Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847.und fand nur in der Vorstellung endlich Beruhigung, daß Am 28. Mai 1845 in die Charite aufgenommen hat sie und fand nur in der Vorſtellung endlich Beruhigung, daß Am 28. Mai 1845 in die Charité aufgenommen hat ſie <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0126" n="118"/> und fand nur in der Vorſtellung endlich Beruhigung, daß<lb/> Gott auf ihr Flehen die Hoͤllenſtrafe, welche Heulen und Zaͤhn¬<lb/> klappen bewirke, abkuͤrzen werde. Dieſer letzten Ankuͤndigung<lb/> des Gerichts war eine dritte Hoͤllenfahrt in der Nacht voran¬<lb/> gegangen, welche ſie ſchlaflos unter namenloſer Quaal zu¬<lb/> brachte, ſo daß ſie ſich dem Tode nahe glaubte, ohne jedoch<lb/> von Sinnestaͤuſchungen heimgeſucht zu werden. Erſt nachdem<lb/> ſie ein Gebet an den Heiland um Verleihung des Sieges ge¬<lb/> richtet hatte, wurde ihr wohler.</p><lb/> <p>Am 28. Mai 1845 in die Charité aufgenommen hat ſie<lb/> nicht die geringſte Veraͤnderung in ihrem Zuſtande wahrneh¬<lb/> men laſſen. Ihre Verſtandesbethoͤrung grenzte ſchon an Gei¬<lb/> ſtesverwirrung, ſo daß ſich nur mit Muͤhe der bisher geſchil¬<lb/> derte Zuſammenhang ihrer ſchwaͤrmeriſchen Grillen auffinden<lb/> ließ. Ob ſie ſich als zweiter Meſſias, als Landesmutter eine<lb/> hoͤhere Sanction beilegte, konnte nicht beſtimmt ermittelt wer¬<lb/> den; denn obgleich dies einerſeits aus ihren Worten zu folgen<lb/> ſchien, ſo widerſprach dem theils ihre anderweitige Behauptung,<lb/> daß alle Menſchen auf gleiche Weiſe Kinder Gottes ſeien,<lb/> theils ihre demuͤthig harmloſe Freundlichkeit und Anſpruchsloſig¬<lb/> keit, welche den abſoluten Gegenſatz zu dem koloſſalen Hoch¬<lb/> muth fanatiſcher Theomanen bildet. Schon fruͤher habe ich<lb/> ihren ſittlich vortrefflichen Charakter geſchildert, als deſſen Haupt¬<lb/> zug eine liebevolle Sorgfalt fuͤr alle Nothleidenden angeſehen<lb/> werden muß. Ueberzeugt, daß alle Krankheiten Liebesruthen<lb/> ſind, mit welchen Gott alle Menſchen zu ihrer Beſſerung<lb/> zuͤchtige, beklagt ſie es vornaͤmlich ſehr, daß ſo viele Kranke ihr<lb/> Loos nicht in dieſem Sinne anſehen, nicht Buße thun, nicht<lb/> im haͤufigen Morgengebet ſich heiligen, ſondern mit leichtfer¬<lb/> tigem Gemuͤth in ihre fruͤheren Verhaͤltniſſe zuruͤckkehren. Ins¬<lb/> beſondere verabſcheut ſie aus tiefſter Seele das Fluchen, wel¬<lb/> ches ſie eine Verſuchung des Teufels zum Abfall von Gott,<lb/> eine Suͤndfluth nennt, in welche verſenkt die Menſchen ihre<lb/> Beſinnung verlieren. Gewoͤhnlich verhaͤlt ſie ſich ruhig und<lb/> harmlos, nur bei der erwaͤhnten Gelegenheit gerieth ſie in eine<lb/> heftige Angſt, welche nur mit Muͤhe beſchwichtigt werden konnte.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [118/0126]
und fand nur in der Vorſtellung endlich Beruhigung, daß
Gott auf ihr Flehen die Hoͤllenſtrafe, welche Heulen und Zaͤhn¬
klappen bewirke, abkuͤrzen werde. Dieſer letzten Ankuͤndigung
des Gerichts war eine dritte Hoͤllenfahrt in der Nacht voran¬
gegangen, welche ſie ſchlaflos unter namenloſer Quaal zu¬
brachte, ſo daß ſie ſich dem Tode nahe glaubte, ohne jedoch
von Sinnestaͤuſchungen heimgeſucht zu werden. Erſt nachdem
ſie ein Gebet an den Heiland um Verleihung des Sieges ge¬
richtet hatte, wurde ihr wohler.
Am 28. Mai 1845 in die Charité aufgenommen hat ſie
nicht die geringſte Veraͤnderung in ihrem Zuſtande wahrneh¬
men laſſen. Ihre Verſtandesbethoͤrung grenzte ſchon an Gei¬
ſtesverwirrung, ſo daß ſich nur mit Muͤhe der bisher geſchil¬
derte Zuſammenhang ihrer ſchwaͤrmeriſchen Grillen auffinden
ließ. Ob ſie ſich als zweiter Meſſias, als Landesmutter eine
hoͤhere Sanction beilegte, konnte nicht beſtimmt ermittelt wer¬
den; denn obgleich dies einerſeits aus ihren Worten zu folgen
ſchien, ſo widerſprach dem theils ihre anderweitige Behauptung,
daß alle Menſchen auf gleiche Weiſe Kinder Gottes ſeien,
theils ihre demuͤthig harmloſe Freundlichkeit und Anſpruchsloſig¬
keit, welche den abſoluten Gegenſatz zu dem koloſſalen Hoch¬
muth fanatiſcher Theomanen bildet. Schon fruͤher habe ich
ihren ſittlich vortrefflichen Charakter geſchildert, als deſſen Haupt¬
zug eine liebevolle Sorgfalt fuͤr alle Nothleidenden angeſehen
werden muß. Ueberzeugt, daß alle Krankheiten Liebesruthen
ſind, mit welchen Gott alle Menſchen zu ihrer Beſſerung
zuͤchtige, beklagt ſie es vornaͤmlich ſehr, daß ſo viele Kranke ihr
Loos nicht in dieſem Sinne anſehen, nicht Buße thun, nicht
im haͤufigen Morgengebet ſich heiligen, ſondern mit leichtfer¬
tigem Gemuͤth in ihre fruͤheren Verhaͤltniſſe zuruͤckkehren. Ins¬
beſondere verabſcheut ſie aus tiefſter Seele das Fluchen, wel¬
ches ſie eine Verſuchung des Teufels zum Abfall von Gott,
eine Suͤndfluth nennt, in welche verſenkt die Menſchen ihre
Beſinnung verlieren. Gewoͤhnlich verhaͤlt ſie ſich ruhig und
harmlos, nur bei der erwaͤhnten Gelegenheit gerieth ſie in eine
heftige Angſt, welche nur mit Muͤhe beſchwichtigt werden konnte.
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