Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hundt-Radowsky, Hartwig: Die Judenschule, oder gründliche Anleitung, in kurzer Zeit ein vollkommener schwarzer oder weißer Jude zu werden. Bd. 2. Jerusalem [i. e. Aarau], 1822.

Bild:
<< vorherige Seite



der Lehrer als der Schüler versteht; im Rechnen,
worin der fünfjährige Zögling schon einen ziemli-
chen Grund gelegt hat, und endlich im Schreiben
des Hebräischdeutschen. Damit nun das Jüdchen
bei Zeiten alle Untugenden und Schelmereien seiner
frommen Vorfahren kennen lernen und künftig nach-
ahmen möge, so muß es, wenn es die nöthigen
Vorkenntnisse erlangt hat, die fünf Bücher Mosis
lesen und verdeutschen oder verundeutschen.
Dies geschieht ohne die mindeste Auswahl und ohne
Rücksicht auf den Jnhalt. Die Verbote und grel-
len Beschreibungen der schändlichsten Laster lernt
das Kind hier auswendig, und was es nicht ver-
steht, das wird ihm von dem, gewöhnlich Alles
praktisch kennenden Schulmeister erklärt und ver-
sinnlicht. Das alte Testament verdient alle mög-
liche Achtung; allein es ist durchaus kein Buch,
das sich ohne Ausnahme für die reifere Jugend,
geschweige denn für die noch zartere Kinderwelt
eignet. Wie manche Stelle findet man nicht, wo-
durch die Neugier rege gemacht, die Einbildungs-
kraft erhitzt, und Schamgefühl und Sittlichkeit der
Kinder erstickt werden müssen? Was vielleicht dem
Alter frommt, das ist der Jugend tödtliches Gift.
Welchen Eindruck muß es überdies auf das Gemüth
des jungen Kindes machen, wenn es liest, wie der
fromme Erzvater Jakob seinem hungrigen Bruder
für ein schlechtes Gericht Linsen die Rechte der Erst-



