Humboldt, Alexander von: Ueber zwei Versuche den Chimborazo zu besteigen. In: Jahrbuch für 1837. Herausgegeben von H. C. Schumacher. Stuttgart und Tübingen, 1837, S. 176-206.Besteigung des Chimborazo. Wir blieben kurze Zeit in dieser traurigen Ein- Besteigung des Chimborazo. Wir blieben kurze Zeit in dieser traurigen Ein- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0023" n="196"/> <fw place="top" type="header"><hi rendition="#i">Besteigung des Chimborazo</hi>.</fw><lb/> <p>Wir blieben kurze Zeit in dieser traurigen Ein-<lb/> öde, bald wieder ganz in Nebel gehüllt. Die feuchte<lb/> Luft war dabei unbewegt. Keine bestimmte Richtung<lb/> war in den einzeln Gruppen dichterer Dunstbläschen<lb/> zu bemerken, daher ich nicht sagen kann, ob auf<lb/> dieser Höhe der dem tropischen Passat entgegen-<lb/> gesetzte Westwind wehet. Wir sahen nicht mehr den<lb/> Gipfel des Chimborazo, keinen der benachbarten Schnee-<lb/> berge, noch weniger die Hochebene von Quito. Wir<lb/> waren wie in einem Luftball isolirt. Nur einige<lb/> Steinflechten waren uns bis über die Grenze des<lb/> ewigen Schnees gefolgt. Die letzten cryptogamischen<lb/> Pflänzchen, die ich sammelte, waren Lecidea atrovi-<lb/> rens (Lichen geographicus, <hi rendition="#i">Web</hi>.) und eine Gyrophora<lb/> des <hi rendition="#i">Acharius</hi>, eine neue Species (Gyrophora rugosa)<lb/> ohngefähr in 2820 Toisen Höhe. Das letzte Moos,<lb/> Grimmia longirostris, grünte 400 Toisen tiefer. Ein<lb/> Schmetterling (Sphinx) war von Herrn <hi rendition="#i">Bonpland</hi> in<lb/> 15000 Fuss Höhe gefangen worden, eine Fliege sahen<lb/> wir noch um 1600 Fuss höher. Den auffallendsten<lb/> Beweis, dass diese Thiere unwillkührlich vom Luft-<lb/> strome, der sich über den erwärmten Ebenen erhebt,<lb/> in diese obere Region der Atmosphäre gebracht wer-<lb/> den, giebt folgende Thatsache. Als <hi rendition="#i">Boussingault</hi> die<lb/> Silla de Caracas bestieg, um meine Messung des<lb/> Berges zu wiederholen, sah er in 8000 Fuss Höhe<lb/> um Mittag, als dort <hi rendition="#i">Westwind</hi> wehte, von Zeit zu<lb/> Zeit weissliche Körper die Luft durchstreichen, die<lb/> er anfangs für aufsteigende Vögel mit weissem, das<lb/> Sonnenlicht reflectirendem Gefieder hielt. Diese<lb/> Körper erhoben sich aus dem Thale von Caracas mit<lb/> grosser Schnelligkeit und überstiegen die Gipfel der<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [196/0023]
Besteigung des Chimborazo.
Wir blieben kurze Zeit in dieser traurigen Ein-
öde, bald wieder ganz in Nebel gehüllt. Die feuchte
Luft war dabei unbewegt. Keine bestimmte Richtung
war in den einzeln Gruppen dichterer Dunstbläschen
zu bemerken, daher ich nicht sagen kann, ob auf
dieser Höhe der dem tropischen Passat entgegen-
gesetzte Westwind wehet. Wir sahen nicht mehr den
Gipfel des Chimborazo, keinen der benachbarten Schnee-
berge, noch weniger die Hochebene von Quito. Wir
waren wie in einem Luftball isolirt. Nur einige
Steinflechten waren uns bis über die Grenze des
ewigen Schnees gefolgt. Die letzten cryptogamischen
Pflänzchen, die ich sammelte, waren Lecidea atrovi-
rens (Lichen geographicus, Web.) und eine Gyrophora
des Acharius, eine neue Species (Gyrophora rugosa)
ohngefähr in 2820 Toisen Höhe. Das letzte Moos,
Grimmia longirostris, grünte 400 Toisen tiefer. Ein
Schmetterling (Sphinx) war von Herrn Bonpland in
15000 Fuss Höhe gefangen worden, eine Fliege sahen
wir noch um 1600 Fuss höher. Den auffallendsten
Beweis, dass diese Thiere unwillkührlich vom Luft-
strome, der sich über den erwärmten Ebenen erhebt,
in diese obere Region der Atmosphäre gebracht wer-
den, giebt folgende Thatsache. Als Boussingault die
Silla de Caracas bestieg, um meine Messung des
Berges zu wiederholen, sah er in 8000 Fuss Höhe
um Mittag, als dort Westwind wehte, von Zeit zu
Zeit weissliche Körper die Luft durchstreichen, die
er anfangs für aufsteigende Vögel mit weissem, das
Sonnenlicht reflectirendem Gefieder hielt. Diese
Körper erhoben sich aus dem Thale von Caracas mit
grosser Schnelligkeit und überstiegen die Gipfel der
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