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Humboldt, Alexander von: Ueber zwei Versuche den Chimborazo zu besteigen. In: Jahrbuch für 1837. Herausgegeben von H. C. Schumacher. Stuttgart und Tübingen, 1837, S. 176-206.

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Besteigung des Chimborazo.
Silla, indem sie sich gegen Nordosten richteten, wo
sie wahrscheinlich das Meer erreichten. Einige fielen
früher nieder auf den südlichen Abhang der Silla; es
waren von der Sonne erleuchtete Grashalme. Bous-
singault
schickte mir solche, die noch Aehren hatten,
in einem Briefe nach Paris, wo mein Freund und
Mitarbeiter Kunth sie augenblicklich für die Wilfa
tenacissema erkannte, welche im Thal von Caracas
wächst und die er eben in unserem Werke Nova
Genera et Species plantarum Americae aequinoctialis

beschrieben hatte. Ich muss noch bemerken, dass
wir keinem Condor auf dem Chimborazo begegneten,
diesem kräftigen Geyer, der auf Antisana und Pichincha
so häufig ist und mit dem Menschen unbekannt, grosse
Dreistigkeit zeigt. Der Condor liebt heitere Luft,
um seinen Raub oder seine Nahrung (denn er giebt
todten Thieren den Vorzug) aus der Höhe leichter
zu erkennen.

Da das Wetter immer trüber und trüber wurde,
so eilten wir auf demselben Felsgrathe herab, der unser
Aufsteigen begünstigt hatte. Vorsicht war indess
wegen Unsicherheit des Trittes noch mehr nöthig als
im Heraufklimmen. Wir hielten uns nur so lange
auf, als wir brauchten Fragmente der Gebirgsart zu
sammeln. Wir sahen voraus, dass man uns in Europa
oft um "ein kleines Stück vom Chimborazo" anspre-
chen würde. Damals war noch keine Gebirgsart in
irgend einem Theile von Südamerika benannt worden;
man nannte Granit das Gestein aller hohen Gipfel
der Andes. Als wir ungefähr in 17400 Fuss Höhe
waren, fing es an heftig zu hageln. Es waren un-
durchsichtige milchweisse Hagelkörner mit concen-
trischen Lagen. Einige schienen durch Rotation

Besteigung des Chimborazo.
Silla, indem sie sich gegen Nordosten richteten, wo
sie wahrscheinlich das Meer erreichten. Einige fielen
früher nieder auf den südlichen Abhang der Silla; es
waren von der Sonne erleuchtete Grashalme. Bous-
singault
schickte mir solche, die noch Aehren hatten,
in einem Briefe nach Paris, wo mein Freund und
Mitarbeiter Kunth sie augenblicklich für die Wilfa
tenacissema erkannte, welche im Thal von Caracas
wächst und die er eben in unserem Werke Nova
Genera et Species plantarum Americæ æquinoctialis

beschrieben hatte. Ich muss noch bemerken, dass
wir keinem Condor auf dem Chimborazo begegneten,
diesem kräftigen Geyer, der auf Antisana und Pichincha
so häufig ist und mit dem Menschen unbekannt, grosse
Dreistigkeit zeigt. Der Condor liebt heitere Luft,
um seinen Raub oder seine Nahrung (denn er giebt
todten Thieren den Vorzug) aus der Höhe leichter
zu erkennen.

Da das Wetter immer trüber und trüber wurde,
so eilten wir auf demselben Felsgrathe herab, der unser
Aufsteigen begünstigt hatte. Vorsicht war indess
wegen Unsicherheit des Trittes noch mehr nöthig als
im Heraufklimmen. Wir hielten uns nur so lange
auf, als wir brauchten Fragmente der Gebirgsart zu
sammeln. Wir sahen voraus, dass man uns in Europa
oft um „ein kleines Stück vom Chimborazo“ anspre-
chen würde. Damals war noch keine Gebirgsart in
irgend einem Theile von Südamerika benannt worden;
man nannte Granit das Gestein aller hohen Gipfel
der Andes. Als wir ungefähr in 17400 Fuss Höhe
waren, fing es an heftig zu hageln. Es waren un-
durchsichtige milchweisse Hagelkörner mit concen-
trischen Lagen. Einige schienen durch Rotation

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[197/0024] Besteigung des Chimborazo. Silla, indem sie sich gegen Nordosten richteten, wo sie wahrscheinlich das Meer erreichten. Einige fielen früher nieder auf den südlichen Abhang der Silla; es waren von der Sonne erleuchtete Grashalme. Bous- singault schickte mir solche, die noch Aehren hatten, in einem Briefe nach Paris, wo mein Freund und Mitarbeiter Kunth sie augenblicklich für die Wilfa tenacissema erkannte, welche im Thal von Caracas wächst und die er eben in unserem Werke Nova Genera et Species plantarum Americæ æquinoctialis beschrieben hatte. Ich muss noch bemerken, dass wir keinem Condor auf dem Chimborazo begegneten, diesem kräftigen Geyer, der auf Antisana und Pichincha so häufig ist und mit dem Menschen unbekannt, grosse Dreistigkeit zeigt. Der Condor liebt heitere Luft, um seinen Raub oder seine Nahrung (denn er giebt todten Thieren den Vorzug) aus der Höhe leichter zu erkennen. Da das Wetter immer trüber und trüber wurde, so eilten wir auf demselben Felsgrathe herab, der unser Aufsteigen begünstigt hatte. Vorsicht war indess wegen Unsicherheit des Trittes noch mehr nöthig als im Heraufklimmen. Wir hielten uns nur so lange auf, als wir brauchten Fragmente der Gebirgsart zu sammeln. Wir sahen voraus, dass man uns in Europa oft um „ein kleines Stück vom Chimborazo“ anspre- chen würde. Damals war noch keine Gebirgsart in irgend einem Theile von Südamerika benannt worden; man nannte Granit das Gestein aller hohen Gipfel der Andes. Als wir ungefähr in 17400 Fuss Höhe waren, fing es an heftig zu hageln. Es waren un- durchsichtige milchweisse Hagelkörner mit concen- trischen Lagen. Einige schienen durch Rotation

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Ueber zwei Versuche den Chimborazo zu besteigen. In: Jahrbuch für 1837. Herausgegeben von H. C. Schumacher. Stuttgart und Tübingen, 1837, S. 176-206, hier S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_versuche_1837/24>, abgerufen am 21.11.2024.