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Hundt-Radowsky, Hartwig: Die Judenschule, oder gründliche Anleitung, in kurzer Zeit ein vollkommener schwarzer oder weißer Jude zu werden. Bd. 1. Jerusalem [i. e. Aarau], 1822.

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der Morgenländer, welche ihre Weiber mit tyran-
nischer Willkühr beherrschen. Ob Moses sie einführte
oder nicht, kann ich nicht beurtheilen; daß aber das
verfluchte Bitterwasser, selbst auf die Ge-
sundheit solcher Frauen, die sich durchaus unschul-
dig fühlten, eine sehr nachtheilige Wirkung haben
mußte, läßt sich begreifen. Man stelle sich in die
Lage eines fein empfindenden Weibes, welches sei-
ner Tugend sich bewußt, von einem tyrannischen
Wustling zu einer schimpflichen Keuschheitsprobe öf-
fentlich hingeschleppt wird; man denke sich hiezu
noch die bewegliche, lebhafte Phantasie der Mor-
genländerinnen, die sich auch eine nicht drohende
Gefahr, als wirklich und furchtbar drohend
vorstellte; sollten einem so unglücklichen Geschöpf
nicht unter jeder Bedingung, wenn gleich nicht der
Genuß des Wassers, doch die Angst, der Gram
und die Mißhandlungen sehr geschadet haben? Da
die Priester in beständigem Verkehr mit dem höch-
sten Wesen standen, so wundert es uns, daß man
nicht lieber, statt das Bitterwasser zu gebrauchen,
Gott selbst über die Keuschheit der in Verdacht ge-
rathenen Frauen befragte! Allein dem sey, wie
ihm wolle! Unsere lieben Weiberchen können sich
freuen, daß das Rezept zu dem Bitterwasser bei
der Zerstörung Jerusalems verloren gieng. Es war
ein verfluchtes Wasser!

Die Christen führten nach dem Beispiele dieses
jüdischen Gottesurtheils Ordalien anderer Art ein,
wie z. B. die Feuer- und Wasserproben. Ob sie
eben so zuverläßig, als kräftig waren, möge dahin
gestellt seyn. Emma, die Mutter Eduards des
Bekenners von England, ward einst des Ehebruchs
mit einem Bischofe beschuldigt, und da Englands
gekrönte Häupter bekanntlich in diesem Ehrenpunkt
etwas kitzlich sind, so mußte die gute Emma sich
entschließen, mit vollem Tritt über neun glühende

der Morgenlaͤnder, welche ihre Weiber mit tyran-
niſcher Willkuͤhr beherrſchen. Ob Moſes ſie einfuͤhrte
oder nicht, kann ich nicht beurtheilen; daß aber das
verfluchte Bitterwaſſer, ſelbſt auf die Ge-
ſundheit ſolcher Frauen, die ſich durchaus unſchul-
dig fuͤhlten, eine ſehr nachtheilige Wirkung haben
mußte, laͤßt ſich begreifen. Man ſtelle ſich in die
Lage eines fein empfindenden Weibes, welches ſei-
ner Tugend ſich bewußt, von einem tyranniſchen
Wuſtling zu einer ſchimpflichen Keuſchheitsprobe oͤf-
fentlich hingeſchleppt wird; man denke ſich hiezu
noch die bewegliche, lebhafte Phantaſie der Mor-
genlaͤnderinnen, die ſich auch eine nicht drohende
Gefahr, als wirklich und furchtbar drohend
vorſtellte; ſollten einem ſo ungluͤcklichen Geſchoͤpf
nicht unter jeder Bedingung, wenn gleich nicht der
Genuß des Waſſers, doch die Angſt, der Gram
und die Mißhandlungen ſehr geſchadet haben? Da
die Prieſter in beſtaͤndigem Verkehr mit dem hoͤch-
ſten Weſen ſtanden, ſo wundert es uns, daß man
nicht lieber, ſtatt das Bitterwaſſer zu gebrauchen,
Gott ſelbſt uͤber die Keuſchheit der in Verdacht ge-
rathenen Frauen befragte! Allein dem ſey, wie
ihm wolle! Unſere lieben Weiberchen koͤnnen ſich
freuen, daß das Rezept zu dem Bitterwaſſer bei
der Zerſtoͤrung Jeruſalems verloren gieng. Es war
ein verfluchtes Waſſer!

