideen zu einer Physiognomik der Gewächse. Tübingen, 1806.bekränzt sind; oder auf der Grasflur, wo der Wind in Wenn aber auch der Charakter verschiedener Weltgegenden bekränzt sind; oder auf der Grasflur, wo der Wind in Wenn aber auch der Charakter verschiedener Weltgegenden <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0014" n="14"/> bekränzt sind; oder auf der Grasflur, wo der Wind in<lb/> dem zitternden Laube der Birken säuselt! Melancholische,<lb/> ernsterhebende, oder fröhliche Bilder rufen<lb/> diese <choice><sic>vaterländische</sic><corr>vaterländischen</corr></choice> Pflanzengestalten in uns hervor.<lb/> Der Einfluſs der physischen Welt auf die moralische,<lb/> dies geheimniſsvolle Ineinander-Wirken des Sinnlichen<lb/> und Auſsersinnlichen, giebt dem Naturstudium, wenn<lb/> man es zu höheren Gesichtspunkten erhebt, einen eigenen,<lb/> noch zu wenig gekannten Reiz.<lb/></p> <p>Wenn aber auch der Charakter verschiedener Weltgegenden<lb/> von allen äuſseren Erscheinungen zugleich<lb/> abhängt; wenn Umriſs der Gebirge, Physiognomie der<lb/> Pflanzen und Thiere, wenn Himmelsbläue, Wolkengestalt<lb/> und Durchsichtigkeit des Luftkreises, den Totaleindruk<lb/> bewirken; so ist doch nicht zu läugnen,<lb/> daſs das Hauptbestimmende dieses Eindrucks die<lb/> Pflanzendecke ist. Dem thierischen Organismus fehlt<lb/> es an Masse, und die Beweglichkeit der Individuen<lb/> entzieht sie oft unsern Blicken. Die Pflanzenschöpfung<lb/> dagegen wirkt durch stetige Gröſse auf unsere Einbildungskraft.<lb/> Ihre Masse bezeichnete ihr Alter, und in<lb/> den Gewächsen allein ist Alter und Ausdruck stets<lb/> sich erneuernder Kraft mit einander gepaart. Der riesenförmige<lb/> Drachenbaum, den ich auf den <placeName>kanarischen<lb/> Inseln</placeName> sah, und der 16 Schuh im Durchmesser hat,<lb/> trägt noch immerdar (gleichsam in ewiger Jugend)<lb/> Blüthe und Frucht. Als französische Abentheurer,<lb/> die <persName ref="http://d-nb.info/gnd/12452396X">Bethencourts</persName>, im vierzehnten Jahrhundert die<lb/><placeName>glücklichen Inseln</placeName> eroberten, war der Drachenbaum<lb/> von <placeName><choice><sic>Oratava</sic><corr>Orotava</corr></choice></placeName> (den Eingeborenen heilig wie der Oelbaum<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [14/0014]
bekränzt sind; oder auf der Grasflur, wo der Wind in
dem zitternden Laube der Birken säuselt! Melancholische,
ernsterhebende, oder fröhliche Bilder rufen
diese vaterländischen Pflanzengestalten in uns hervor.
Der Einfluſs der physischen Welt auf die moralische,
dies geheimniſsvolle Ineinander-Wirken des Sinnlichen
und Auſsersinnlichen, giebt dem Naturstudium, wenn
man es zu höheren Gesichtspunkten erhebt, einen eigenen,
noch zu wenig gekannten Reiz.
Wenn aber auch der Charakter verschiedener Weltgegenden
von allen äuſseren Erscheinungen zugleich
abhängt; wenn Umriſs der Gebirge, Physiognomie der
Pflanzen und Thiere, wenn Himmelsbläue, Wolkengestalt
und Durchsichtigkeit des Luftkreises, den Totaleindruk
bewirken; so ist doch nicht zu läugnen,
daſs das Hauptbestimmende dieses Eindrucks die
Pflanzendecke ist. Dem thierischen Organismus fehlt
es an Masse, und die Beweglichkeit der Individuen
entzieht sie oft unsern Blicken. Die Pflanzenschöpfung
dagegen wirkt durch stetige Gröſse auf unsere Einbildungskraft.
Ihre Masse bezeichnete ihr Alter, und in
den Gewächsen allein ist Alter und Ausdruck stets
sich erneuernder Kraft mit einander gepaart. Der riesenförmige
Drachenbaum, den ich auf den kanarischen
Inseln sah, und der 16 Schuh im Durchmesser hat,
trägt noch immerdar (gleichsam in ewiger Jugend)
Blüthe und Frucht. Als französische Abentheurer,
die Bethencourts, im vierzehnten Jahrhundert die
glücklichen Inseln eroberten, war der Drachenbaum
von Orotava (den Eingeborenen heilig wie der Oelbaum
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