Humboldt, Alexander von: Neue Untersuchungen über die Gesetze, welche man in der Vertheilung der Pflanzenformen bemerkt. In: Isis, Bd. 5 (1821), Sp. 1033-1047.[Beginn Spaltensatz]
Aus meinen Untersuchungen geht hervor, daß in der Die Pflanzengeographie kann als ein Theil der Phy- Anmerkungen. 1. Bey Vergleichung der beyden Zusammengrup- 2. Obgleich ich die Hauptresultate meiner Arbeit in Jsis. 1821. Heft XI. 66
[Beginn Spaltensatz]
Aus meinen Unterſuchungen geht hervor, daß in der Die Pflanzengeographie kann als ein Theil der Phy- Anmerkungen. 1. Bey Vergleichung der beyden Zuſammengrup- 2. Obgleich ich die Hauptreſultate meiner Arbeit in Jſis. 1821. Heft XI. 66
<TEI> <text> <body> <div n="2"> <p><pb facs="#f0006"/><cb type="start" n="1041"/><lb/> bleiben nicht parallel mit dem Aequator: ſie haben, wie ich<lb/> dieß ſchon anderwaͤrts zu beweiſen geſucht habe, <hi rendition="#fr">convexe</hi><lb/> und <hi rendition="#fr">concave Gipfel</hi>, welche ſehr regelmaͤßig uͤber den<lb/> Erdball vertheilt ſind und verſchiedene Syſteme laͤngs den<lb/> oͤſtlichen und weſtlichen Kuͤſten der alten und neuen Welt<lb/> im Mittelpunct der Continente und in der Naͤhe der gro-<lb/> ßen Meerbecken bilden. Wahrſcheinlich wird man, wenn<lb/> erſt phyſicaliſche Botaniker eine weitere Strecke durchreiſt<lb/> haben, finden, daß oft die Linien der <hi rendition="#aq">maxima</hi> <hi rendition="#fr">der Zu-<lb/> ſammengruppirungen</hi> (Linien, die durch die Puncte ge-<lb/> zogen ſind, wo die Bruͤche auf die kleinſten Nenner redu-<lb/> cirt worden) Jſothermen-Linie werden. Theilt man den<lb/> Erdball nach zwiſchen zwey Meridianen liegenden Streifen,<lb/> und vergleicht die numeriſchen Verhaͤltniſſe unter denſelben<lb/> Jſothermenbreiten, ſo findet man, daß verſchiedene Zuſam-<lb/> mengruppirungs-Syſteme da ſind. Schon bey dem, was<lb/> wir jetzt wiſſen, koͤnnen wir 4 Pflanzenſyſteme unterſchei-<lb/> den, das des neuen Continents, das von Weſt-Africa,<lb/> von Jndien und das von Neuholland. So wie ungeachtet<lb/> des regelmaͤßigen Steigens der Waͤrme vom Pole zum<lb/> Aequator doch das <hi rendition="#aq">maximum</hi> der Waͤrme nicht identiſch<lb/> iſt in den verſchiedenen Regionen nach verſchiedenen Laͤnge-<lb/> Graden, ſo gibt es auch Oerter, wo gewiſſe Familien ſich<lb/> mehr entwickeln, wie an allen anderen Orten. So iſt es<lb/> bey der Familie der Compoſiten in der gemaͤßigten Region<lb/> von Nordamerica. Dieſe theilweiſen Zuſammenhaͤufungen<lb/> beſtimmen die Phyſiognomie der Vegetation; ſie ſind das,<lb/> was man im Allgemeinen <hi rendition="#fr">characteriſtiſche Zuͤge</hi> einer<lb/> Landſchaft nennt.