Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847.8. B., 59 Jahre alt, ein Pfeifenschlauchmacher, ist seiner 8. B., 59 Jahre alt, ein Pfeifenſchlauchmacher, iſt ſeiner <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0127" n="119"/> </div> <div n="1"> <head>8.<lb/></head> <p><hi rendition="#b #fr">B.</hi><hi rendition="#b">,</hi> 59 Jahre alt, ein Pfeifenſchlauchmacher, iſt ſeiner<lb/> Ausſage zufolge fruͤher niemals ſchwer krank geweſen. Dem<lb/> Branntweintrinken ausſchweifend ergeben, wurde er durch einen<lb/> Traum ſeiner Frau heftig erſchreckt, welche darin eine Erſchei¬<lb/> nung hatte, durch die ihr geboten wurde, ihm das Brannt¬<lb/> weintrinken ganz zu verwehren, weil dies ihm den Untergang<lb/> bringen wuͤrde. Er ſah hierin eine Eingebung Gottes, und<lb/> nahm von da an fleißig Theil an pietiſtiſchen Verſammlungen,<lb/> welche ihm die Enthaltſamkeit von ſpirituoͤſen Getraͤnken zur<lb/> Pflicht machten. Hierdurch in eine uͤberſpannte Froͤmmigkeit<lb/> verſetzt, verſaͤumte er nun beinahe ganz ſeine Arbeit, und theilte<lb/> ſeine Zeit zwiſchen dem Beſuch der Betſtunden und dem Leſen<lb/> der Bibel und des Geſangbuches. Wenn er ſich auch einmal<lb/> mit ſeiner Profeſſion beſchaͤftigte, ſo hatte er doch immer geiſt¬<lb/> liche Buͤcher zur Hand, in denen er mehr las, als arbeitete.<lb/> Die Klagen ſeiner Familie uͤber Mangel an Lebensunterhalt<lb/> erwiederte er mit den Worten, daß Hunger und Elend Schickun¬<lb/> gen Gottes ſeien, in die man ſich fuͤgen muͤſſe, Gott werde<lb/> ſchon fuͤr ſie ſorgen, wenn er wolle. Er bildete ſich ein, zur<lb/> Strafe fuͤr ſein fruͤheres ſuͤndiges Leben von hoͤlliſchen Geiſtern<lb/> in ſeinem Inneren beherrſcht und aͤußerlich belagert zu werden.<lb/> Mit dieſen Gaͤſten unterhielt er ſich, und waͤhnte, daß ſie ei¬<lb/> nen Ausweg aus ſeinem Koͤrper ſuchten, ihn aber nicht finden<lb/> koͤnnten. Seit vielen Jahren litt er, unſtreitig in Folge ſei¬<lb/> ner Ausſchweifungen, an oft ſehr lange dauernder Leibesver¬<lb/> ſtopfung und an Haͤmorrhoiden, welche ihm haͤufig große Be¬<lb/> ſchwerden, das Gefuͤhl von Vollſein und Beaͤngſtigung im<lb/> Unterleibe verurſachten. Oft war er Willens, ſich mit einem<lb/> Meſſer den Bauch aufzuſchneiden, um den Geiſtern einen freien<lb/> Ausweg aus dem Koͤrper zu verſchaffen. Bei ſeiner am 25.<lb/> November 1840 erfolgten Aufnahme in die Charité beklagte<lb/> er ſich ſehr lebhaft uͤber die Anfechtungen des Satans, wel¬<lb/> cher ihn mit deutlichen Worten zur Gotteslaͤſterung auffordere,<lb/> ihm alle frommen Gedanken waͤhrend des Gottesdienſtes raube,<lb/> ſo daß von den angehoͤrten Predigten nicht die geringſte Erin¬<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [119/0127]
8.
B., 59 Jahre alt, ein Pfeifenſchlauchmacher, iſt ſeiner
Ausſage zufolge fruͤher niemals ſchwer krank geweſen. Dem
Branntweintrinken ausſchweifend ergeben, wurde er durch einen
Traum ſeiner Frau heftig erſchreckt, welche darin eine Erſchei¬
nung hatte, durch die ihr geboten wurde, ihm das Brannt¬
weintrinken ganz zu verwehren, weil dies ihm den Untergang
bringen wuͤrde. Er ſah hierin eine Eingebung Gottes, und
nahm von da an fleißig Theil an pietiſtiſchen Verſammlungen,
welche ihm die Enthaltſamkeit von ſpirituoͤſen Getraͤnken zur
Pflicht machten. Hierdurch in eine uͤberſpannte Froͤmmigkeit
verſetzt, verſaͤumte er nun beinahe ganz ſeine Arbeit, und theilte
ſeine Zeit zwiſchen dem Beſuch der Betſtunden und dem Leſen
der Bibel und des Geſangbuches. Wenn er ſich auch einmal
mit ſeiner Profeſſion beſchaͤftigte, ſo hatte er doch immer geiſt¬
liche Buͤcher zur Hand, in denen er mehr las, als arbeitete.
Die Klagen ſeiner Familie uͤber Mangel an Lebensunterhalt
erwiederte er mit den Worten, daß Hunger und Elend Schickun¬
gen Gottes ſeien, in die man ſich fuͤgen muͤſſe, Gott werde
ſchon fuͤr ſie ſorgen, wenn er wolle. Er bildete ſich ein, zur
Strafe fuͤr ſein fruͤheres ſuͤndiges Leben von hoͤlliſchen Geiſtern
in ſeinem Inneren beherrſcht und aͤußerlich belagert zu werden.
Mit dieſen Gaͤſten unterhielt er ſich, und waͤhnte, daß ſie ei¬
nen Ausweg aus ſeinem Koͤrper ſuchten, ihn aber nicht finden
koͤnnten. Seit vielen Jahren litt er, unſtreitig in Folge ſei¬
ner Ausſchweifungen, an oft ſehr lange dauernder Leibesver¬
ſtopfung und an Haͤmorrhoiden, welche ihm haͤufig große Be¬
ſchwerden, das Gefuͤhl von Vollſein und Beaͤngſtigung im
Unterleibe verurſachten. Oft war er Willens, ſich mit einem
Meſſer den Bauch aufzuſchneiden, um den Geiſtern einen freien
Ausweg aus dem Koͤrper zu verſchaffen. Bei ſeiner am 25.
November 1840 erfolgten Aufnahme in die Charité beklagte
er ſich ſehr lebhaft uͤber die Anfechtungen des Satans, wel¬
cher ihn mit deutlichen Worten zur Gotteslaͤſterung auffordere,
ihm alle frommen Gedanken waͤhrend des Gottesdienſtes raube,
ſo daß von den angehoͤrten Predigten nicht die geringſte Erin¬
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