Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ichenhaeuser, Eliza: Das preußische Abgeordnetenhaus und das Frauenstudium. In: Die Kritik (1897), S. 1028–1031.

Bild:
<< vorherige Seite

Abgeordnetenhaus und Frauenstudium
günstiger als zu jener Zeit. Vor fünf Jahren konnte man noch den
Einwand der mangelnden gymnasialen Vorbildung der Frauen machen,
konnte man an der Fähigkeit der Frauen zum Studium zweifeln, konnte
man ihnen mangelndes Jnteresse an dieser sie betreffenden Frage vielleicht
noch vorwerfen.

All das ist heute nicht mehr der Fall. Es existiren gymnasiale
Kurse, Schülerinnen derselben haben sie erfolgreichst absolvirt und
Maturitätsexamen abgelegt, die Auslandserfolge der an Universitäten
studirenden Frauen mehren sich in ganz überwältigender Weise, und daß
die Frauen sich sehr lebhaft dafür interessiren, beweisen nicht allein die
zahlreichen Unterschriften der diversen Petitionen, sondern der lebhafte
Besuch der Universitäten als Gastzuhörerinnen, trotz der vielen Hinder-
nisse, die dieselben zu bestehen haben. Einer Enquete, die ich unter den
deutschen und österreichischen Universitätsrektoren angestellt habe, zufolge,
haben im Wintersemester 1895/96 die folgende Anzahl von Frauen
hospitirt:

in Berlin    70
" Breslau    14
" Freiburg    10
" Göttingen    32
" Greifswald    5
" Halle    1
" Heidelberg    4
" Marburg    3
" Rostock    13
" Tübingen    1

153
An den österreichischen Universitäten hospitirten im gleichen Semester:
in Czernovitz    5
" Krakau   8
" Lemberg   1
" Prag   4
" Wien   0

18

Trotzdem in Oesterreich, diesen Zahlen nach zu urtheilen, das aktive
Jnteresse der Frauen am Universitätsstudium ein nicht so großes ist, wie
in Deutschland, hat sich Oesterreich doch neuerdings veranlaßt gesehen,
die Pforten seiner Bildungstempel den Frauen zu gleichberechtigtem
Studium zu öffnen, und zwar vorerst diejenigen der philosophischen
Fakultät, die medizinische Fakultät soll der philosophischen in kürzester
Zeit nachfolgen. Am 1. Oktober d. J. tritt die neue Bestimmung in
Kraft.

Deutschland aber, und an seiner Spitze Preußen, ignorirt vollständig
den Fortschritt und die Bedürfnisse der modernen Zeiten, gleichviel ob
alle anderen Kulturstaaten sie ausnahmslos anerkannt haben, und gehen
über diesbezügliche Petitionen zur Tagesordnung über. Das Märchen
von der Unfähigkeit der Frau konnte diesmal nicht mehr als Grund zu
diesem Beschluß vorhalten, sind doch die Auslandserfahrungen heute in

Abgeordnetenhaus und Frauenstudium
günstiger als zu jener Zeit. Vor fünf Jahren konnte man noch den
Einwand der mangelnden gymnasialen Vorbildung der Frauen machen,
konnte man an der Fähigkeit der Frauen zum Studium zweifeln, konnte
man ihnen mangelndes Jnteresse an dieser sie betreffenden Frage vielleicht
noch vorwerfen.

All das ist heute nicht mehr der Fall. Es existiren gymnasiale
Kurse, Schülerinnen derselben haben sie erfolgreichst absolvirt und
Maturitätsexamen abgelegt, die Auslandserfolge der an Universitäten
studirenden Frauen mehren sich in ganz überwältigender Weise, und daß
die Frauen sich sehr lebhaft dafür interessiren, beweisen nicht allein die
zahlreichen Unterschriften der diversen Petitionen, sondern der lebhafte
Besuch der Universitäten als Gastzuhörerinnen, trotz der vielen Hinder-
nisse, die dieselben zu bestehen haben. Einer Enquête, die ich unter den
deutschen und österreichischen Universitätsrektoren angestellt habe, zufolge,
haben im Wintersemester 1895/96 die folgende Anzahl von Frauen
hospitirt:

in Berlin    70
〃 Breslau    14
〃 Freiburg    10
〃 Göttingen    32
〃 Greifswald    5
〃 Halle    1
〃 Heidelberg    4
〃 Marburg    3
〃 Rostock    13
〃 Tübingen    1

153
An den österreichischen Universitäten hospitirten im gleichen Semester:
in Czernovitz    5
〃 Krakau   8
〃 Lemberg   1
〃 Prag   4
〃 Wien   0

18

Trotzdem in Oesterreich, diesen Zahlen nach zu urtheilen, das aktive
Jnteresse der Frauen am Universitätsstudium ein nicht so großes ist, wie
in Deutschland, hat sich Oesterreich doch neuerdings veranlaßt gesehen,
die Pforten seiner Bildungstempel den Frauen zu gleichberechtigtem
Studium zu öffnen, und zwar vorerst diejenigen der philosophischen
Fakultät, die medizinische Fakultät soll der philosophischen in kürzester
Zeit nachfolgen. Am 1. Oktober d. J. tritt die neue Bestimmung in
Kraft.

