einsichtsvoller Rechtsgelehrter ist, müssen denn seine Söhne und alle seine Enkel bis ins tausendste Glied dasselbe seyn? Vielleicht möchte man noch eine Wahrscheinlichkeit annehmen, daß Tugenden, Kennt- nisse und Fähigkeiten, wenn auch nicht in gleichem, doch in minderem Grade durch Erziehung und Bei- spiel vom Vater auf den Sohn fortgeerbt werden könnten; aber daß dies von Generation auf Ge- neration nothwendig geschehen müsse, daß die sittliche und geistige Nachlassenschaft, je weiter sie von Geschlecht zu Geschlecht vererbt wird, nicht verringert, sondern vergrößert werde; ist eine Lä- cherlichkeit, die der Vernunft und der Erfahrung Hohn spricht. Auf eben diese Lächerlichkeit aber stützt sich der Grundsatz: daß der Erbadel um so besser sey, je älter er ist, oder je mehr Ahnherren zwischen dem ersten Erwerber und dessen letztesten Nachkömmlinge stehen.
Der Wahn, daß man Verdienste, Tugenden und Fähigkeiten, wie Vater Adam die Erbsünde, auf seine spätesten Nachkommen vererben könne, hat viele der edelsten Herzen und der besten Köpfe ver- derbt und in Geisseln ihrer Mitbürger und Zeitge- nossen verwandelt. Wer aber einen Edelmann blos deshalb tadelt, oder gar für einen Thoren erklärt, weil er mit Stolz auf die wirklichen oder vermeint- lichen Verdienste seiner Vorfahren zurück blickt, der handelt sehr unbillig, denn mit gleichem und mit
III. Bändchen. 28
einſichtsvoller Rechtsgelehrter iſt, muͤſſen denn ſeine Soͤhne und alle ſeine Enkel bis ins tauſendſte Glied daſſelbe ſeyn? Vielleicht moͤchte man noch eine Wahrſcheinlichkeit annehmen, daß Tugenden, Kennt- niſſe und Faͤhigkeiten, wenn auch nicht in gleichem, doch in minderem Grade durch Erziehung und Bei- ſpiel vom Vater auf den Sohn fortgeerbt werden koͤnnten; aber daß dies von Generation auf Ge- neration nothwendig geſchehen muͤſſe, daß die ſittliche und geiſtige Nachlaſſenſchaft, je weiter ſie von Geſchlecht zu Geſchlecht vererbt wird, nicht verringert, ſondern vergroͤßert werde; iſt eine Laͤ- cherlichkeit, die der Vernunft und der Erfahrung Hohn ſpricht. Auf eben dieſe Laͤcherlichkeit aber ſtuͤtzt ſich der Grundſatz: daß der Erbadel um ſo beſſer ſey, je aͤlter er iſt, oder je mehr Ahnherren zwiſchen dem erſten Erwerber und deſſen letzteſten Nachkoͤmmlinge ſtehen.
Der Wahn, daß man Verdienſte, Tugenden und Faͤhigkeiten, wie Vater Adam die Erbſuͤnde, auf ſeine ſpaͤteſten Nachkommen vererben koͤnne, hat viele der edelſten Herzen und der beſten Koͤpfe ver- derbt und in Geiſſeln ihrer Mitbuͤrger und Zeitge- noſſen verwandelt. Wer aber einen Edelmann blos deshalb tadelt, oder gar fuͤr einen Thoren erklaͤrt, weil er mit Stolz auf die wirklichen oder vermeint- lichen Verdienſte ſeiner Vorfahren zuruͤck blickt, der handelt ſehr unbillig, denn mit gleichem und mit
III. Baͤndchen. 28
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einſichtsvoller Rechtsgelehrter iſt, muͤſſen denn ſeine
Soͤhne und alle ſeine Enkel bis ins tauſendſte Glied
daſſelbe ſeyn? Vielleicht moͤchte man noch eine
Wahrſcheinlichkeit annehmen, daß Tugenden, Kennt-
niſſe und Faͤhigkeiten, wenn auch nicht in gleichem,
doch in minderem Grade durch Erziehung und Bei-
ſpiel vom Vater auf den Sohn fortgeerbt werden
koͤnnten; aber daß dies von Generation auf Ge-
neration nothwendig geſchehen muͤſſe, daß die
ſittliche und geiſtige Nachlaſſenſchaft, je weiter ſie
von Geſchlecht zu Geſchlecht vererbt wird, nicht
verringert, ſondern vergroͤßert werde; iſt eine Laͤ-
cherlichkeit, die der Vernunft und der Erfahrung
Hohn ſpricht. Auf eben dieſe Laͤcherlichkeit aber
ſtuͤtzt ſich der Grundſatz: daß der Erbadel um ſo
beſſer ſey, je aͤlter er iſt, oder je mehr Ahnherren
zwiſchen dem erſten Erwerber und deſſen letzteſten
Nachkoͤmmlinge ſtehen.
Der Wahn, daß man Verdienſte, Tugenden
und Faͤhigkeiten, wie Vater Adam die Erbſuͤnde,
auf ſeine ſpaͤteſten Nachkommen vererben koͤnne, hat
viele der edelſten Herzen und der beſten Koͤpfe ver-
derbt und in Geiſſeln ihrer Mitbuͤrger und Zeitge-
noſſen verwandelt. Wer aber einen Edelmann blos
deshalb tadelt, oder gar fuͤr einen Thoren erklaͤrt,
weil er mit Stolz auf die wirklichen oder vermeint-
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handelt ſehr unbillig, denn mit gleichem und mit
III. Baͤndchen. 28
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Hundt-Radowsky, Hartwig: Die Judenschule, oder gründliche Anleitung, in kurzer Zeit ein vollkommener schwarzer oder weißer Jude zu werden. Bd. 3. Jerusalem [i. e. Aarau], 1823, S. 329. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hundtradowsky_judenschule03_1823/329>, abgerufen am 21.11.2024.
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