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Humboldt, Alexander von: Auszug eines Schreibens des Herrn Alexander v. Humboldt aus Cumaná in Südamerika vom 17ten Oktobr. 1800, an seinen Bruder, Herrn Wilhelm von Humboldt in Paris. In: Neue allgemeine deutsche Bibliothek, Bd. 58 (1801), S. 60-64.

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Jntelligenzblatt.
ten ließ. Wahrscheinlich war dieß die üble Wirkung der Nah-
rung, an die wir seit langer Zeit nicht gewohnt waren. Da
ich sahe, daß er in der Stadt nicht wieder gesund werden woll-
te, brachte ich ihn auf das Landhaus meines Freundes, des
D. Felix Farreras, 4 Meilen von dem Orinoko, in ein etwas
höher liegendes und ziemlich frisches Thal. Jn diesem tropi-
schen Klima giebt es kein geschwinderes Genesungsmittel als
die Veränderung der Luft; und so ward auch in wenig Ta-
gen die Gesundheit meines Freundes wieder hergestellt. Jch
kann dir meine Unruhe nicht beschreiben, in der ich während
seiner Krankheit war; niemals würde ich einen so treuen,
thätigen und muthigen Freund wieder gefunden haben. Auf
unserer Reise, wo wir unter den Jndianern sowohl, als in
den mit Krokodillen, Schlangen und Tigern angefüllten Wü-
sten, mit Gefahren umringt waren, hat er erstaunliche Pro-
ben von Muth und Resignation gezeigt. Nie werde ich seine
großmüthige Anhänglichkeit an mich vergessen, wovon er mir
bey einem Sturme, der uns am 6ten April 1800. mitten auf
dem Orinoko überfiel, die größten Beweise gab. Unsere Pi-
rogue war schon zwey Drittel mit Wasser angefüllt; und die
Jndianer, die bey uns waren, fiengen schon an, sich in das Was-
ser zu werfen, um das Ufer durch Schwimmen zu erreichen.
Mein großmüthiger Freund bat mich, ihrem Beyspiele zu fol-
gen, und erbot sich, mich eben so zu retten.

Das Schicksal wollte nicht, daß wir in dieser Wüste um-
kommen sollten, wo 10 Meilen in Umkreise, kein Mensch we-
der unsern Untergang, noch die geringste Spur davon würde
entdeckt haben. Unsere Lage war in Wahrheit schrecklich;
das Ufer war über eine halbe Meile von uns entfernt, und
eine Menge Krokodille ließen sich mit halbem Körper über
dem Wasser sehen.*) Selbst wenn wir der Wuth der Wel-
len und der Gefräßigkeit der Krokodile entgangen, und an das
Land gekommen wären, würden wir daselbst vom Hunger
oder von Tigern verzehrt worden seyn; denn die Wälder sind
an diesen Ufern so dick, so mit Lianen durchschlungen, daß es
schlechterdings unmöglich ist, darin fortzukommen. Der robu-

steste
*) Da die Jndianer wagten ans Land zu schwimmen, war es
viel Glück, daß sie den Krokodillen oder Alligatorn entgien-
gen.     Note des Uebersetzers.

Jntelligenzblatt.
ten ließ. Wahrſcheinlich war dieß die üble Wirkung der Nah-
rung, an die wir ſeit langer Zeit nicht gewohnt waren. Da
ich ſahe, daß er in der Stadt nicht wieder geſund werden woll-
te, brachte ich ihn auf das Landhaus meines Freundes, des
D. Felix Farreras, 4 Meilen von dem Orinoko, in ein etwas
höher liegendes und ziemlich friſches Thal. Jn dieſem tropi-
ſchen Klima giebt es kein geſchwinderes Geneſungsmittel als
die Veränderung der Luft; und ſo ward auch in wenig Ta-
gen die Geſundheit meines Freundes wieder hergeſtellt. Jch
kann dir meine Unruhe nicht beſchreiben, in der ich während
ſeiner Krankheit war; niemals würde ich einen ſo treuen,
thätigen und muthigen Freund wieder gefunden haben. Auf
unſerer Reiſe, wo wir unter den Jndianern ſowohl, als in
den mit Krokodillen, Schlangen und Tigern angefüllten Wü-
ſten, mit Gefahren umringt waren, hat er erſtaunliche Pro-
ben von Muth und Reſignation gezeigt. Nie werde ich ſeine
großmüthige Anhänglichkeit an mich vergeſſen, wovon er mir
bey einem Sturme, der uns am 6ten April 1800. mitten auf
dem Orinoko überfiel, die größten Beweiſe gab. Unſere Pi-
rogue war ſchon zwey Drittel mit Waſſer angefüllt; und die
Jndianer, die bey uns waren, fiengen ſchon an, ſich in das Waſ-
ſer zu werfen, um das Ufer durch Schwimmen zu erreichen.
Mein großmüthiger Freund bat mich, ihrem Beyſpiele zu fol-
gen, und erbot ſich, mich eben ſo zu retten.

