ken! Wie weit bleibt der Grübler hinter dem Den- ker zurück! Jener dreht sich possierlich, wie ein Krei- sel, um einen einzigen unbedeutenden Punkt, bis er endlich ermattet darniedersinkt; dieser geht mit fe- stem, ernsten Schritte von einem bestimmten Stand- punkte aus zu einem vorgesteckten Ziel, zeigt uns unterweges jeden Baum und jedes Blümchen, das wir berühren, räumt jeden Stein hinweg, den er zu heben vermag, oder umgeht ihn mit uns auf selbst gebahntem Pfade, um sein Ziel zu erreichen.
Mehr als alle andere Orientaler werden die grübelnden Juden von einem leidenschaftlichen Han- ge zum Wunderbaren und Geheimnißvollen beherrscht. Um so weniger darf es befremden, daß weder die Natur und die Aussprüche des Herzens als Er- kenntnißquellen, noch die Vernunft als Erkennt- nißmittel bei ihnen etwas gelten. Den Erzählungen und Lehren ihrer heiligen Schriften, insofern sie nichts Uebernatürliches, sondern blos einfachen ge- sunden Menschenverstand enthalten, muß noch ein geheimnißvoller, übernatürlicher Sinn untergelegt werden, um ihnen das Ansehen göttlicher Mitthei- lungen zu geben. Ja, das Unglaubliche selbst muß bis zum Unglaublichsten gesteigert wer- den, wenn es einem Juden glaubwürdig schei- nen soll, und hiezu bedienen sie sich mehrerer Zweige der Kabbala.
Mit dem Worte Kabbala verbindet man verschiedene Begriffe. Ursprünglich bedeutet es so
ken! Wie weit bleibt der Gruͤbler hinter dem Den- ker zuruͤck! Jener dreht ſich poſſierlich, wie ein Krei- ſel, um einen einzigen unbedeutenden Punkt, bis er endlich ermattet darniederſinkt; dieſer geht mit fe- ſtem, ernſten Schritte von einem beſtimmten Stand- punkte aus zu einem vorgeſteckten Ziel, zeigt uns unterweges jeden Baum und jedes Bluͤmchen, das wir beruͤhren, raͤumt jeden Stein hinweg, den er zu heben vermag, oder umgeht ihn mit uns auf ſelbſt gebahntem Pfade, um ſein Ziel zu erreichen.
Mehr als alle andere Orientaler werden die gruͤbelnden Juden von einem leidenſchaftlichen Han- ge zum Wunderbaren und Geheimnißvollen beherrſcht. Um ſo weniger darf es befremden, daß weder die Natur und die Ausſpruͤche des Herzens als Er- kenntnißquellen, noch die Vernunft als Erkennt- nißmittel bei ihnen etwas gelten. Den Erzaͤhlungen und Lehren ihrer heiligen Schriften, inſofern ſie nichts Uebernatuͤrliches, ſondern blos einfachen ge- ſunden Menſchenverſtand enthalten, muß noch ein geheimnißvoller, uͤbernatuͤrlicher Sinn untergelegt werden, um ihnen das Anſehen goͤttlicher Mitthei- lungen zu geben. Ja, das Unglaubliche ſelbſt muß bis zum Unglaublichſten geſteigert wer- den, wenn es einem Juden glaubwuͤrdig ſchei- nen ſoll, und hiezu bedienen ſie ſich mehrerer Zweige der Kabbala.
Mit dem Worte Kabbala verbindet man verſchiedene Begriffe. Urſpruͤnglich bedeutet es ſo
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ken! Wie weit bleibt der Gruͤbler hinter dem Den-
ker zuruͤck! Jener dreht ſich poſſierlich, wie ein Krei-
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endlich ermattet darniederſinkt; dieſer geht mit fe-
ſtem, ernſten Schritte von einem beſtimmten Stand-
punkte aus zu einem vorgeſteckten Ziel, zeigt uns
unterweges jeden Baum und jedes Bluͤmchen, das
wir beruͤhren, raͤumt jeden Stein hinweg, den er
zu heben vermag, oder umgeht ihn mit uns auf
ſelbſt gebahntem Pfade, um ſein Ziel zu erreichen.
Mehr als alle andere Orientaler werden die
gruͤbelnden Juden von einem leidenſchaftlichen Han-
ge zum Wunderbaren und Geheimnißvollen beherrſcht.
Um ſo weniger darf es befremden, daß weder die
Natur und die Ausſpruͤche des Herzens als Er-
kenntnißquellen, noch die Vernunft als Erkennt-
nißmittel bei ihnen etwas gelten. Den Erzaͤhlungen
und Lehren ihrer heiligen Schriften, inſofern ſie
nichts Uebernatuͤrliches, ſondern blos einfachen ge-
ſunden Menſchenverſtand enthalten, muß noch ein
geheimnißvoller, uͤbernatuͤrlicher Sinn untergelegt
werden, um ihnen das Anſehen goͤttlicher Mitthei-
lungen zu geben. Ja, das Unglaubliche ſelbſt
muß bis zum Unglaublichſten geſteigert wer-
den, wenn es einem Juden glaubwuͤrdig ſchei-
nen ſoll, und hiezu bedienen ſie ſich mehrerer Zweige
der Kabbala.
Mit dem Worte Kabbala verbindet man
verſchiedene Begriffe. Urſpruͤnglich bedeutet es ſo
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Hundt-Radowsky, Hartwig: Die Judenschule, oder gründliche Anleitung, in kurzer Zeit ein vollkommener schwarzer oder weißer Jude zu werden. Bd. 1. Jerusalem [i. e. Aarau], 1822, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hundtradowsky_judenschule01_1822/106>, abgerufen am 21.11.2024.
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