Erkenntnis, daß es nicht Vergnügungslust und Leichtsinn sind, die Landarbeiter und Dienstboten aus ihren für gesichert geltenden Berufen weg- locken, sondern daß die Gründe hierfür tiefer liegen, und man mit ihnen rechnen muß, bricht sich allmählich Bahn.
Die Umwandlung der patriarchalischen Organi- sation in eine kapitalistische und das gleichzeitige Ringen nach Freiheit und Selbständigkeit sind es, die die ländliche Arbeiterin aus der Enge der länd- lichen Verhältnisse, aus der Abhängigkeit von Arbeitgeber und Vater, aus häufig allzuschwerer körperlicher Arbeit, ungesunden und unge- nügenden Wohnräumen hinausdrängen in die Städte, wo sie ihre Kenntnisse erweitern, ihre Lohn- verhältnisse dadurch verbessern können, wo ihr Selbstbewußtsein gehoben und ihr Drang nach Freiheit und Ungebundenheit voll befriedigt werden kann.
"Jn keinem Berufe ist die Frau so fest in alter Hörigkeit verblieben, wie in der Landwirtschaft, daher die allgemeine Landflucht der Frauen, von der einfachen Arbeiterin bis hinauf zur Gutsbe- sitzerstochter," sagt Marie Wegner in ihrer Bro- schüre "Die Lage der Landarbeiterinnen". Und in der Tat wird wohl nirgends die Arbeitskraft der Frau und Tochter so ganz als dem Manne und dem Vater gehörig betrachtet, wie in der Landwirt-
Erkenntnis, daß es nicht Vergnügungslust und Leichtsinn sind, die Landarbeiter und Dienstboten aus ihren für gesichert geltenden Berufen weg- locken, sondern daß die Gründe hierfür tiefer liegen, und man mit ihnen rechnen muß, bricht sich allmählich Bahn.
Die Umwandlung der patriarchalischen Organi- sation in eine kapitalistische und das gleichzeitige Ringen nach Freiheit und Selbständigkeit sind es, die die ländliche Arbeiterin aus der Enge der länd- lichen Verhältnisse, aus der Abhängigkeit von Arbeitgeber und Vater, aus häufig allzuschwerer körperlicher Arbeit, ungesunden und unge- nügenden Wohnräumen hinausdrängen in die Städte, wo sie ihre Kenntnisse erweitern, ihre Lohn- verhältnisse dadurch verbessern können, wo ihr Selbstbewußtsein gehoben und ihr Drang nach Freiheit und Ungebundenheit voll befriedigt werden kann.
„Jn keinem Berufe ist die Frau so fest in alter Hörigkeit verblieben, wie in der Landwirtschaft, daher die allgemeine Landflucht der Frauen, von der einfachen Arbeiterin bis hinauf zur Gutsbe- sitzerstochter,“ sagt Marie Wegner in ihrer Bro- schüre „Die Lage der Landarbeiterinnen“. Und in der Tat wird wohl nirgends die Arbeitskraft der Frau und Tochter so ganz als dem Manne und dem Vater gehörig betrachtet, wie in der Landwirt-
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Erkenntnis, daß es nicht Vergnügungslust und
Leichtsinn sind, die Landarbeiter und Dienstboten
aus ihren für gesichert geltenden Berufen weg-
locken, sondern daß die Gründe hierfür tiefer
liegen, und man mit ihnen rechnen muß, bricht sich
allmählich Bahn.
Die Umwandlung der patriarchalischen Organi-
sation in eine kapitalistische und das gleichzeitige
Ringen nach Freiheit und Selbständigkeit sind es,
die die ländliche Arbeiterin aus der Enge der länd-
lichen Verhältnisse, aus der Abhängigkeit von
Arbeitgeber und Vater, aus häufig allzuschwerer
körperlicher Arbeit, ungesunden und unge-
nügenden Wohnräumen hinausdrängen in die
Städte, wo sie ihre Kenntnisse erweitern, ihre Lohn-
verhältnisse dadurch verbessern können, wo ihr
Selbstbewußtsein gehoben und ihr Drang nach
Freiheit und Ungebundenheit voll befriedigt
werden kann.
„Jn keinem Berufe ist die Frau so fest in alter
Hörigkeit verblieben, wie in der Landwirtschaft,
daher die allgemeine Landflucht der Frauen, von
der einfachen Arbeiterin bis hinauf zur Gutsbe-
sitzerstochter,“ sagt Marie Wegner in ihrer Bro-
schüre „Die Lage der Landarbeiterinnen“. Und
in der Tat wird wohl nirgends die Arbeitskraft
der Frau und Tochter so ganz als dem Manne und
dem Vater gehörig betrachtet, wie in der Landwirt-
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Ichenhaeuser, Eliza: Frauenziele. Berlin, 1913, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ichenhaeuser_frauenziele_1913/76>, abgerufen am 11.02.2025.
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