Das Schickſal wollte nicht, daß wir in dieſer Wüſte um-
kommen ſollten, wo 10 Meilen in Umkreiſe, kein Menſch we-
der unſern Untergang, noch die geringſte Spur davon würde
entdeckt haben. Unſere Lage war in Wahrheit ſchrecklich;
das Ufer war über eine halbe Meile von uns entfernt, und
eine Menge Krokodille ließen ſich mit halbem Körper über
dem Waſſer ſehen.*) Selbſt wenn wir der Wuth der Wel-
len und der Gefräßigkeit der Krokodile entgangen, und an das
Land gekommen wären, würden wir daſelbſt vom Hunger
oder von Tigern verzehrt worden ſeyn; denn die Wälder ſind
an dieſen Ufern ſo dick, ſo mit Lianen durchſchlungen, daß es
ſchlechterdings unmöglich iſt, darin fortzukommen. Der robu-

ſteſte
*) Da die Jndianer wagten ans Land zu ſchwimmen, war es
viel Glück, daß ſie den Krokodillen oder Alligatorn entgien-
gen.     Note des Ueberſetzers.
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[63/0005] Jntelligenzblatt. ten ließ. Wahrſcheinlich war dieß die üble Wirkung der Nah- rung, an die wir ſeit langer Zeit nicht gewohnt waren. Da ich ſahe, daß er in der Stadt nicht wieder geſund werden woll- te, brachte ich ihn auf das Landhaus meines Freundes, des D. Felix Farreras, 4 Meilen von dem Orinoko, in ein etwas höher liegendes und ziemlich friſches Thal. Jn dieſem tropi- ſchen Klima giebt es kein geſchwinderes Geneſungsmittel als die Veränderung der Luft; und ſo ward auch in wenig Ta- gen die Geſundheit meines Freundes wieder hergeſtellt. Jch kann dir meine Unruhe nicht beſchreiben, in der ich während ſeiner Krankheit war; niemals würde ich einen ſo treuen, thätigen und muthigen Freund wieder gefunden haben. Auf unſerer Reiſe, wo wir unter den Jndianern ſowohl, als in den mit Krokodillen, Schlangen und Tigern angefüllten Wü- ſten, mit Gefahren umringt waren, hat er erſtaunliche Pro- ben von Muth und Reſignation gezeigt. Nie werde ich ſeine großmüthige Anhänglichkeit an mich vergeſſen, wovon er mir bey einem Sturme, der uns am 6ten April 1800. mitten auf dem Orinoko überfiel, die größten Beweiſe gab. Unſere Pi- rogue war ſchon zwey Drittel mit Waſſer angefüllt; und die Jndianer, die bey uns waren, fiengen ſchon an, ſich in das Waſ- ſer zu werfen, um das Ufer durch Schwimmen zu erreichen. Mein großmüthiger Freund bat mich, ihrem Beyſpiele zu fol- gen, und erbot ſich, mich eben ſo zu retten. Das Schickſal wollte nicht, daß wir in dieſer Wüſte um- kommen ſollten, wo 10 Meilen in Umkreiſe, kein Menſch we- der unſern Untergang, noch die geringſte Spur davon würde entdeckt haben. Unſere Lage war in Wahrheit ſchrecklich; das Ufer war über eine halbe Meile von uns entfernt, und eine Menge Krokodille ließen ſich mit halbem Körper über dem Waſſer ſehen. *) Selbſt wenn wir der Wuth der Wel- len und der Gefräßigkeit der Krokodile entgangen, und an das Land gekommen wären, würden wir daſelbſt vom Hunger oder von Tigern verzehrt worden ſeyn; denn die Wälder ſind an dieſen Ufern ſo dick, ſo mit Lianen durchſchlungen, daß es ſchlechterdings unmöglich iſt, darin fortzukommen. Der robu- ſteſte *) Da die Jndianer wagten ans Land zu ſchwimmen, war es viel Glück, daß ſie den Krokodillen oder Alligatorn entgien- gen. Note des Ueberſetzers.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Auszug eines Schreibens des Herrn Alexander v. Humboldt aus Cumaná in Südamerika vom 17ten Oktobr. 1800, an seinen Bruder, Herrn Wilhelm von Humboldt in Paris. In: Neue allgemeine deutsche Bibliothek, Bd. 58 (1801), S. 60-64, hier S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_wilhelm_1801/5>, abgerufen am 03.12.2024.