</p><lb/> <p>Aus meinen Unterſuchungen geht hervor, daß in der<lb/> ganzen gemaͤßigten Zone die Glumaceen und die Compoſiten<lb/> zuſammen mehr als ¼ der Phanerogamen ausmachen, und<lb/> daß die Formen der organiſirten Weſen wechſelſeitig von<lb/> einander abhaͤngen. Jn der Natur herrſcht eine ſolche Ein-<lb/> heit, daß die Formen nach feſtſtehenden, unwandelbaren<lb/> Geſetzen ſich unter einander begraͤnzen. Wenn von irgend<lb/> einem Punct des Erdballs die Zahl der Gattungen einer<lb/> großen Familie bekannt iſt (z. B. von den Glumaceen, den<lb/> Compoſiten oder den Leguminoſen), ſo laͤßt ſich ſowohl die<lb/> Totalzahl der Phanerogamen als auch die Gattungszahl der<lb/> anderen Pflanzenfamilien mit vieler Wahrſcheinlichkeit be-<lb/> rechnen. Auf die Art kann man, wenn unter der gemaͤ-<lb/> ßigten Zone die Zahl der Cyperaceen oder der Compoſiten<lb/> bekannt iſt, die der Gramineen oder der Leguminoſen erra-<lb/> then. Dieſe Berechnungen zeigen auch in Anſehung welcher<lb/> Pflanzenzunft die Floren eines Landes noch unvollkommen<lb/> ſind, und ſie werden um ſo ſicherer, jemehr man die Ver-<lb/> wechſelung der zu verſchiedenen <hi rendition="#fr">Pflanzenſyſtemen</hi> gehoͤri-<lb/> gen Quotienten vermeidet.</p><lb/> <p>Die Pflanzengeographie kann als ein Theil der <hi rendition="#fr">Phy-<lb/> ſik des Erdballs</hi> betrachtet werden. Waͤren auch die Ge-<lb/> ſetze, nach welchen die Natur die Pflanzenformen vertheilt<lb/> hat, noch verwickelter, als ſie beym erſten Anblick es ſchei-<lb/> nen, ſo muͤßten ſie doch nichts deſto weniger genauen<lb/> Forſchungen unterworfen werden. So oft man Einbuch-<lb/> tungen der Fluͤſſe oder Unregelmaͤßigkeiten der Kuͤſten be-<lb/> merkte, wurden die Charten benutzt. 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Bey Vergleichung der beyden <hi rendition="#fr">Zuſammengrup-<lb/> pirungs-Syſteme</hi> in den beyden Welten, findet man<lb/> gewoͤhnlich in der neuen Welt unter der Aequatorialzone<lb/> weniger Cyperaceen und Rubiaceen und mehr Compoſiten;<lb/> unter der gemaͤßigten Zone, weniger Juncaceen, Labiaten,<lb/> Umbelliferen und Cruciferen und mehr <hi rendition="#fr">Compoſiten</hi>, Eri-<lb/> cineen und Amentaceen als in den entſprechenden Zonen der<lb/> alten Welt. Die Familien der Glumaceen, Ericineen und<lb/> Amentaceen werden vom Aequator nach dem Pole hin ſtaͤr-<lb/> ker (nach der Bruch-Methode), und vom Pole zum Ae-<lb/> quator hin werden die Familien der Leguminoſen, Rubia-<lb/> ceen, Euphorbiaceen und die Malvaceen ſchwaͤcher; das<lb/> Maximum unter der gemaͤßigten Zone ſcheinen zu erreichen<lb/> die <hi rendition="#fr">Compoſiten</hi>, die Labiaten, die Umbelliferen und die<lb/> Cruciferen.</p><lb/> <p>2. Obgleich ich die Hauptreſultate meiner Arbeit in<lb/> einer Tabelle zuſammengeſtellt habe, ſo muͤſſen die Phy-<lb/> ſiker doch jedesmal wenn die partiellen Zahlen ihnen zwei-<lb/> felhaft ſcheinen zu den Erklaͤrungen uͤber die verſchiedenen<lb/> Familien ihre Zuflucht nehmen. Die Quotienten der Wen-<lb/> dezirkel ſind ſo modificirt, daß ſie auf die Regionen ſich be-<lb/> ziehen, welche eine mittlere Temperatur von 28° bis 20°<lb/> haben (von 0 bis 750 Toiſen Hoͤhe). Die Quotienten<lb/> der gemaͤßigten Zone ſind dem centralen Theile dieſer Zone<lb/> angefuͤgt zwiſchen 13° und 10° mittlerer Temperatur. Jn<lb/> der Eiszone iſt die mittlere Temperatur 0° oder 1°. Die-<lb/> ſer Tabelle der Quotienten oder der Bruͤche koͤnnte noch ei-<lb/> ne andere Tabelle angehaͤngt werden, in welcher die <hi rendition="#fr">abſolu-<lb/> ten Zahlen der Gattungen</hi> unter einander verglichen<lb/> wuͤrden. 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bleiben nicht parallel mit dem Aequator: ſie haben, wie ich
