Sehr berühmt waren von jeher Levi's christli- che Kinder wegen ihrer Klatschhaftigkeit und Schmäh- sucht. Besonders sind die Häuser der beweibten Geistlichen hinsichtlich der Neuigkeiten, die in ihren Gemeinen und ihrer Umgegend sich zutragen, häu- fig dasselbe, was Bloyds Kaffehaus und die Bör- sen in den großen Handelsstädten in Rücksicht der Weltbegebenheiten sind. Die neuesten Dorf- und Stadt- ereignisse erfährt man gewöhnlich in des Pfarrers Hause am frühesten, am richtigsten, und mit ei- ner Menge historischer, kritischer, theologischer und moralischer Anmerkungen begleitet, wozu nicht al- lein der Herr Pfarrer, sondern auch die Frau Pfar- rerin und ihre Töchter, oder die Jungfer Schaff- nerin ihre eben so wort- als geistreichen Beiträge liefern. An manchen Orten ist das Haus des Seel- sorgers der einzige oder doch der vorzüglichste Ort, wo neue Heirathen geschmiedet, alte Ehen vernich- tet, und die meisten ehrlichen Namen zu Grabe geläutet werden.
Klatschsucht, dies häßliche, entehrende Laster fällt an Niemanden so widerlich auf, als an einem Volkslehrer, welcher der erste und innigste Vertrau- te aller seiner Eingepfarrten, ihr gemeinfchaftlicher, partheiloser Freund, ihr Friedenstifter und ihr vor- züglichster Rathgeber in sittlichen, oft selbst in häus- lichen Angelegenheiten seyn soll. Wenn das Haus eines solchen Mannes ein Magazin neuer Zeitungen
III. Bändchen. 23
Sehr beruͤhmt waren von jeher Levi’s chriſtli- che Kinder wegen ihrer Klatſchhaftigkeit und Schmaͤh- ſucht. Beſonders ſind die Haͤuſer der beweibten Geiſtlichen hinſichtlich der Neuigkeiten, die in ihren Gemeinen und ihrer Umgegend ſich zutragen, haͤu- fig daſſelbe, was Bloyds Kaffehaus und die Boͤr- ſen in den großen Handelsſtaͤdten in Ruͤckſicht der Weltbegebenheiten ſind. Die neueſten Dorf- und Stadt- ereigniſſe erfaͤhrt man gewoͤhnlich in des Pfarrers Hauſe am fruͤheſten, am richtigſten, und mit ei- ner Menge hiſtoriſcher, kritiſcher, theologiſcher und moraliſcher Anmerkungen begleitet, wozu nicht al- lein der Herr Pfarrer, ſondern auch die Frau Pfar- rerin und ihre Toͤchter, oder die Jungfer Schaff- nerin ihre eben ſo wort- als geiſtreichen Beitraͤge liefern. An manchen Orten iſt das Haus des Seel- ſorgers der einzige oder doch der vorzuͤglichſte Ort, wo neue Heirathen geſchmiedet, alte Ehen vernich- tet, und die meiſten ehrlichen Namen zu Grabe gelaͤutet werden.
Klatſchſucht, dies haͤßliche, entehrende Laſter faͤllt an Niemanden ſo widerlich auf, als an einem Volkslehrer, welcher der erſte und innigſte Vertrau- te aller ſeiner Eingepfarrten, ihr gemeinfchaftlicher, partheiloſer Freund, ihr Friedenſtifter und ihr vor- zuͤglichſter Rathgeber in ſittlichen, oft ſelbſt in haͤus- lichen Angelegenheiten ſeyn ſoll. Wenn das Haus eines ſolchen Mannes ein Magazin neuer Zeitungen
III. Baͤndchen. 23
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Sehr beruͤhmt waren von jeher Levi’s chriſtli-
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Geiſtlichen hinſichtlich der Neuigkeiten, die in ihren
Gemeinen und ihrer Umgegend ſich zutragen, haͤu-
fig daſſelbe, was Bloyds Kaffehaus und die Boͤr-
ſen in den großen Handelsſtaͤdten in Ruͤckſicht der
Weltbegebenheiten ſind. Die neueſten Dorf- und Stadt-
ereigniſſe erfaͤhrt man gewoͤhnlich in des Pfarrers
Hauſe am fruͤheſten, am richtigſten, und mit ei-
ner Menge hiſtoriſcher, kritiſcher, theologiſcher und
moraliſcher Anmerkungen begleitet, wozu nicht al-
lein der Herr Pfarrer, ſondern auch die Frau Pfar-
rerin und ihre Toͤchter, oder die Jungfer Schaff-
nerin ihre eben ſo wort- als geiſtreichen Beitraͤge
liefern. An manchen Orten iſt das Haus des Seel-
ſorgers der einzige oder doch der vorzuͤglichſte Ort,
wo neue Heirathen geſchmiedet, alte Ehen vernich-
tet, und die meiſten ehrlichen Namen zu Grabe
gelaͤutet werden.
Klatſchſucht, dies haͤßliche, entehrende Laſter
faͤllt an Niemanden ſo widerlich auf, als an einem
Volkslehrer, welcher der erſte und innigſte Vertrau-
te aller ſeiner Eingepfarrten, ihr gemeinfchaftlicher,
partheiloſer Freund, ihr Friedenſtifter und ihr vor-
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eines ſolchen Mannes ein Magazin neuer Zeitungen
III. Baͤndchen. 23
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Hundt-Radowsky, Hartwig: Die Judenschule, oder gründliche Anleitung, in kurzer Zeit ein vollkommener schwarzer oder weißer Jude zu werden. Bd. 3. Jerusalem [i. e. Aarau], 1823, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hundtradowsky_judenschule03_1823/265>, abgerufen am 21.11.2024.
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