Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847.um sich, tobte und schrie, und mußte durch Coercitivmaaß- Indeß der fortgesetzte Mißbrauch spirituöser Getränke weckte um ſich, tobte und ſchrie, und mußte durch Coercitivmaaß- Indeß der fortgeſetzte Mißbrauch ſpirituoͤſer Getraͤnke weckte <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0130" n="122"/> um ſich, tobte und ſchrie, und mußte durch Coercitivmaaß-<lb/> regeln verhindert werden, Schaden anzurichten. Durch Dar¬<lb/> reichung von gelinden Abfuͤhrungen wurde dieſe Aufregung ſchnell<lb/> beſchwichtigt, ja er ſchien bald zur voͤlligen Beſinnung zuruͤck¬<lb/> zukehren, und zuckte bei der Frage nach ſeiner goͤttlichen Ab¬<lb/> kunft mit den Achſeln, indem er aͤußerte, daß dies nicht ſo<lb/> gemeint geweſen ſei. Da es demnach den Anſchein hatte, als<lb/> ob jene Wahnvorſtellung nur die Folge eines ausſchweifenden<lb/> Branntweinsgenuſſes geweſen ſei, ſo wurde er ſchon im naͤch¬<lb/> ſten Monate wieder aus der Charité entlaſſen.</p><lb/> <p>Indeß der fortgeſetzte Mißbrauch ſpirituoͤſer Getraͤnke weckte<lb/> bald wieder die kaum beſeitigte Verſtandesbethoͤrung; er hielt<lb/> ſich fuͤr einen Gottesgeſandten, welcher die Leiden des Lebens<lb/> tragen muͤſſe, glaubte Apoſtel zu ſein, und ließ das Kopf- und<lb/> Barthaar wachſen, um ſich ein ehrwuͤrdiges Anſehen zu geben.<lb/> Erneuerte Wuthanfaͤlle machten ſeine abermalige Aufnahme in<lb/> die Charité am 19. April 1845 noͤthig, welches nicht ohne einen<lb/> Volksauflauf bewirkt werden konnte, da er auf dem Wege dort¬<lb/> hin von ſeinem Begleiter ſich losriß, eilig die Kleider abwarf,<lb/> um nackend eine Predigt auf der Straße zu halten, ſo daß es<lb/> zu einem Handgemenge kam, in welchem er eine Verwundung<lb/> an der Hand davontrug. In die Irrenabtheilung gebracht,<lb/> mußte er wegen ſeines gewaltthaͤtigen Betragens in den Zwangs¬<lb/> ſtuhl geſetzt werden. Sein ſinnloſes Schwatzen, Schreien und<lb/> Laͤrmen machte jede Unterredung mit ihm unmoͤglich, und man<lb/> konnte nur ſoviel in ſeinem Wortſchwall unterſcheiden, daß er<lb/> ſich fuͤr einen Abgeſandten Gottes und fuͤr einen Apoſtel Chriſti<lb/> halte. Nach einigen Tagen beruhigte er ſich, und gab nun an,<lb/> daß er aus Nahrungsſorgen an großer Angſt litt, welche zuletzt<lb/> die Vorſtellung hervorrief, daß Moͤrder im Hinterhalte lauer¬<lb/> ten, und in jedem Augenblicke bereit ſeien, hervorzuſpringen<lb/> und Hand an ihn zu legen. Dies ſei auch, fuͤgte er hinzu,<lb/> die Urſache ſeiner Raſerei geweſen. Ferner behauptete er, Gott<lb/> habe ihm mit vernehmlicher Stimme zugerufen, er ſei ſein<lb/> Vater, werde ihn beſchuͤtzen, ihm nicht ein Haar auf ſeinem<lb/> Haupte kruͤmmen laſſen, und gab zu verſtehen, daß er ſich<lb/> deshalb fuͤr einen Gottgeſandten halte. Doch wollte er ſich<lb/> nicht naͤher hieruͤber erklaͤren, und begnuͤgte ſich mit der Be¬<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [122/0130]
um ſich, tobte und ſchrie, und mußte durch Coercitivmaaß-
regeln verhindert werden, Schaden anzurichten. Durch Dar¬
reichung von gelinden Abfuͤhrungen wurde dieſe Aufregung ſchnell
beſchwichtigt, ja er ſchien bald zur voͤlligen Beſinnung zuruͤck¬
zukehren, und zuckte bei der Frage nach ſeiner goͤttlichen Ab¬
kunft mit den Achſeln, indem er aͤußerte, daß dies nicht ſo
gemeint geweſen ſei. Da es demnach den Anſchein hatte, als
ob jene Wahnvorſtellung nur die Folge eines ausſchweifenden
Branntweinsgenuſſes geweſen ſei, ſo wurde er ſchon im naͤch¬
ſten Monate wieder aus der Charité entlaſſen.
Indeß der fortgeſetzte Mißbrauch ſpirituoͤſer Getraͤnke weckte
bald wieder die kaum beſeitigte Verſtandesbethoͤrung; er hielt
ſich fuͤr einen Gottesgeſandten, welcher die Leiden des Lebens
tragen muͤſſe, glaubte Apoſtel zu ſein, und ließ das Kopf- und
Barthaar wachſen, um ſich ein ehrwuͤrdiges Anſehen zu geben.
Erneuerte Wuthanfaͤlle machten ſeine abermalige Aufnahme in
die Charité am 19. April 1845 noͤthig, welches nicht ohne einen
Volksauflauf bewirkt werden konnte, da er auf dem Wege dort¬
hin von ſeinem Begleiter ſich losriß, eilig die Kleider abwarf,
um nackend eine Predigt auf der Straße zu halten, ſo daß es
zu einem Handgemenge kam, in welchem er eine Verwundung
an der Hand davontrug. In die Irrenabtheilung gebracht,
mußte er wegen ſeines gewaltthaͤtigen Betragens in den Zwangs¬
ſtuhl geſetzt werden. Sein ſinnloſes Schwatzen, Schreien und
Laͤrmen machte jede Unterredung mit ihm unmoͤglich, und man
konnte nur ſoviel in ſeinem Wortſchwall unterſcheiden, daß er
ſich fuͤr einen Abgeſandten Gottes und fuͤr einen Apoſtel Chriſti
halte. Nach einigen Tagen beruhigte er ſich, und gab nun an,
daß er aus Nahrungsſorgen an großer Angſt litt, welche zuletzt
die Vorſtellung hervorrief, daß Moͤrder im Hinterhalte lauer¬
ten, und in jedem Augenblicke bereit ſeien, hervorzuſpringen
und Hand an ihn zu legen. Dies ſei auch, fuͤgte er hinzu,
die Urſache ſeiner Raſerei geweſen. Ferner behauptete er, Gott
habe ihm mit vernehmlicher Stimme zugerufen, er ſei ſein
Vater, werde ihn beſchuͤtzen, ihm nicht ein Haar auf ſeinem
Haupte kruͤmmen laſſen, und gab zu verſtehen, daß er ſich
deshalb fuͤr einen Gottgeſandten halte. Doch wollte er ſich
nicht naͤher hieruͤber erklaͤren, und begnuͤgte ſich mit der Be¬
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