dieß ſchon anderwaͤrts zu beweiſen geſucht habe, convexe
und concave Gipfel, welche ſehr regelmaͤßig uͤber den
Erdball vertheilt ſind und verſchiedene Syſteme laͤngs den
oͤſtlichen und weſtlichen Kuͤſten der alten und neuen Welt
im Mittelpunct der Continente und in der Naͤhe der gro-
ßen Meerbecken bilden. Wahrſcheinlich wird man, wenn
erſt phyſicaliſche Botaniker eine weitere Strecke durchreiſt
haben, finden, daß oft die Linien der maxima der Zu-
ſammengruppirungen (Linien, die durch die Puncte ge-
zogen ſind, wo die Bruͤche auf die kleinſten Nenner redu-
cirt worden) Jſothermen-Linie werden. Theilt man den
Erdball nach zwiſchen zwey Meridianen liegenden Streifen,
und vergleicht die numeriſchen Verhaͤltniſſe unter denſelben
Jſothermenbreiten, ſo findet man, daß verſchiedene Zuſam-
mengruppirungs-Syſteme da ſind. Schon bey dem, was
wir jetzt wiſſen, koͤnnen wir 4 Pflanzenſyſteme unterſchei-
den, das des neuen Continents, das von Weſt-Africa,
von Jndien und das von Neuholland. So wie ungeachtet
des regelmaͤßigen Steigens der Waͤrme vom Pole zum
Aequator doch das maximum der Waͤrme nicht identiſch
iſt in den verſchiedenen Regionen nach verſchiedenen Laͤnge-
Graden, ſo gibt es auch Oerter, wo gewiſſe Familien ſich
mehr entwickeln, wie an allen anderen Orten. So iſt es
bey der Familie der Compoſiten in der gemaͤßigten Region
von Nordamerica. Dieſe theilweiſen Zuſammenhaͤufungen
beſtimmen die Phyſiognomie der Vegetation; ſie ſind das,
was man im Allgemeinen characteriſtiſche Zuͤge einer
Landſchaft nennt.
Aus meinen Unterſuchungen geht hervor, daß in der
ganzen gemaͤßigten Zone die Glumaceen und die Compoſiten
zuſammen mehr als ¼ der Phanerogamen ausmachen, und
daß die Formen der organiſirten Weſen wechſelſeitig von
einander abhaͤngen. Jn der Natur herrſcht eine ſolche Ein-
heit, daß die Formen nach feſtſtehenden, unwandelbaren
Geſetzen ſich unter einander begraͤnzen. Wenn von irgend
einem Punct des Erdballs die Zahl der Gattungen einer
großen Familie bekannt iſt (z. B. von den Glumaceen, den
Compoſiten oder den Leguminoſen), ſo laͤßt ſich ſowohl die
Totalzahl der Phanerogamen als auch die Gattungszahl der
anderen Pflanzenfamilien mit vieler Wahrſcheinlichkeit be-
rechnen. Auf die Art kann man, wenn unter der gemaͤ-
ßigten Zone die Zahl der Cyperaceen oder der Compoſiten
bekannt iſt, die der Gramineen oder der Leguminoſen erra-
then. Dieſe Berechnungen zeigen auch in Anſehung welcher
Pflanzenzunft die Floren eines Landes noch unvollkommen
ſind, und ſie werden um ſo ſicherer, jemehr man die Ver-
wechſelung der zu verſchiedenen Pflanzenſyſtemen gehoͤri-
gen Quotienten vermeidet.
