Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847.der Nächte lag der Satan, eine lange Gestalt mit einem Ueber den Ursprung seines Seelenleidens habe ich mir 7. F., 54 Jahre alt, ist die Tochter eines Ackerbürgers der Naͤchte lag der Satan, eine lange Geſtalt mit einem Ueber den Urſprung ſeines Seelenleidens habe ich mir 7. F., 54 Jahre alt, iſt die Tochter eines Ackerbuͤrgers <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0113" n="105"/> der Naͤchte lag der Satan, eine lange Geſtalt mit einem<lb/> Kalbskopfe, ſo ſchwer auf ihm, daß er kein Glied ruͤhren<lb/> konnte. Waͤhrend dieſer Hoͤllenpein vernahm er dreimal den<lb/> Ruf: <hi rendition="#g">mein Sohn</hi>! und vergebens ſchrie er: <hi rendition="#g">weiche von<lb/> mir</hi>, <hi rendition="#g">Satan</hi>! Seine Phantaſie war in einem ſolchen Grade<lb/> aufgeregt, daß er in einer jener Naͤchte eine Menge Viſionen<lb/> von Maͤnnern, Bergen, Waͤldern, Waizenfeldern und Dornen¬<lb/> hecken hatte, aus denen eine Stimme dreimal <hi rendition="#g">mein Schaͤf</hi>¬<lb/><hi rendition="#g">lein</hi> und dreimal <hi rendition="#g">Israel</hi> rief. Dieſe Anfechtungen des<lb/> Teufels riefen ihm lebhaft die Verſuchung des Heilandes<lb/> durch den Boͤſen in die Erinnerung, und da er durch Quaa¬<lb/> len und Entbehrungen zum Prophetenthum gefuͤhrt zu ſein<lb/> glaubt, ſo iſt er voͤllig uͤberzeugt, daß er als Elias in der<lb/> jetzigen Zeit auftreten ſolle.</p><lb/> <p>Ueber den Urſprung ſeines Seelenleidens habe ich mir<lb/> keine naͤheren Aufſchluͤſſe verſchaffen koͤnnen, da er auf Fragen<lb/> nach ſeinen fruͤheren Lebensverhaͤltniſſen ſich nicht einließ, und<lb/> anderweitige Nachrichten uͤber ihn mir nicht zugekommen ſind.<lb/> Nur die eine Bemerkung glaube ich hieruͤber machen zu duͤr¬<lb/> fen, daß das eifrige Leſen ſogenannter Traktaͤtlein, von denen<lb/> er mehrere bei ſich fuͤhrt, weſentlich dazu beigetragen hat, ſei¬<lb/> ne ſchwaͤrmende Phantaſie noch mehr zu erhitzen. Insbeſon¬<lb/> dere ſcheint eine kleine Schrift, welche im Jahre 1845 unter<lb/> dem Titel <hi rendition="#g">der Antichriſt</hi> in Berlin gedruckt worden iſt,<lb/> einen ſtarken Einfluß auf ihn ausgeuͤbt zu haben, denn er<lb/> erklaͤrte ausdruͤcklich, daß ſie von ihm zeuge, und berief ſich<lb/> zur Beſtaͤtigung deſſen namentlich auf folgende Stelle: „Der<lb/> Geiſt der Wahrheit, der da iſt der heilige Geiſt, welcher im<lb/> Menſchen wohnt, wird eroͤffnen, was die ſieben Donner ge¬<lb/> redet haben, die Johannes verſiegeln mußte.”</p><lb/> </div> <div n="1"> <head>7.<lb/></head> <p><hi rendition="#b #fr">F.</hi>, 54 Jahre alt, iſt die Tochter eines Ackerbuͤrgers<lb/> in einer kleinen Provinzialſtadt, welcher wegen ſeiner duͤrfti¬<lb/> gen Lage genoͤthigt war, ſich als Fuhrmann zu ernaͤhren. Sie<lb/> ſchildert ihn als einen rohen, ja boͤsartigen Trunkenbold, wel¬<lb/> cher bei jeder Gelegenheit ſeine Frau und ſeine 6 Toͤchter<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [105/0113]
der Naͤchte lag der Satan, eine lange Geſtalt mit einem
Kalbskopfe, ſo ſchwer auf ihm, daß er kein Glied ruͤhren
konnte. Waͤhrend dieſer Hoͤllenpein vernahm er dreimal den
Ruf: mein Sohn! und vergebens ſchrie er: weiche von
mir, Satan! Seine Phantaſie war in einem ſolchen Grade
aufgeregt, daß er in einer jener Naͤchte eine Menge Viſionen
von Maͤnnern, Bergen, Waͤldern, Waizenfeldern und Dornen¬
hecken hatte, aus denen eine Stimme dreimal mein Schaͤf¬
lein und dreimal Israel rief. Dieſe Anfechtungen des
Teufels riefen ihm lebhaft die Verſuchung des Heilandes
durch den Boͤſen in die Erinnerung, und da er durch Quaa¬
len und Entbehrungen zum Prophetenthum gefuͤhrt zu ſein
glaubt, ſo iſt er voͤllig uͤberzeugt, daß er als Elias in der
jetzigen Zeit auftreten ſolle.
Ueber den Urſprung ſeines Seelenleidens habe ich mir
keine naͤheren Aufſchluͤſſe verſchaffen koͤnnen, da er auf Fragen
nach ſeinen fruͤheren Lebensverhaͤltniſſen ſich nicht einließ, und
anderweitige Nachrichten uͤber ihn mir nicht zugekommen ſind.
Nur die eine Bemerkung glaube ich hieruͤber machen zu duͤr¬
fen, daß das eifrige Leſen ſogenannter Traktaͤtlein, von denen
er mehrere bei ſich fuͤhrt, weſentlich dazu beigetragen hat, ſei¬
ne ſchwaͤrmende Phantaſie noch mehr zu erhitzen. Insbeſon¬
dere ſcheint eine kleine Schrift, welche im Jahre 1845 unter
dem Titel der Antichriſt in Berlin gedruckt worden iſt,
einen ſtarken Einfluß auf ihn ausgeuͤbt zu haben, denn er
erklaͤrte ausdruͤcklich, daß ſie von ihm zeuge, und berief ſich
zur Beſtaͤtigung deſſen namentlich auf folgende Stelle: „Der
Geiſt der Wahrheit, der da iſt der heilige Geiſt, welcher im
Menſchen wohnt, wird eroͤffnen, was die ſieben Donner ge¬
redet haben, die Johannes verſiegeln mußte.”
7.
F., 54 Jahre alt, iſt die Tochter eines Ackerbuͤrgers
in einer kleinen Provinzialſtadt, welcher wegen ſeiner duͤrfti¬
gen Lage genoͤthigt war, ſich als Fuhrmann zu ernaͤhren. Sie
ſchildert ihn als einen rohen, ja boͤsartigen Trunkenbold, wel¬
cher bei jeder Gelegenheit ſeine Frau und ſeine 6 Toͤchter
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