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Humboldt, Alexander von: Vorwort von Alexander v. Humboldt. In: Humboldt, Wilhelm von: Sonette. Berlin, 1853, S. [III]-XVI.

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faltet zu werden brauchen, damit die Ueberzeugung des
Verstandes und die hinzutretende Erkenntniß das bloße
Gefühl vor Unbestimmtheit und Unrichtigkeit bewahre.

"Die Religion ist also nicht nur das kräftigste Be-
förderungsmittel der Sittlichkeit, sondern Religion und
Sittlichkeit, religiöse und moralische Bildung sind eigent-
lich Eins und Ebendasselbe. Ein wahrhaft religiöser
Mensch ist schon eben dadurch auch ein sittlicher; und
es wäre eine gewissermaßen unnütze Frage, ob ein sitt-
licher Mensch auch nothwendig ein religiöser seyn muß?
da die wahre Sittlichkeit in ihren höchsten Principien
eine solche Anerkennung von dem Verhältniß des Men-
schen zu dem, was über die Endlichkeit hinaus liegt,
voraussetzt, daß sie selbst nothwendig Religion ist.



"Die Poesie steht zur Bildung des Menschen in
einer zwiefachen Beziehung:

1) in einer der Form: indem sie Wahrheit und
Lehre durch Einkleidung und rhythmischen Ausdruck der
Einbildungskraft näher zu bringen sucht;

2) in einer des Jnhalts: indem sie, überall das
Erhabenste, Reinste und Schönste aufsuchend, im Men-
schen immer das Höchste und Geistigste seiner Natur
anzueignen bemüht ist; und ihm beständig vor Augen
hält, daß er den vorübergehenden Genuß der dauern-
den inneren Genugthuung, das Jrdische dem Unendlichen

faltet zu werden brauchen, damit die Ueberzeugung des
Verſtandes und die hinzutretende Erkenntniß das bloße
Gefühl vor Unbeſtimmtheit und Unrichtigkeit bewahre.

„Die Religion iſt alſo nicht nur das kräftigſte Be-
förderungsmittel der Sittlichkeit, ſondern Religion und
Sittlichkeit, religiöſe und moraliſche Bildung ſind eigent-
lich Eins und Ebendaſſelbe. Ein wahrhaft religiöſer
Menſch iſt ſchon eben dadurch auch ein ſittlicher; und
es wäre eine gewiſſermaßen unnütze Frage, ob ein ſitt-
licher Menſch auch nothwendig ein religiöſer ſeyn muß?
da die wahre Sittlichkeit in ihren höchſten Principien
eine ſolche Anerkennung von dem Verhältniß des Men-
ſchen zu dem, was über die Endlichkeit hinaus liegt,
vorausſetzt, daß ſie ſelbſt nothwendig Religion iſt.



„Die Poeſie ſteht zur Bildung des Menſchen in
einer zwiefachen Beziehung:

1) in einer der Form: indem ſie Wahrheit und
Lehre durch Einkleidung und rhythmiſchen Ausdruck der
Einbildungskraft näher zu bringen ſucht;

2) in einer des Jnhalts: indem ſie, überall das
Erhabenſte, Reinſte und Schönſte aufſuchend, im Men-
ſchen immer das Höchſte und Geiſtigſte ſeiner Natur
anzueignen bemüht iſt; und ihm beſtändig vor Augen
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[XI/0012] faltet zu werden brauchen, damit die Ueberzeugung des Verſtandes und die hinzutretende Erkenntniß das bloße Gefühl vor Unbeſtimmtheit und Unrichtigkeit bewahre. „Die Religion iſt alſo nicht nur das kräftigſte Be- förderungsmittel der Sittlichkeit, ſondern Religion und Sittlichkeit, religiöſe und moraliſche Bildung ſind eigent- lich Eins und Ebendaſſelbe. Ein wahrhaft religiöſer Menſch iſt ſchon eben dadurch auch ein ſittlicher; und es wäre eine gewiſſermaßen unnütze Frage, ob ein ſitt- licher Menſch auch nothwendig ein religiöſer ſeyn muß? da die wahre Sittlichkeit in ihren höchſten Principien eine ſolche Anerkennung von dem Verhältniß des Men- ſchen zu dem, was über die Endlichkeit hinaus liegt, vorausſetzt, daß ſie ſelbſt nothwendig Religion iſt. „Die Poeſie ſteht zur Bildung des Menſchen in einer zwiefachen Beziehung: 1) in einer der Form: indem ſie Wahrheit und Lehre durch Einkleidung und rhythmiſchen Ausdruck der Einbildungskraft näher zu bringen ſucht; 2) in einer des Jnhalts: indem ſie, überall das Erhabenſte, Reinſte und Schönſte aufſuchend, im Men- ſchen immer das Höchſte und Geiſtigſte ſeiner Natur anzueignen bemüht iſt; und ihm beſtändig vor Augen hält, daß er den vorübergehenden Genuß der dauern- den inneren Genugthuung, das Jrdiſche dem Unendlichen

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Vorwort von Alexander v. Humboldt. In: Humboldt, Wilhelm von: Sonette. Berlin, 1853, S. [III]-XVI, S. XI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_vorwort_1853/12>, abgerufen am 21.11.2024.