Die Chriſten fuͤhrten nach dem Beiſpiele dieſes
juͤdiſchen Gottesurtheils Ordalien anderer Art ein,
wie z. B. die Feuer- und Waſſerproben. Ob ſie
eben ſo zuverlaͤßig, als kraͤftig waren, moͤge dahin
geſtellt ſeyn. Emma, die Mutter Eduards des
Bekenners von England, ward einſt des Ehebruchs
mit einem Biſchofe beſchuldigt, und da Englands
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etwas kitzlich ſind, ſo mußte die gute Emma ſich
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[327/0361] der Morgenlaͤnder, welche ihre Weiber mit tyran- niſcher Willkuͤhr beherrſchen. Ob Moſes ſie einfuͤhrte oder nicht, kann ich nicht beurtheilen; daß aber das verfluchte Bitterwaſſer, ſelbſt auf die Ge- ſundheit ſolcher Frauen, die ſich durchaus unſchul- dig fuͤhlten, eine ſehr nachtheilige Wirkung haben mußte, laͤßt ſich begreifen. Man ſtelle ſich in die Lage eines fein empfindenden Weibes, welches ſei- ner Tugend ſich bewußt, von einem tyranniſchen Wuſtling zu einer ſchimpflichen Keuſchheitsprobe oͤf- fentlich hingeſchleppt wird; man denke ſich hiezu noch die bewegliche, lebhafte Phantaſie der Mor- genlaͤnderinnen, die ſich auch eine nicht drohende Gefahr, als wirklich und furchtbar drohend vorſtellte; ſollten einem ſo ungluͤcklichen Geſchoͤpf nicht unter jeder Bedingung, wenn gleich nicht der Genuß des Waſſers, doch die Angſt, der Gram und die Mißhandlungen ſehr geſchadet haben? Da die Prieſter in beſtaͤndigem Verkehr mit dem hoͤch- ſten Weſen ſtanden, ſo wundert es uns, daß man nicht lieber, ſtatt das Bitterwaſſer zu gebrauchen, Gott ſelbſt uͤber die Keuſchheit der in Verdacht ge- rathenen Frauen befragte! Allein dem ſey, wie ihm wolle! Unſere lieben Weiberchen koͤnnen ſich freuen, daß das Rezept zu dem Bitterwaſſer bei der Zerſtoͤrung Jeruſalems verloren gieng. Es war ein verfluchtes Waſſer! Die Chriſten fuͤhrten nach dem Beiſpiele dieſes juͤdiſchen Gottesurtheils Ordalien anderer Art ein, wie z. B. die Feuer- und Waſſerproben. Ob ſie eben ſo zuverlaͤßig, als kraͤftig waren, moͤge dahin geſtellt ſeyn. Emma, die Mutter Eduards des Bekenners von England, ward einſt des Ehebruchs mit einem Biſchofe beſchuldigt, und da Englands gekroͤnte Haͤupter bekanntlich in dieſem Ehrenpunkt etwas kitzlich ſind, ſo mußte die gute Emma ſich entſchließen, mit vollem Tritt uͤber neun gluͤhende

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Zitationshilfe: Hundt-Radowsky, Hartwig: Die Judenschule, oder gründliche Anleitung, in kurzer Zeit ein vollkommener schwarzer oder weißer Jude zu werden. Bd. 1. Jerusalem [i. e. Aarau], 1822, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hundtradowsky_judenschule01_1822/361>, abgerufen am 21.11.2024.