Deutschland aber, und an seiner Spitze Preußen, ignorirt vollständig
den Fortschritt und die Bedürfnisse der modernen Zeiten, gleichviel ob
alle anderen Kulturstaaten sie ausnahmslos anerkannt haben, und gehen
über diesbezügliche Petitionen zur Tagesordnung über. Das Märchen
von der Unfähigkeit der Frau konnte diesmal nicht mehr als Grund zu
diesem Beschluß vorhalten, sind doch die Auslandserfahrungen heute in

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0002" n="1029"/><fw place="top" type="header">Abgeordnetenhaus und Frauenstudium</fw><lb/>
günstiger als zu jener Zeit. Vor fünf Jahren konnte man noch den<lb/>
Einwand der mangelnden gymnasialen Vorbildung der Frauen machen,<lb/>
konnte man an der Fähigkeit der Frauen zum Studium zweifeln, konnte<lb/>
man ihnen mangelndes Jnteresse an dieser sie betreffenden Frage vielleicht<lb/>
noch vorwerfen.</p><lb/>
        <p>All das ist heute nicht mehr der Fall. Es existiren gymnasiale<lb/>
Kurse, Schülerinnen derselben haben sie erfolgreichst absolvirt und<lb/>
Maturitätsexamen abgelegt, die Auslandserfolge der an Universitäten<lb/>
studirenden Frauen mehren sich in ganz überwältigender Weise, und daß<lb/>
die Frauen sich sehr lebhaft dafür interessiren, beweisen nicht allein die<lb/>
zahlreichen Unterschriften der diversen Petitionen, sondern der lebhafte<lb/>
Besuch der Universitäten als Gastzuhörerinnen, trotz der vielen Hinder-<lb/>
nisse, die dieselben zu bestehen haben. Einer Enqu<hi rendition="#aq">ê</hi>te, die ich unter den<lb/>
deutschen und österreichischen Universitätsrektoren angestellt habe, zufolge,<lb/>
haben im Wintersemester 1895/96 die folgende Anzahl von Frauen<lb/>
hospitirt:</p><lb/>
        <table>
          <row>
            <cell>in Berlin <space dim="horizontal"/></cell>
            <cell>70</cell>
          </row><lb/>
          <row>
            <cell>&#x3003; Breslau <space dim="horizontal"/></cell>
            <cell>14</cell>
          </row><lb/>
          <row>
            <cell>&#x3003; Freiburg <space dim="horizontal"/></cell>
            <cell>10</cell>
          </row><lb/>
          <row>
            <cell>&#x3003; Göttingen <space dim="horizontal"/></cell>
            <cell>32</cell>
          </row><lb/>
          <row>
            <cell>&#x3003; Greifswald <space dim="horizontal"/></cell>
            <cell>5</cell>
          </row><lb/>
          <row>
            <cell>&#x3003; Halle <space dim="horizontal"/></cell>
            <cell>1</cell>
          </row><lb/>
          <row>
            <cell>&#x3003; Heidelberg <space dim="horizontal"/></cell>
            <cell>4</cell>
          </row><lb/>
          <row>
            <cell>&#x3003; Marburg <space dim="horizontal"/></cell>
            <cell>3</cell>
          </row><lb/>
          <row>
            <cell>&#x3003; Rostock <space dim="horizontal"/></cell>
            <cell>13</cell>
          </row><lb/>
          <row>
            <cell>&#x3003; Tübingen <space dim="horizontal"/></cell>
            <cell>1</cell>
          </row><lb/>
          <row>
            <cell/>
            <cell>
              <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
            </cell>
          </row><lb/>
          <row>
            <cell/>
            <cell>153</cell>
          </row><lb/>
        </table>
        <table>
          <head>An den österreichischen Universitäten hospitirten im gleichen Semester:</head><lb/>
          <row>
            <cell>in Czernovitz <space dim="horizontal"/></cell>
            <cell>5</cell>
          </row><lb/>
          <row>
            <cell>&#x3003; Krakau<space dim="horizontal"/></cell>
            <cell>8</cell>
          </row><lb/>
          <row>
            <cell>&#x3003; Lemberg<space dim="horizontal"/></cell>
            <cell>1</cell>
          </row><lb/>
          <row>
            <cell>&#x3003; Prag<space dim="horizontal"/></cell>
            <cell>4</cell>
          </row><lb/>
          <row>
            <cell>&#x3003; Wien<space dim="horizontal"/></cell>
            <cell>0</cell>
          </row><lb/>
          <row>
            <cell/>
            <cell>
              <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
            </cell>
          </row><lb/>
          <row>