Die Pflanzengeographie kann als ein Theil der Phy-
ſik des Erdballs betrachtet werden. Waͤren auch die Ge-
ſetze, nach welchen die Natur die Pflanzenformen vertheilt
hat, noch verwickelter, als ſie beym erſten Anblick es ſchei-
nen, ſo muͤßten ſie doch nichts deſto weniger genauen
Forſchungen unterworfen werden. So oft man Einbuch-
tungen der Fluͤſſe oder Unregelmaͤßigkeiten der Kuͤſten be-
merkte, wurden die Charten benutzt. Die Geſetze des
Magnetismus haben ſich dem Menſchen geoffenbart gleich
als man anfieng Linien gleicher Abweichung und gleicher
Neigung zu zeichnen, und eine große Menge Beobachtun-
gen, die anfangs widerſprechend ſchienen, verglich. Man
wuͤrde vergeſſen, auf welchem Wege die phyſicaliſchen Wiſ-
ſenſchaften ſich ſtufenweiſe bis zu ſicheren Reſultaten erho-
ben haben, wenn man glauben wollte, es ſey noch nicht
Zeit die numeriſchen Elemente der Pflanzen-Geographie zu
ſuchen. Bey dem Studium eines verwickelten Phaͤnomens,
faͤngt man immer mit einer allgemeinem Ueberſicht der Be-
dingungen an, welche dieſes Phaͤnomen beſtimmen oder
modificiren. Hat man eine gewiſſe Anzahl Verhaͤltniſſe ent-
deckt, ſo ſieht man, daß die erſten Reſultate, bey denen
man ſtehen blieb, nicht genug von Orts-Einfluͤſſen frey
ſind. Nun verbeſſert man die numeriſchen Elemente,
und bemerkt nun Regelmaͤßigkeit ſelbſt in den Wirkungen
der partiellen Stoͤrungen. Die Critik erſtreckt ſich auf al-
les, was vorlaͤufig als ein allgemeines Reſultat angegeben
worden, und der Geiſt der Critik, wenn er einmal ge-
weckt iſt, beguͤnſtiget die Forſchung nach Wahrheit und be-
ſchleuniget die Fortſchritte der phyſical. Wiſſenſchaften.
Anmerkungen.
1. Bey Vergleichung der beyden Zuſammengrup-
pirungs-Syſteme in den beyden Welten, findet man
gewoͤhnlich in der neuen Welt unter der Aequatorialzone
weniger Cyperaceen und Rubiaceen und mehr Compoſiten;
unter der gemaͤßigten Zone, weniger Juncaceen, Labiaten,
Umbelliferen und Cruciferen und mehr Compoſiten, Eri-
cineen und Amentaceen als in den entſprechenden Zonen der
alten Welt. Die Familien der Glumaceen, Ericineen und
Amentaceen werden vom Aequator nach dem Pole hin ſtaͤr-
ker (nach der Bruch-Methode), und vom Pole zum Ae-
quator hin werden die Familien der Leguminoſen, Rubia-
ceen, Euphorbiaceen und die Malvaceen ſchwaͤcher; das
Maximum unter der gemaͤßigten Zone ſcheinen zu erreichen
die Compoſiten, die Labiaten, die Umbelliferen und die
Cruciferen.
2. Obgleich ich die Hauptreſultate meiner Arbeit in
einer Tabelle zuſammengeſtellt habe, ſo muͤſſen die Phy-
ſiker doch jedesmal wenn die partiellen Zahlen ihnen zwei-
felhaft ſcheinen zu den Erklaͤrungen uͤber die verſchiedenen
Familien ihre Zuflucht nehmen. Die Quotienten der Wen-
dezirkel ſind ſo modificirt, daß ſie auf die Regionen ſich be-
ziehen, welche eine mittlere Temperatur von 28° bis 20°
haben (von 0 bis 750 Toiſen Hoͤhe). Die Quotienten
der gemaͤßigten Zone ſind dem centralen Theile dieſer Zone
angefuͤgt zwiſchen 13° und 10° mittlerer Temperatur. Jn
der Eiszone iſt die mittlere Temperatur 0° oder 1°. Die-
ſer Tabelle der Quotienten oder der Bruͤche koͤnnte noch ei-
ne andere Tabelle angehaͤngt werden, in welcher die abſolu-
ten Zahlen der Gattungen unter einander verglichen
wuͤrden. Jch gebe hier eine Probe davon, ſie umfaßt nur
die temperirte und die Eiszone.
Jſis. 1821. Heft XI. 66
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