der Lehrer als der Schuͤler verſteht; im Rechnen,
worin der fuͤnfjaͤhrige Zoͤgling ſchon einen ziemli-
chen Grund gelegt hat, und endlich im Schreiben
des Hebraͤiſchdeutſchen. Damit nun das Juͤdchen
bei Zeiten alle Untugenden und Schelmereien ſeiner
frommen Vorfahren kennen lernen und kuͤnftig nach-
ahmen moͤge, ſo muß es, wenn es die noͤthigen
Vorkenntniſſe erlangt hat, die fuͤnf Buͤcher Moſis
leſen und verdeutſchen oder verundeutſchen.
Dies geſchieht ohne die mindeſte Auswahl und ohne
Ruͤckſicht auf den Jnhalt. Die Verbote und grel-
len Beſchreibungen der ſchaͤndlichſten Laſter lernt
das Kind hier auswendig, und was es nicht ver-
ſteht, das wird ihm von dem, gewoͤhnlich Alles
praktiſch kennenden Schulmeiſter erklaͤrt und ver-
ſinnlicht. Das alte Teſtament verdient alle moͤg-
liche Achtung; allein es iſt durchaus kein Buch,
das ſich ohne Ausnahme fuͤr die reifere Jugend,
geſchweige denn fuͤr die noch zartere Kinderwelt
eignet. Wie manche Stelle findet man nicht, wo-
durch die Neugier rege gemacht, die Einbildungs-
kraft erhitzt, und Schamgefuͤhl und Sittlichkeit der
Kinder erſtickt werden muͤſſen? Was vielleicht dem
Alter frommt, das iſt der Jugend toͤdtliches Gift.
Welchen Eindruck muß es uͤberdies auf das Gemuͤth
des jungen Kindes machen, wenn es liest, wie der
fromme Erzvater Jakob ſeinem hungrigen Bruder
fuͤr ein ſchlechtes Gericht Linſen die Rechte der Erſt-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0104" n="104"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
der Lehrer als der Schu&#x0364;ler ver&#x017F;teht; im Rechnen,<lb/>
worin der fu&#x0364;nfja&#x0364;hrige Zo&#x0364;gling &#x017F;chon einen ziemli-<lb/>
chen Grund gelegt hat, und endlich im Schreiben<lb/>
des Hebra&#x0364;i&#x017F;chdeut&#x017F;chen. Damit nun das Ju&#x0364;dchen<lb/>
bei Zeiten alle Untugenden und Schelmereien &#x017F;einer<lb/>
frommen Vorfahren kennen lernen und ku&#x0364;nftig nach-<lb/>
ahmen mo&#x0364;ge, &#x017F;o muß es, wenn es die no&#x0364;thigen<lb/>
Vorkenntni&#x017F;&#x017F;e erlangt hat, die fu&#x0364;nf Bu&#x0364;cher Mo&#x017F;is<lb/>
le&#x017F;en und <hi rendition="#g">verdeut&#x017F;chen</hi> oder <hi rendition="#g">verundeut&#x017F;chen</hi>.<lb/>
Dies ge&#x017F;chieht ohne die minde&#x017F;te Auswahl und ohne<lb/>
Ru&#x0364;ck&#x017F;icht auf den Jnhalt. Die Verbote und grel-<lb/>
len Be&#x017F;chreibungen der &#x017F;cha&#x0364;ndlich&#x017F;ten La&#x017F;ter lernt<lb/>
das Kind hier auswendig, und was es nicht ver-<lb/>
&#x017F;teht, das wird ihm von dem, gewo&#x0364;hnlich Alles<lb/>
prakti&#x017F;ch kennenden Schulmei&#x017F;ter erkla&#x0364;rt und ver-<lb/>
&#x017F;innlicht. Das alte Te&#x017F;tament verdient alle mo&#x0364;g-<lb/>
liche Achtung; allein es i&#x017F;t durchaus kein Buch,<lb/>
das &#x017F;ich ohne Ausnahme fu&#x0364;r die reifere Jugend,<lb/>
ge&#x017F;chweige denn fu&#x0364;r die noch zartere Kinderwelt<lb/>
eignet. Wie manche Stelle findet man nicht, wo-<lb/>
durch die Neugier rege gemacht, die Einbildungs-<lb/>
kraft erhitzt, und Schamgefu&#x0364;hl und Sittlichkeit der<lb/>
Kinder er&#x017F;tickt werden mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en? Was vielleicht dem<lb/>
Alter frommt, das i&#x017F;t der Jugend to&#x0364;dtliches Gift.<lb/>
Welchen Eindruck muß es u&#x0364;berdies auf das Gemu&#x0364;th<lb/>
des jungen Kindes machen, wenn es liest, wie der<lb/>
fromme Erzvater Jakob &#x017F;einem hungrigen Bruder<lb/>
fu&#x0364;r ein &#x017F;chlechtes Gericht Lin&#x017F;en die Rechte der Er&#x017F;t-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[104/0104] der Lehrer als der Schuͤler verſteht; im Rechnen, worin der fuͤnfjaͤhrige Zoͤgling ſchon einen ziemli- chen Grund gelegt hat, und endlich im Schreiben des Hebraͤiſchdeutſchen. Damit nun das Juͤdchen bei Zeiten alle Untugenden und Schelmereien ſeiner frommen Vorfahren kennen lernen und kuͤnftig nach- ahmen moͤge, ſo muß es, wenn es die noͤthigen Vorkenntniſſe erlangt hat, die fuͤnf Buͤcher Moſis leſen und verdeutſchen oder verundeutſchen. Dies geſchieht ohne die mindeſte Auswahl und ohne Ruͤckſicht auf den Jnhalt. Die Verbote und grel- len Beſchreibungen der ſchaͤndlichſten Laſter lernt das Kind hier auswendig, und was es nicht ver- ſteht, das wird ihm von dem, gewoͤhnlich Alles praktiſch kennenden Schulmeiſter erklaͤrt und ver- ſinnlicht. Das alte Teſtament verdient alle moͤg- liche Achtung; allein es iſt durchaus kein Buch, das ſich ohne Ausnahme fuͤr die reifere Jugend, geſchweige denn fuͤr die noch zartere Kinderwelt eignet. Wie manche Stelle findet man nicht, wo- durch die Neugier rege gemacht, die Einbildungs- kraft erhitzt, und Schamgefuͤhl und Sittlichkeit der Kinder erſtickt werden muͤſſen? Was vielleicht dem Alter frommt, das iſt der Jugend toͤdtliches Gift. Welchen Eindruck muß es uͤberdies auf das Gemuͤth des jungen Kindes machen, wenn es liest, wie der fromme Erzvater Jakob ſeinem hungrigen Bruder fuͤr ein ſchlechtes Gericht Linſen die Rechte der Erſt-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hundtradowsky_judenschule02_1822
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hundtradowsky_judenschule02_1822/104
Zitationshilfe: Hundt-Radowsky, Hartwig: Die Judenschule, oder gründliche Anleitung, in kurzer Zeit ein vollkommener schwarzer oder weißer Jude zu werden. Bd. 2. Jerusalem [i. e. Aarau], 1822, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hundtradowsky_judenschule02_1822/104>, abgerufen am 24.11.2024.