            <cell/>
            <cell>18</cell>
          </row><lb/>
        </table>
        <p>Trotzdem in Oesterreich, diesen Zahlen nach zu urtheilen, das aktive<lb/>
Jnteresse der Frauen am Universitätsstudium ein nicht so großes ist, wie<lb/>
in Deutschland, hat sich Oesterreich doch neuerdings veranlaßt gesehen,<lb/>
die Pforten seiner Bildungstempel den Frauen zu gleichberechtigtem<lb/>
Studium zu öffnen, und zwar vorerst diejenigen der philosophischen<lb/>
Fakultät, die medizinische Fakultät soll der philosophischen in kürzester<lb/>
Zeit nachfolgen. Am 1. Oktober d. J. tritt die neue Bestimmung in<lb/>
Kraft.</p><lb/>
        <p>Deutschland aber, und an seiner Spitze Preußen, ignorirt vollständig<lb/>
den Fortschritt und die Bedürfnisse der modernen Zeiten, gleichviel ob<lb/>
alle anderen Kulturstaaten sie ausnahmslos anerkannt haben, und gehen<lb/>
über diesbezügliche Petitionen zur Tagesordnung <choice><sic>uber</sic><corr>über</corr></choice>. Das Märchen<lb/>
von der Unfähigkeit der Frau konnte diesmal nicht mehr als Grund zu<lb/>
diesem Beschluß vorhalten, sind doch die Auslandserfahrungen heute in<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[1029/0002] Abgeordnetenhaus und Frauenstudium günstiger als zu jener Zeit. Vor fünf Jahren konnte man noch den Einwand der mangelnden gymnasialen Vorbildung der Frauen machen, konnte man an der Fähigkeit der Frauen zum Studium zweifeln, konnte man ihnen mangelndes Jnteresse an dieser sie betreffenden Frage vielleicht noch vorwerfen. All das ist heute nicht mehr der Fall. Es existiren gymnasiale Kurse, Schülerinnen derselben haben sie erfolgreichst absolvirt und Maturitätsexamen abgelegt, die Auslandserfolge der an Universitäten studirenden Frauen mehren sich in ganz überwältigender Weise, und daß die Frauen sich sehr lebhaft dafür interessiren, beweisen nicht allein die zahlreichen Unterschriften der diversen Petitionen, sondern der lebhafte Besuch der Universitäten als Gastzuhörerinnen, trotz der vielen Hinder- nisse, die dieselben zu bestehen haben. Einer Enquête, die ich unter den deutschen und österreichischen Universitätsrektoren angestellt habe, zufolge, haben im Wintersemester 1895/96 die folgende Anzahl von Frauen hospitirt: in Berlin 70 〃 Breslau 14 〃 Freiburg 10 〃 Göttingen 32 〃 Greifswald 5 〃 Halle 1 〃 Heidelberg 4 〃 Marburg 3 〃 Rostock 13 〃 Tübingen 1 153 An den österreichischen Universitäten hospitirten im gleichen Semester: in Czernovitz 5 〃 Krakau 8 〃 Lemberg 1 〃 Prag 4 〃 Wien 0 18 Trotzdem in Oesterreich, diesen Zahlen nach zu urtheilen, das aktive Jnteresse der Frauen am Universitätsstudium ein nicht so großes ist, wie in Deutschland, hat sich Oesterreich doch neuerdings veranlaßt gesehen, die Pforten seiner Bildungstempel den Frauen zu gleichberechtigtem Studium zu öffnen, und zwar vorerst diejenigen der philosophischen Fakultät, die medizinische Fakultät soll der philosophischen in kürzester Zeit nachfolgen. Am 1. Oktober d. J. tritt die neue Bestimmung in Kraft. Deutschland aber, und an seiner Spitze Preußen, ignorirt vollständig den Fortschritt und die Bedürfnisse der modernen Zeiten, gleichviel ob alle anderen Kulturstaaten sie ausnahmslos anerkannt haben, und gehen über diesbezügliche Petitionen zur Tagesordnung über. Das Märchen von der Unfähigkeit der Frau konnte diesmal nicht mehr als Grund zu diesem Beschluß vorhalten, sind doch die Auslandserfahrungen heute in

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Frauenstudium, betreut von Andreas Neumann und Anna Pfundt, FSU Jena und JLU Gießen : Bereitstellung der Texttranskription. (2021-08-25T08:15:59Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt, Juliane Nau: Bearbeitung der digitalen Edition. (2021-08-25T08:15:59Z)

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: gekennzeichnet; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ichenhaeuser_abgeordnetenhaus_1897
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ichenhaeuser_abgeordnetenhaus_1897/2
Zitationshilfe: Ichenhaeuser, Eliza: Das preußische Abgeordnetenhaus und das Frauenstudium. In: Die Kritik (1897), S. 1028–1031, hier S. 1029. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ichenhaeuser_abgeordnetenhaus_1897/2>, abgerufen am 23.11.2024.