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Ichenhaeuser, Eliza: Frauenziele. Berlin, 1913.

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Dinger, die vom Leben und seinen Gefahren nichts
wußten, oft aus einem unglücklichen Milieu stam-
mend, das, jeden sittlichen Einflusses bar, sie ge-
radezu dazu prädestinierte die Beute des Erstbesten
zu werden, der ihr die im Elternhause entbehrte
Liebe und Wärme in ihr bisher so kaltes Leben
zu bringen schien, all die vertrauenden jungen
Wesen, die ihren Erlöser zu finden geglaubt hatten
und nun in die tiefste Verlassenheit und Verzweif-
lung zurückgeschleudert wurden, sind wirklich sie
die Schuldigen? Verdienen sie die allgemeine Ver-
urteilung, oder diejenigen, die ihr Vertrauen miß-
brauchten, die es nicht scheuten, zwei Leben aufs
Spiel zu setzen, dem Verderben zu weihen, um sich
vorübergehende sexuelle Befriedigung zu ver-
schaffen?

Und diese zweiten Leben, die armen, unschul-
digen Kinder, die solchen Verhältnissen ent-
stammen, sind sie vielleicht schuld an ihrem unwill-
kommenen Dasein, daß man es sie so bös entgelten
läßt? Zu Parias der Gesellschaft läßt man sie her-
anwachsen, ohne Pflege, ohne Erziehung, ohne
Rechte.

Jst es da ein Wunder, daß sie sich, wenn er-
wachsen, an dieser erbarmungslosen Gesellschaft
rächen, indem sie als ein Heer von Verbrechern,
Alkoholikern und Geisteskranken zu ihren gefähr-
lichsten Feinden werden?

Dinger, die vom Leben und seinen Gefahren nichts
wußten, oft aus einem unglücklichen Milieu stam-
mend, das, jeden sittlichen Einflusses bar, sie ge-
radezu dazu prädestinierte die Beute des Erstbesten
zu werden, der ihr die im Elternhause entbehrte
Liebe und Wärme in ihr bisher so kaltes Leben
zu bringen schien, all die vertrauenden jungen
Wesen, die ihren Erlöser zu finden geglaubt hatten
und nun in die tiefste Verlassenheit und Verzweif-
lung zurückgeschleudert wurden, sind wirklich sie
die Schuldigen? Verdienen sie die allgemeine Ver-
urteilung, oder diejenigen, die ihr Vertrauen miß-
brauchten, die es nicht scheuten, zwei Leben aufs
Spiel zu setzen, dem Verderben zu weihen, um sich
vorübergehende sexuelle Befriedigung zu ver-
schaffen?

Und diese zweiten Leben, die armen, unschul-
digen Kinder, die solchen Verhältnissen ent-
stammen, sind sie vielleicht schuld an ihrem unwill-
kommenen Dasein, daß man es sie so bös entgelten
läßt? Zu Parias der Gesellschaft läßt man sie her-
anwachsen, ohne Pflege, ohne Erziehung, ohne
Rechte.

Jst es da ein Wunder, daß sie sich, wenn er-
wachsen, an dieser erbarmungslosen Gesellschaft
rächen, indem sie als ein Heer von Verbrechern,
Alkoholikern und Geisteskranken zu ihren gefähr-
lichsten Feinden werden?

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[299/0303] Dinger, die vom Leben und seinen Gefahren nichts wußten, oft aus einem unglücklichen Milieu stam- mend, das, jeden sittlichen Einflusses bar, sie ge- radezu dazu prädestinierte die Beute des Erstbesten zu werden, der ihr die im Elternhause entbehrte Liebe und Wärme in ihr bisher so kaltes Leben zu bringen schien, all die vertrauenden jungen Wesen, die ihren Erlöser zu finden geglaubt hatten und nun in die tiefste Verlassenheit und Verzweif- lung zurückgeschleudert wurden, sind wirklich sie die Schuldigen? Verdienen sie die allgemeine Ver- urteilung, oder diejenigen, die ihr Vertrauen miß- brauchten, die es nicht scheuten, zwei Leben aufs Spiel zu setzen, dem Verderben zu weihen, um sich vorübergehende sexuelle Befriedigung zu ver- schaffen? Und diese zweiten Leben, die armen, unschul- digen Kinder, die solchen Verhältnissen ent- stammen, sind sie vielleicht schuld an ihrem unwill- kommenen Dasein, daß man es sie so bös entgelten läßt? Zu Parias der Gesellschaft läßt man sie her- anwachsen, ohne Pflege, ohne Erziehung, ohne Rechte. Jst es da ein Wunder, daß sie sich, wenn er- wachsen, an dieser erbarmungslosen Gesellschaft rächen, indem sie als ein Heer von Verbrechern, Alkoholikern und Geisteskranken zu ihren gefähr- lichsten Feinden werden?

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Zitationshilfe: Ichenhaeuser, Eliza: Frauenziele. Berlin, 1913, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ichenhaeuser_frauenziele_1913/303>, abgerufen am 22.11.2024.