Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847.merkung, daß er ohne unmittelbaren göttlichen Beistand, wie Er hatte zu lange unter demoralisirenden Einflüssen ge¬ merkung, daß er ohne unmittelbaren goͤttlichen Beiſtand, wie Er hatte zu lange unter demoraliſirenden Einfluͤſſen ge¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0131" n="123"/> merkung, daß er ohne unmittelbaren goͤttlichen Beiſtand, wie<lb/> ihm derſelbe in jener Offenbarung verheißen worden, ſeine un¬<lb/> zaͤhligen Leiden nicht haben ertragen koͤnnen. Bei jeder nach¬<lb/> folgenden Unterredung trat beſonders ſein Beſtreben hervor, ſich<lb/> daruͤber zu taͤuſchen, daß er durch Thorheit und Ausſchweifun¬<lb/> gen der Urheber ſeines traurigen Looſes geworden ſei, denn nie<lb/> wollte er es anerkennen, daß er zur geſetzlichen Ausuͤbung der<lb/> Veterinaͤrkunde, und noch weniger zu Curen an Menſchen be¬<lb/> fugt geweſen, und deshalb mit Recht in Strafe genommen wor¬<lb/> den ſei. Er ſah hierin nur die unbarmherzige Verfolgung ge¬<lb/> gen einen Mann, der an dem noͤthigen Erwerbe fuͤr die Sei¬<lb/> nigen verhindert worden ſei, und behauptete, daß er Curen an<lb/> Menſchen ohne allen Privatvortheil, blos aus chriſtlicher Liebe<lb/> unternommen habe, weil ihm mehrere Heilungen auf eine glaͤn¬<lb/> zende Weiſe gelungen ſeien. Noch weniger raͤumte er die nach¬<lb/> theiligen Wirkungen des Branntweins ein, welches zu begrei¬<lb/> fen faſt alle Trunkenbolde ſich hartnaͤckig weigern, da ſie ſich<lb/> abſichtlich uͤber die Folgen ihrer Ausſchweifungen taͤuſchen, um<lb/> nicht durch das Gewiſſen genoͤthigt zu werden, ſich ihrer zu enthalten.</p><lb/> <p>Er hatte zu lange unter demoraliſirenden Einfluͤſſen ge¬<lb/> litten, und war zu tief in Geiſt und Gemuͤth zerruͤttet worden,<lb/> als daß ſeine Heilung haͤtte gelingen koͤnnen; vielmehr fand er<lb/> Troſt in der Selbſtvergeſſenheit ſeines religioͤſen Wahns, wel¬<lb/> cher unveraͤndert fortdauerte, und dadurch einen voͤllig abge¬<lb/> ſchloſſenen Charakter angenommen hatte. Er behauptete daher,<lb/> daß er den Proceß Gottes gegen den Teufel zu fuͤhren berufen<lb/> ſei, denn die Stimme Gottes habe ihn dazu angetrieben, als<lb/> er in Betracht des gefaͤhrlichen Unternehmens ſich dagegen ge¬<lb/> ſtraͤubt habe, auch ſei ſeine Hand im Niederſchreiben der Ver¬<lb/> handlungen Gottes gegen den Teufel unſtreitig von hoͤherem<lb/> Willen gelenkt worden, als deſſen Werkzeug er ſich anſehen<lb/> muͤſſe. Bei einer Unterredung mit ſeinem zum Juͤnglingsalter<lb/> herangereiften Sohne, welcher bittere Klage daruͤber fuͤhrte, daß<lb/> ihm jede Gelegenheit fehle, ſich zu einem brauchbaren Manne<lb/> auszubilden, aͤußerte M. mit aufgeblaſenem Pathos, der Menſch<lb/> muͤſſe ſein Schickſal Gott anheimſtellen, und nicht ein Streben<lb/> nach weltlichen Dingen in ſich aufkommen laſſen. Nach eini¬<lb/> gen Monaten wurde er in anderweitige Verhaͤltniſſe verſetzt.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [123/0131]
merkung, daß er ohne unmittelbaren goͤttlichen Beiſtand, wie
ihm derſelbe in jener Offenbarung verheißen worden, ſeine un¬
zaͤhligen Leiden nicht haben ertragen koͤnnen. Bei jeder nach¬
folgenden Unterredung trat beſonders ſein Beſtreben hervor, ſich
daruͤber zu taͤuſchen, daß er durch Thorheit und Ausſchweifun¬
gen der Urheber ſeines traurigen Looſes geworden ſei, denn nie
wollte er es anerkennen, daß er zur geſetzlichen Ausuͤbung der
Veterinaͤrkunde, und noch weniger zu Curen an Menſchen be¬
fugt geweſen, und deshalb mit Recht in Strafe genommen wor¬
den ſei. Er ſah hierin nur die unbarmherzige Verfolgung ge¬
gen einen Mann, der an dem noͤthigen Erwerbe fuͤr die Sei¬
nigen verhindert worden ſei, und behauptete, daß er Curen an
Menſchen ohne allen Privatvortheil, blos aus chriſtlicher Liebe
unternommen habe, weil ihm mehrere Heilungen auf eine glaͤn¬
zende Weiſe gelungen ſeien. Noch weniger raͤumte er die nach¬
theiligen Wirkungen des Branntweins ein, welches zu begrei¬
fen faſt alle Trunkenbolde ſich hartnaͤckig weigern, da ſie ſich
abſichtlich uͤber die Folgen ihrer Ausſchweifungen taͤuſchen, um
nicht durch das Gewiſſen genoͤthigt zu werden, ſich ihrer zu enthalten.
Er hatte zu lange unter demoraliſirenden Einfluͤſſen ge¬
litten, und war zu tief in Geiſt und Gemuͤth zerruͤttet worden,
als daß ſeine Heilung haͤtte gelingen koͤnnen; vielmehr fand er
Troſt in der Selbſtvergeſſenheit ſeines religioͤſen Wahns, wel¬
cher unveraͤndert fortdauerte, und dadurch einen voͤllig abge¬
ſchloſſenen Charakter angenommen hatte. Er behauptete daher,
daß er den Proceß Gottes gegen den Teufel zu fuͤhren berufen
ſei, denn die Stimme Gottes habe ihn dazu angetrieben, als
er in Betracht des gefaͤhrlichen Unternehmens ſich dagegen ge¬
ſtraͤubt habe, auch ſei ſeine Hand im Niederſchreiben der Ver¬
handlungen Gottes gegen den Teufel unſtreitig von hoͤherem
Willen gelenkt worden, als deſſen Werkzeug er ſich anſehen
muͤſſe. Bei einer Unterredung mit ſeinem zum Juͤnglingsalter
herangereiften Sohne, welcher bittere Klage daruͤber fuͤhrte, daß
ihm jede Gelegenheit fehle, ſich zu einem brauchbaren Manne
auszubilden, aͤußerte M. mit aufgeblaſenem Pathos, der Menſch
muͤſſe ſein Schickſal Gott anheimſtellen, und nicht ein Streben
nach weltlichen Dingen in ſich aufkommen laſſen. Nach eini¬
gen Monaten wurde er in anderweitige Verhaͤltniſſe verſetzt.
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